Belohnungswahn vs. Spielspaß - Der schnelle Erfolg

Unter der modernen Schnelllebigkeit und ihrer Erfolgssucht leidet nicht nur der Journalismus, sondern auch unser Spielspaß. Und wir merken es nicht mal. Stattdessen mähen wir durch die Spielelandschaft wie Bulldozer durch den Regenwald. Was dabei alles auf der Strecke bleibt, bekommt immer weniger Aufmerksamkeit. Hauptsache, es geht schnell.

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Gerade sitze ich vor dem PC und spiele mit dem Gedanken, mich an Rainbow Six: Siege heranzuwagen, da meldet sich lautstark mein verwöhntes Genusszentrum und fordert Spaß. Sofort! Nicht erst nach einer mehrstündigen Lernphase. Jetzt. Gleich!

Schwach wie ich bin, werden die leisen Gegenstimmen in meinem Kopf schnell niedergemacht und meine Hand macht sich auf, eine Partie Call of Duty: Black Ops 3 zu starten. Das kenne ich schließlich schon, und es dient als perfekte Droge für mein aufgeweichtes Hirn.

Als es dann am Ende des ersten Matches zurück in die Lobby geht, werde ich bereits ungeduldig. Warum eigentlich? Weil ich eine unverschämte Minute lang auf den Start der nächsten Runde warten muss? Ernsthaft? Ich muss mir an den Kopf fassen und frage mich, wann mein Geduldsfaden eigentlich so dünn geworden ist. Und welche Auswirkungen das hat.

Das spannende Resultat: Meine Ungeduld mindert meinen Spielspaß. Wenn ich mir dann ansehe, welche Art Spiele unseren Alltag dominiert, dann komme ich nicht umhin festzustellen, dass das ein Massenphänomen sein muss.

Der Autor
Für Reiner Hauser gäbe es nichts Schöneres, als wenn das Leben ein Wunschkonzert wäre. Denn dann würde er sofort nach vorne laufen und den Dirigenten so lange mit seinem eigenen Taktstock malträtieren, bis ein neues Age of Empires Wirklichkeit würde. Um ein solches Spiel allerdings innig lieben zu können, müsste es dem modernen Belohnungsirrsinn abschwören und wieder Platz für Frust und Niederlage schaffen, ohne die jeder Erfolg in kürzester Zeit im Hintergrundrauschen des Alltags verloren geht. Zuvor muss Reiner allerdings noch sein verwöhntes Gehirn in den Griff kriegen, das leider eine völlig konträre Meinung zu diesem Thema entwickelt hat.

Im Internet steppt der Bär

Diese Ungeduld ist sicherlich auch auf unsere schnelllebige Welt zurückzuführen. Informationen und Ereignisse prasseln schneller auf uns ein denn je. Doch das ist eben der Lauf der Dinge, wir sind daran gewöhnt und es ist nicht zwangsläufig verwerflich oder eine unsägliche Entwicklung. Dennoch treibt diese Hatz durch das Leben Blüten, die uns allen schaden. Und da müssen wir uns an die eigene Nase fassen.

Es steht so viel auf unserer inneren Agenda, dass Information, die uns nur für wenige Momente langweilt, sofort aussortiert und übergangen wird. Unser Genusszentrum will es so. Mit unübersehbaren Auswirkungen auf die Nutzung des Internets. Geklickt wird fast nur noch, was aktuell, leicht verständlich und aufmerksamkeitsheischend ist.

Ist denn unsere Aufmerksamkeitsbereitschaft mittlerweile derart gering, dass wir schon in Anbetracht der unmenschlichen Videolänge von knapp drei Minuten kapitulieren? Ist denn unsere Aufmerksamkeitsbereitschaft mittlerweile derart gering, dass wir schon in Anbetracht der unmenschlichen Videolänge von knapp drei Minuten kapitulieren?

