Seite 3: »Angst, zu sein wie Sebastian B.« - GameStar-Interview: Was geht in jungen, computerspielenden Männer vor?

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Fabian: Sebastian B. hatte nicht nur Softairs sondern auch echte Waffen. Wüsstest Du, wo Du Dir welche besorgen könntest?

Alexander: Das weiß glaube ich jeder. In jedem Waffenladen bekommt man gegen einen Waffenschein Gewehre und Pistolen. Und ein Waffenschein für Kleinkaliber ist im Schützenverein schnell gemacht. Mit 15 war ich selbst kurze Zeit Mitglied in einem. Dort trifft man dann oft auf ländliche, urige Typen mit Sportpistolen und Hang zum Weißbier, die einem netten Bub auch gerne mal den Jägerzubehör-Prospekt ausleihen. Und wenn einem das alles nicht reicht: Über Foren für Waffenfetischisten, sei’s in Europa oder den USA, kann man sich auch halb- oder vollautomatische Waffen importieren. So richtig düster wird's dann im tiefen Ostblock, wo man wirklich fast alles bekommt.

Fabian: Hat es bei Dir denn mal Situationen gegeben, wo Du gerne eine Waffe gehabt hättest?

Alexander: Ich bin vor fünf Jahren mal echt böse verprügelt worden, da war ich 15 und der Typ 19. Mitten unter Menschen in einem Zoo. Da bin ich völlig ausgerastet und als andere hinzukamen und ihn festgehalten haben, habe ich versucht, den Typen zu erwürgen. Das war ein tiefer, dunkler Hass, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Ich hätte damals vielleicht Dinge getan, die ich später bereut hätte, wenn ich eine Waffe gehabt hätte.

Fabian: Naja, in so einer Situation entwickelt man natürlich große Wut, aber wolltest Du den auch eine Woche später noch fertig machen?

Alexander: Ich will ehrlich sein: Ich habe mir vorgestellt, wie ich mich räche. Wer einem 15jährigen Schwächling wie mir damals, der daheim dauernd Computerspiele zockt, zeigt, wie wehrlos er in Wirklichkeit ist, der kann sich schon jede Menge Hass einfangen. Da war ich auf brachiale Gewalt aus – ich glaube, bloßes Erschießen hätte mir da fast nicht gereicht. Es ist aber zum Glück anders gekommen: Mein Vater hat den Kerl ausfindig gemacht und ihn zusammen mit seinen Eltern und allen Beteiligten zu einer Aussprache gezwungen. Seine Eltern waren überraschenderweise sehr nett, wussten gar nicht, was ihr Sohn so treibt und haben ihm gleich eine Standpauke gehalten. Er konnte einem fast Leid tun. Dann hat er sich entschuldigt und ich habe ihn nicht mehr wieder gesehen. Es stellte sich nachher raus, dass ihn ein paar Mädels aus meiner Stufe angestiftet haben, weil die mich nicht leiden konnten. Ich denke manchmal an ihn und frage mich, was er heute treibt.

Fabian: Sebastian meinte, er würde Menschen hassen. Für Dich ein nachvollziehbares Gefühl?

Alexander: Menschenhass ist ein hartes Wort, aber manchmal fühle ich mich in der Öffentlichkeit nicht wohl, weil ich zum Beispiel von so vielen Menschen umgeben bin, die glauben, die Bildzeitung wäre eine echte Zeitung. Da zweifelt man schon an der Menschheit. Es ist aber eher ein bisschen der Hass auf die Dummen und Ignoranten in der Welt, auf Leute, die keinen eigenen Gedanken fassen können und mit dem Strom schwimmen, so lange es geht. Wenn mein MP3-Player den letzten Saft aus seinem Akku gesaugt hat und ich plötzlich die Gespräche im Bus um mich höre, dann denke ich manchmal: »Jetzt könnte die Welt eigentlich untergehen und es würde den meisten Recht geschehen.« Aber wenn es nur einen guten Menschen gibt, dann ist es das nicht wert.

Fabian: Die Forschung spricht von vier Faktoren, die einen Amoklauf auslösen können: Die mehr oder weniger fortgeschrittene psychosoziale Entwurzelung des potentiellen Täters, der Verlust beruflicher Integration, sei es durch Arbeitslosigkeit oder Sitzenbleiben, zunehmende Kränkungen unterschiedlicher Art durch unterschiedliche Personen und Konflikte mit Liebespartnern. Sebastian scheint alle vier Voraussetzungen erfüllt zu haben, und das, was Du gerade sagtest, klingt ein bisschen nach psychosozialer Entwurzelung.

Alexander: Naja, ganz so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Sebastian hat seinen Horizont wohl sehr eng gehalten, hat sich vollständig abgekapselt. Er hat seine Feindbilder einfach akzeptiert und das Nachdenken eingestellt. Das ist eine einfache Lösung für ein komplexes Problem und sicher nicht die richtige. Man muss nicht jeden mögen, aber ich für meinen Teil bin mittlerweile sehr erfolgreich mit der Taktik, mich in unangenehmen Situationen einfach anzupassen und mal die Leute zu akzeptieren, wie sie sind. Außerdem kenne ich Orte und Leute, bei denen ich mich unter Gleichgesinnten fühle. Und damit meine ich nicht Azeroth.

Fabian: Sebastian war auch im selben Modding-Forum wie Du unterwegs. Es hieß zunächst, er habe seine Schule für Counterstrike nachgebaut. Mittlerweile hat sich rausgestellt, dass die Karte weder von ihm ist noch seine Schule darstellt. Trotzdem bauen viele Modder Maps ihrer Schulen. Warum?

Alexander: Als Mapping-Anfänger nimmt man als Vorlage natürlich etwas Einfaches. Und die eigene Schule ist halt ein Ort, den man kennt, weil man da viel Zeit verbringt, wo man problemlos nachschauen kann, wie die Räume aussehen und wo man vielleicht sogar Vergleichsfotos machen kann. Schulen sind außerdem simpel aufgebaut: Da gibt’s zwei oder drei Stockwerke, einige Gänge und viele sich wiederholende Texturen, denn der Boden, die Türen, die Wände und die Einrichtung ist in einer Schule meist in jedem Raum gleich. Bei Schul-Maps geht’s den Erstellern also in erster Linie um das Erlernen der Grundlagen.

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