Seite 4: Civilization 6 im Test - Krone mit Kratzer

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Zum Glück keine Revolte

Maler, Komponisten und Autoren produzieren wie gehabt große Kunstwerke, die ich in Museen einlagere, um Kultur- und Tourismuspunkte zu sammeln. Archäologen buddeln außerdem wieder Artefakte aus Ruinenstädten sowie - das ist neu - aus Schiffswracks. Ich darf nun jedoch nur noch so viele Altertumsforscher anheuern, wie ich archäologische Museen besitze. Der althergebrachte Archäologen-Spam fällt damit flach.

Was ich dafür spammen, also massenhaft errichten kann, sind Städte. Denn Civ 6 bestraft Expansion längst nicht mehr so knallhart wie sein Vorgänger. Dessen landesweites Zufriedenheitssystem, das bei mittelgroßen Reichen fix zum Unzufriedenheitssystem wurde, ist nämlich Geschichte. Stattdessen wird das Volkesglück wieder pro Stadt gemessen, wie in älteren Civiliations.

Vollgebaute Karten werden sehr unübersichtlich – oder hätten Sie hier auf Anhieb den Panzer entdeckt? Hier haben wir zudem auf Morgendämmerung geschaltet, die Tageszeit samt Lichtverhältnissen lässt sich nämlich frei einstellen. Vollgebaute Karten werden sehr unübersichtlich – oder hätten Sie hier auf Anhieb den Panzer entdeckt? Hier haben wir zudem auf Morgendämmerung geschaltet, die Tageszeit samt Lichtverhältnissen lässt sich nämlich frei einstellen.

Und zwar mit dem neuen Wert »Annehmlichkeit«, den ich steigern kann, indem ich Unterhaltungsbezirke baue oder Luxusressourcen erschließe. Nur, wenn dieser Wert positiv ist, wächst die Stadt einigermaßen flink; fällt er ins Negative, drohen Revolten. Dann ploppen rund um die Stadt ein paar Barbaren-Einheiten auf - was in meinen Testpartien aber fast nie vorkommt.

Immerhin wird die Expansion dadurch gehemmt, dass Luxusgüter nur noch vier Städte beglücken statt wie in Civ 5 alle gleichzeitig - je mehr Siedlungen ich habe, desto schwieriger wird es, sie alle bei Laune zu halten. Ein wirklich ernstes Problem hatte ich damit selten, viel eher beschränkte es meine Ausbreitungspläne, dass es einfach keinen Platz mehr gab, weil die KI schon alles zugesiedelt hatte.

Civilization 6 - Preview-Video: Strategie-Experte Maurice zieht sein Fazit nach 150 Zügen Video starten 7:11 Civilization 6 - Preview-Video: Strategie-Experte Maurice zieht sein Fazit nach 150 Zügen

Die KI: Reich, aber nicht lebensfähig

Doof: Die KI rennt mit ihrem Baumeister aus der Stadt unseren Belagerern in die Arme. Doof: Die KI rennt mit ihrem Baumeister aus der Stadt unseren Belagerern in die Arme.

Vor Release des Spiels brannte den Fans - und uns - wohl keine andere Frage so sehr unter den Nägeln wie: »Was kann denn nun die KI?« Nachdem ich mich in unserer finalen Testversion endlich gegen die höheren Schwierigkeitsgrade erproben konnte, muss ich leider antworten: nicht viel. Selbst ganz grundlegende Civ-Weisheiten übersteigen den geistigen Horizont der Computergegner.

Ihre Siedler pflegt die KI am liebsten schutzlos durchs Land ziehen lassen, gern auch mal direkt an meinen Grenze oder meinen Truppen vorbei - selbst auf den höchsten Schwierigkeitsgraden. Sich die unter den Nagel zu reißen, ist auch nicht schwerer, als einem Baby den Lutscher zu stibitzen. Einmal erlebte ich auch, wie ein belagerter Feind seinen Baumeister ganz allein aus der Stadt spazieren ließ - obwohl die bereits von meinen Truppen umzingelt war!

Nun ist es nicht so, als könnte die KI überhaupt keine Herausforderung bieten. Auf höheren Stufen wie »Unsterblicher kassiert sie massive Produktionsboni (und nur das, schlauer wird sie nicht). Gerade wenn wir sie in Frieden aufbauen lassen, zieht sie schnell technologisch an uns vorbei. Wer sie in produktionsbasierten Siegtypen wie dem Forschungs- oder Kultursieg übertrumpfen will, muss sich durchaus ins Zeug legen. Aber dieses »in Frieden« ist eben auch der Haken an der Sache.

Ein Siedler ohne Eskorte? Auf dem zweithöchsten Schwierigkeitsgrad? Wir wären schön blöd, wenn wir den nicht klauen würden! Ein Siedler ohne Eskorte? Auf dem zweithöchsten Schwierigkeitsgrad? Wir wären schön blöd, wenn wir den nicht klauen würden!