An anderer Stelle bestrafen wir den Journalisten, der auf Kosten der Aktualität Qualität abliefert möchte, indem wir unseren Besuch dem Schnellschuss eines weniger Beflissenen schenken. Nur weil wir es nicht erwarten können und die Neuigkeit von heute Morgen schon wieder vergessen ist. Stehen wir damit unserem Anspruch an den Journalismus nicht selbst im Weg?

Da muss selbst ein Jedi um Selbstbeherrschung ringen. Ist denn unsere Aufmerksamkeitsbereitschaft mittlerweile derart gering, dass wir schon in Anbetracht der unmenschlichen Videolänge von knapp drei Minuten kapitulieren? Oder warum sonst sind von den beinahe 75.000 Views des Teasers nur magere 8.638 für das ganze Gespräch übrig geblieben? Da so etwas im Interviewbereich kein Einzelfall ist, muss man davon ausgehen, dass für den Großteil der Nutzer Interviews schlicht zu langweilig geworden sind.

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Schneller Erfolg, weniger Spaß

Soweit, so bekannt. Das Internet ist des Teufels. Doch wie komme ich zu der ungewöhnlichen These, dass uns dieses Verhalten Spielspaß kostet? Nehme ich die Nostalgie-Erinnerungen beiseite, dann stammen meine denkwürdigsten Momente aus jenen Spielen, in die ich viel Zeit investiert habe, in die ich mich hineingefuchst habe.

Dem entgegen steht eine Art Spiele-Hopping, also die virtuelle Kneipentour, in der man in keiner Bar lange bleibt, dafür umso mehr abklappert. Ein Verhalten, das durch die vielen Sales und billigen Spiele noch begünstigt wird. Wenn uns ein Spiel nicht auf Anhieb Spaß macht, verschwindet es schneller im virtuellen Spieleregal als Donuts in Springfield. Um dieses Pensum durchzuhalten, dürfen zudem einzelne Partien oder Levels die Kaffeepausenlänge häufig nicht mehr überschreiten und müssen gleichzeitig eine Belohnungsorgie veranstalten.

Dabei bin ich diesem Verhalten, wie erwähnt, selbst anheimgefallen. Meine Steam-Bibliothek quillt über vor Einträgen, die ich kaum oder gar nicht gespielt habe. Anstatt mich endlich einmal an Payday 2 zu machen, weiche ich der Lernphase aus und spiele lieber eine schnelle Runde Hearthstone. Und bin am Ende irgendwie nicht wirklich befriedigt.

Sacred 2 überbrückt lästige Ladezeiten mit kleinen, albernen Botschaften und strahlt eine angenehme Gelassenheit gegenüber der Ungeduld des Spielers aus. Mein persönlicher Favorit: »Ohh … I am loading too slowly? Ok, next time you’ll load it yourself!« Sacred 2 überbrückt lästige Ladezeiten mit kleinen, albernen Botschaften und strahlt eine angenehme Gelassenheit gegenüber der Ungeduld des Spielers aus. Mein persönlicher Favorit: »Ohh … I am loading too slowly? Ok, next time you’ll load it yourself!«

Eigentlich weiß ich ja auch, dass die wahre Faszination für mich von jenen Titeln ausgeht, denen ich meine individuellen Erfolge abringen muss. Was ist schon das Achievement-Gewitter wert, das sich bereits einstellt, wenn ich nur den Startknopf gefunden habe? Das sind keine Erfahrungen, die haften bleiben. Dafür sind sie ein Genuss, der der Schnelllebigkeit entgegenkommt.

Wir haben keine Zeit uns unnötig aufzuhalten, denn das nächste Ereignis steht schon auf der Schwelle und klopft nicht höflich, sondern tritt gleich die Türe ein. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, schnelle Erfolge zu feiern, dass wir bisweilen die Geduld verloren haben, uns auf etwas Langwieriges wirklich einzulassen. Dabei wäre doch die Belohnung dafür ungleich größer.

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