25 Jahre Wolfenstein 3D - Der Shooter-Großvater, der zur Hakenkreuz-Problematik führte

Am 05. Mai wird Wolfenstein 3D 25 Jahre alt. Weltweit gilt das Spiel als Meilenstein, das das moderne Shooter-Genre begründet hat. In Deutschland ist der Titel in erster Linie wegen seines Hakenkreuz-Problems bekannt.

Wolfenstein 3D ist der Urvater moderner Shooter. In Deutschland ist der Titel auf Umwege der Grund, warum in Spielen keine verfassungsfeindlichen Symbole auftauchen. Wolfenstein 3D ist der Urvater moderner Shooter. In Deutschland ist der Titel auf Umwege der Grund, warum in Spielen keine verfassungsfeindlichen Symbole auftauchen.

Am 5. Mai 2017 wurde der moderne Ego-Shooter 25 Jahre alt. An diesem Tag, im Jahr 1992, erschien Wolfenstein 3D. Mit der namensgebenden 3D-Engine von John Carmack und dem schnellen Shooter-Gameplay von John Romero und Tom Hall ausgestattet gilt der Titel als Großvater des Genres.

In Deutschland dürften die meisten Spieler Wolfenstein 3D aber nicht mit den Anfängen eines neuen Genres in Verbindung bringen, sondern eher mit der lokalen Zensur- und Hakenkreuz-Debatte: der Titel ist bis heute indiziert und auch 2017 in Deutschland nicht auf Steam verfügbar. Wir blicken auf eine belebte Geschichte zurück und erklären, was in den 90ern eigentlich auf rechtlicher Seite stattfand.

Indizierung - aber nicht wegen dem Hakenkreuz

Fast zwei Jahre nach Release, im Januar 1994, gab das Amtsgericht München die bundesweite Beschlagnahmung bekannt. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (heute jugendgefährdende Medien, BPjM) legte in derselben Woche die Indizierung vor. Viele deutsche Spielemagazine haben sich wegen der Beschlagnahmung lange nicht getraut, Wolfenstein 3D überhaupt beim Namen zu nennen. Die GameStar machte da keine Ausnahme und sprach lange Jahre nur vom »indizierten Shooter«.

Wenige Spieler wissen, dass die Entscheidung nicht auf der Nazi-Thematik basierte. In der Indizierungsbegründung wurde die extreme Gewalt als Argument vorgebracht und explizit erwähnt, dass das Setting nicht ausschlaggebend war:

"Ob die stetige visuelle und akustische Präsenz dieser Symbole geeignet ist, rechtsextremistische Denk- und Verhaltensmuster zu verstärken, vermochten sie [das Prüfgremium] nicht zu beurteilen. Ausschlaggebend für die Indizierung war vielmehr die spielimmanente Verherrlichung des Selbstjustizgedankens sowie die positive Bewertung und Gewichtung anreißerisch gestalteter Todesszenarien."

Spiele sind Kulturgut und Sozialadäquanzklausel

Die Grundlage hinter nationalsozialistischen Symbolen in Medien kennen die meisten deutschen Spieler wohl in ihren Grundzügen: Laut Artikel 86 und 86a des Strafgesetzbuchs ist die Verbreitung von verfassungsfeindlicher Propaganda und Kennzeichen verboten; es droht Freiheitsstrafe.

Tarantinos Actionstreifen Inglourious Basterds erhielt aus drei deutschen Fördertöpfen 7,7 Millionen Euro. Hakenkreuze sind hier ein Stilmittel, ein klarer Fall für die Sozialadäquanzklausel. Tarantinos Actionstreifen Inglourious Basterds erhielt aus drei deutschen Fördertöpfen 7,7 Millionen Euro. Hakenkreuze sind hier ein Stilmittel, ein klarer Fall für die Sozialadäquanzklausel.

Allerdings erlaubt die »Sozialadäquanzklausel« aus Artikel 86 Absatz 3 die Verwendung der Symbole bei der »staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken«.

Das weiß fast jeder informierte Mediennutzer: Solange die Darstellung im Rahmen von Kunst und Kultur stattfindet und keiner Propaganda oder ähnlichen Zwecken dient, gilt eine Ausnahme. Egal ob Dokumentation oder Actionstreifen, Roman oder Bildband. Und ja: Das gilt auch für Videospiele, die mittlerweile schon lange zum Kulturgut erklärt wurden und deren Kunstcharakter auch vor Gericht bereits standhält.

Mehr dazu im Anwaltsgespräch:
Rechtsanwalt Sebastian Schwiddessen im Interview über das Verbot verfassungsfeindlicher Symbole, den verbreiteten Irrtum, dass deutsche Gerichte Spiele nicht als Kunst einstufen, und die Frage, ob Geolocks wirklich sein müssen.