Denn Kriegsführung, davon hat die KI keinen blassen Dunst. Immer wieder haben wir dabei zugesehen, wie sie eine perfekte Gelegenheit zur Stadteroberung nach der anderen verschenkte. Theo Roosevelt etwa umzingelte eine meiner Städte mit Kriegern, kloppte ihren Lebensbalken herunter, stand kurz vor der Eroberung - und meine eigene Armee musste zugucken, weil sie zu weit weg war, um einzugreifen! Mit zitterndem Mausfinger unterbreitete ich dem Gegner ein Friedensangebot - und Roosevelt nahm an! Und das, obwohl ich selbst diesen Krieg vom Zaun gebrochen hatte, indem ich ihm einen schutzlosen Siedler stahl!

Die Römer rücken mit einer großen Armee an, ziehen ihre Einheiten aber wirr hin und her. Die Römer rücken mit einer großen Armee an, ziehen ihre Einheiten aber wirr hin und her.

Ein andermal erklären mir die Römer und die Engländer gemeinsam den Krieg. Es griffen dann aber nur die Römer an, die Engländer blieben komplett passiv, obwohl ihr Staatsgebiet direkt an meines grenzte - kein Meer lag dazwischen. Die Herrschaften nippten wohl lieber am Earl Grey als zu kämpfen. Und die Römer? Schickten zwar eine riesige Armee von Streitwagen und Katapulten, die aber konfus hin und her marschierten.

So konnte ich die Invasoren mit einer Handvoll Bogenschützen zurückdrängen - und schließlich sogar Rom erobern! Wieder ein andermal rückten die Kongolesen mit einer Panzerarmee an und fuhr dann unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Ohne anzugreifen. Alles übrigens auf »Unsterblicher«, dem siebten der acht Schwierigkeitsgrade.

Die feindlichen Steinzeitkrieger reiben sich ohne Sinn und Verstand an unseren Schwertkämpfern auf. Die feindlichen Steinzeitkrieger reiben sich ohne Sinn und Verstand an unseren Schwertkämpfern auf.

Wenn die KI denn überhaupt mal so weit kommt, unsere Hauptstadt zu umstellen oder eine riesige Armee aufzubauen. Ihren technologischen Fortschritt nutzt sie nämlich auf militärischer Ebene nur selten aus. Wir kämpften auch mal gegen Sumerer, die zwar schon im Informationszeitalter angekommen waren, aber immer noch mit Speerträgern über die Karte rannten. Ein anderes Mal erklärte uns Kleopatra mutig den Krieg, verheizte ihre komplette Keulenschwingerarmee gegen unsere Schwertkämpfer und bettelte prompt um Frieden. Auch Stadtstaaten haben Probleme, ihre Truppen aufzurüsten und sind in der Moderne entsprechend leichte Ziele.

Gleichzeitig erweist sich die KI oft weitgehend außerstande, ihre eigenen Städte zu verteidigen. Lieber fährt sie mit einer Rotte Katapulte durchs Hinterland auf und ab, als die tatsächlich mal gegen meine Invasoren zu schicken. Und manchmal »vergisst« mit ihrer Stadt auf meine Einheiten zu schießen - obwohl mich das empfindlich treffen könnte. Kriege zwischen zwei KI-Spielern geraten so teils zur Farce, weil zwei stümperhafte Feldherren aufeinander prallen - der eine zu blöd sich zu verteidigen, der andere trotzdem unfähig, den Sack zuzumachen.

Verteidigung? Unsere Armee wütet völlig ungestört im sumerischen Herzland.

Wozu denn? Die komplette feindliche Armee - eine riesige Meute aus hoffnungslos veralteten Speerträgern und Katapulten - wartet derweil bewegungslos in der einen sumerischen Übersee-Kolonie.

Fortschritt braucht auch niemand! Insbesondere Stadtstaaten rüsten ihre Truppen selten auf: Hier verteidigen antike Keulenkrieger das moderne Buenos Aires.

Dass so irgendwo auf der Welt abseits unserer Reichweite ein KI-Spieler Zeit erhält, sich voll aufzubauen, weil die anderen Computergegner ihn dabei nicht stören, ist noch die größte Gefahr, irgendwann doch noch einen starken Feind zu erhalten. Dann kann der uns beispielsweise den Tourismus-Sieg unter der Nase wegklauen. Aber auch das dann eher wegen seiner Boni als wegen cleverer Konstruktion.

Die KI versäumt es des Öfteren, ihre Ressourcen zu modernisieren oder ignoriert ideale Plätze für den Bezirksbau und zieht den Campus etwa lieber umgeben von nur einem Berg hoch statt den dreien direkt daneben. Die enorm schwache KI ist eindeutig die größte Schwäche des eigentlich fantastischen Civilization 6 - und sie zieht das gesamte Spiel hinunter.

Denn all die strategische Tiefe und die durchdachten Mechaniken kommen deutlich schlechter zur Geltung, wenn unsere Gegenspieler sie schlichtweg nicht gescheit nutzen können. Okay, für Kenner ist das nichts wirklich Neues, Civilization war noch nie für seine herausragende KI bekannt. Ärgerlich ist es dennoch, weil Civ 6 damit enorm viel Potenzial verschenkt.

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