Zum umfangreichen Interview »Symbolzensur in Deutschland«

Rechtsradikaler vor Gericht, Wolfenstein 3D als Opfer

Nach der Indizierung und Beschlagnahmung im Jahr 1994 war Wolfenstein 3D erst im Jahr 1998 wieder im Gespräch. Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt stand ein Rechtsradikaler, der über sein Forum nationalsozialistische Inhalte verbreitete. Auch Wolfenstein 3D wurde über die rechte Seite angeboten und sollte wegen der enthaltenen Nazi-Symbolik wie Runen, Hakenkreuze und dem verbotenen Horst-Wessel-Lied im Hauptmenü als Propagandamittel dienen. Und das, obwohl der Spieler ja auf die Nazis feuert und am Ende Adolf Hitler im Mech ausschaltet.

Nazis in Spielen - Warum für Spiele andere Regeln gelten - GameStar TV Video starten PLUS 19:51 Nazis in Spielen - Warum für Spiele andere Regeln gelten - GameStar TV

Im Gerichtsverfahren mussten sich die Richter selbstverständlich mit der Verbreitung strafrechtlich relevanter Inhalte wie Hitlerbildern und Swastikas beschäftigen, wie sie auch in Wolfenstein 3D vorkommen. Und die Frankfurter Juroren erklärten schließlich bei der Verurteilung des Rechtsradikalen, dass Hakenkreuze und Co. nichts in Videospielen zu suchen hätten. Aus der damaligen Urteilsbegründung:

"Vielmehr gebietet es der Schutzzweck des Artikels 86a StGB, dass in Computerspielen keine Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gezeigt werden. Insoweit kommt es [...] nicht darauf an, dass sich die verbotenen Kennzeichen und Symbole bei dem Spiel "Wolfenstein 3D" in den Spielräumen befanden, die dem Feind zuzuordnen sind. Wäre eine derartige Verwendung von verbotenen Kennzeichen in Computerspielen erlaubt, dann wäre es kaum noch möglich, einer Entwicklung zu ihrer zunehmenden Verwendung in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken, was der Zielrichtung des Artikels 86a StGB zuwiderlaufen würde"

Das ist besonders wichtig für das Verständnis: Die Richter des OLG Frankfurt erklärten nicht, dass die Sozialadäquanzklausel bei Spielen nicht gelte. Vielmehr hatten sie nicht einmal in Betracht gezogen, dass die Ausnahmeklausel hier überhaupt greifen könnte. Deswegen gilt die Entscheidung heute bei fast allen Rechtsexperten als umstritten und veraltet.

Das vollständige Ignorieren der Sozialadäquanzklausel implizierte zumindest, dass den Richtern nach Spiele nicht unter den Kunstbegriff fallen. Aber nochmal: Gesagt oder geschrieben wurde das nie. Ob die Klausel bei Spielen explizit nicht gilt und Spiele kein Kulturgut sind, haben die Richter nie erklärt. Im weiteren Verlauf der Begründung wird außerdem angegeben, dass Spiele in erster Linie Kinder und Jugendliche ansprechen und sich kein Gewöhnungseffekt bei dieser schutzbedürftigen Gruppe einstellen solle. Es ging um den Jugendschutz und nicht um irgendeine Sozialadäquanz.

Mehr zum Gerichtsfall und den Folgen im Plusreport:
Was macht die Darstellung von Nazis, Hakenkreuzen und dem Dritten Reich so problematisch für Videospiele in Deutschland, während sie in den USA, England oder Frankreich selbstverständlich zum Spiel dazugehören? Warum ist die Darstellung von Nazi-Symbolen in Filmen erlaubt, in Spielen aber ein Tabu?

Zum Plus-exklusiven Report »Das Kreuz mit dem Haken«

Kollateralschaden: Spiele

Eigentlich sollte 1998 nur ein offenkundiger Nazi in Frankfurt verurteilt werden, am Ende erwischte es auf Umwegen auch die Spiele-Branche. Die Zensur und das Entfernen von Hakenkreuzen in Spielen ist bis heute in erster Linie Selbstzensur der Entwickler und Publisher. Kein Gesetz Deutschlands und nicht einmal dieses Urteil zwingt sie dazu. Nur die spätere Auslegung dieser Gerichtsentscheidung, nämlich dass die Sozialadäquanzklausel bei Spielen wohl nicht gelte, führte zur heutigen Situation und änderte die Spielelandschaft maßgeblich.

Vier Jahre später, im Februar 2002, wurde das nächste Wolfenstein-Spiel Return to Castle Wolfenstein indiziert. Dieses Mal stützte sich die Indizierungsbegründung auf zwei Säulen: Erneut war die extreme Gewaltdarstellung für das Entscheidungsgremium zu viel, außerdem wurden Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gezeigt. Für die herrsche laut der Indizierungsbegründung nach Artikel 86a des Strafgesetzbuchs ein vollständiges Verbreitungsverbot.

Die Gesetze hatten sich mittlerweile nicht geändert. Nur die Auslegung des Urteils von 1998 wurde angewendet. Die USK gibt heute automatisch keine Altersfreigabe, wenn verfassungsfeindliche Symbole auftauchen.

Im neuesten Teil Wolfenstein: The Old Blood gibt es Retro-Level im Stil von Wolfenstein 3D. Die Nazi-Inhalte und verfassungsfeindlichen Symbole des Originals wurden aber entfernt. Im neuesten Teil Wolfenstein: The Old Blood gibt es Retro-Level im Stil von Wolfenstein 3D. Die Nazi-Inhalte und verfassungsfeindlichen Symbole des Originals wurden aber entfernt.

Die Furcht von Entwicklern und Publishern vor verfassungsfeindlichen Inhalten in Spielen ist bis heute auf die wackelige Gerichtsentscheidung des Oberlandesgerichtes Frankfurt im Jahr 1998 zurückzuführen. Und das, obwohl sich der damalige Fall in erster Linie gar nicht um Kunstbegriff und Sozialadäquanzklausel drehte und Videospiele nur ein Nebenschauplatz des Verfahrens waren. Vor höheren Instanz wie dem Bundesgerichtshof wurde das Thema nie verhandelt.

Rechtsexperten gehen davon aus, dass eine Anfechtung vor Gericht heute ein leicht zu gewinnendes Unterfangen wäre. Selbst die BPjM, die für Indizierungen zuständige Behörde, hat 2010 im eigenen Magazin einen Aufsatz veröffentlicht, der die Entscheidung des OLG Frankfurt von 1998 auseinander nimmt. Am einfachen Beispiel der Filmreihe Indiana Jones (die mit FSK-Freigaben von 12 bis 16 ebenfalls Kinder und Jugendliche anspricht) wird erklärt, dass die Begründung, nach der Minderjährige sich nicht an strafbare Symbole gewöhnen sollen, offensichtlich nicht für Abenteuerfilme gilt. Und der erste Indi-Film kam 1981 raus. Es sei fragwürdig, im Jahr 1998 bei Spielen auf einen Gewöhnungseffekt zu pochen.

Es liegt allerdings an den Videospielproduzenten, vor Gericht die Verteidigung des deutschen Kunstbegriffs anzuführen. Sonst wird sich die aktuelle Rechtslage wohl nie ändern. Und das ist schlicht ein finanzielles Risiko und vor allem ein PR-Gau: Niemand will als Hakenkreuz-Firma in die Geschichte eingehen.

Mehr im exklusiven Audioreport
Für Plus-Mitglieder hat Michael Graf einen Report eingesprochen. Es geht um die Zensur verfassungsfeindlicher Symbole am Beispiel des Weltkriegsstrategiespiels Hearts of Iron 4.

Zum Plus-exklusiven Audio-Report »Michael Graf über Zensur in Spielen«

Wolfenstein 3D heute

Damit trägt Wolfenstein 3D über drei Ecken und sechs Jahre nach Release also die Schuld dafür, dass Spiele mit verfassungsfeindlichen Inhalten immer (von den Entwicklern proaktiv) zensiert werden. Im jüngsten Ableger der Serie, Wolfenstein: The Old Blood, kämpften deutsche Spieler gegen »das Regime«. Verfassungsfeindliche Symbole tauchen hierzulande nicht auf.

Gerüchteweise soll im Juni 2017 zur E3 der Nachfolger Wolfenstein: The New Colossus angekündigt werden, eine Zensur durch Bethesda ist mehr als wahrscheinlich. Activision hat hingegen für das 2017 erscheinende Call of Duty: WW2 bereits eine spezielle deutsche Version neben der internationalen Fassung in die Steam-Datenbank eingetragen. Wieso, lässt sich schnell erraten. Der Jugendschutz hatte bei den letzten Serienteilen zumindest kein Problem mit dem Gewaltgrad - trotz zerfetzter Spielfiguren.

Egal welche Schnitte die beiden Shooter erfahren werden: Sie beide können auf ihren gemeinsamen Urahnen zurückblicken, mit dem alles begann: Wolfenstein 3D.

Mehr im Video
In der achten Folge von »Ist das erlaubt?« klären Andre Peschke und Rechtsanwalt Stephan Mathé, ob man selbst beschlagnahmte Spiele bestellen darf und ob man Spiele mit Geolock einfach so zurückgeben darf.

Zum Video »Indiziert & Beschlagnahmt - Ist das erlaubt?

Wolfenstein: The New Order - Wolfenstein-Easter-Egg - 90er-Jahre-Level Video starten 7:29 Wolfenstein: The New Order - Wolfenstein-Easter-Egg - 90er-Jahre-Level

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