Civilization 6 im Test - Krone mit Kratzer

Civilization 6 könnte ein umfang- und facettenreiches Strategiespiel sein, die würdige Fortsetzung einer altehrwürdigen Reihe. Aber ein bedeutender Makel trübt den Glanz der Kaiserkrone.

Civilization 6 - Preview-Video: Das bislang beste Civilization? Video starten 15:18 Civilization 6 - Preview-Video: Das bislang beste Civilization?

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Unser Test zu Civilization 6 weckt in mir das schöne Gefühl, ein Kenner zu sein. Jemand, der vor dem flackernden Kaminfeuer ein Glas Whisky schwenkt, sich im Ohrensessel zurücklehnt und von den »weichen Zitrusnoten, die den rauchigen Torfkörper streicheln« schwärmt, während sich normalsterbliche Mittrinker eher an Aschenbecher-Putzwasser erinnert fühlen, in das jemand Kloreiniger gekippt hat, und nicht verstehen, was just an diesem Whisky so anders sein soll als an allen anderen.

Ein solcher Kenner bin ich bei Civilization, einer Serie, die ich seit über 20 Jahren kenne und schätze, deren Fortschritt für Außenstehende aber schwer nachvollziehbar ist. Man spielt halt immer rundenweise die Weltgeschichte nach, ne?

I wo, könnte ich seufzen, mich im Ohrensessel zurücklehnen und von all jenen Nuancen schwärmen, die nun auch Civilization 6 von den Vorgängern abheben und die bestimmt nur ich bemerke. Bloß: Es wäre Unsinn. Denn Civ 6 ändert weit mehr als Nuancen, ist weit mehr als alter Whisky in neuen Comicgrafik-Schläuchen.

Test-Update
Am 18. November 2016 ist der erste, große Patch für Civilization 6 erschienen, das 2,1 Gigabyte große Herbst-Update, das neben Interface-Verbesserungen auch diverse KI-Fortschritte bringt. Die gehen uns allerdings nicht weit genug, weswegen wir auf eine Aufwertung verzichten. Mehr zu dieser Entscheidung im Patch-Nachtest inklusive Video.

... in die Moderne ... in die Moderne
Aus der Steinzeit ... Aus der Steinzeit ...

Wie immer wächst unser Steinzeit-Nest (hier die deutsche Kaiserstadt Aachen) ...

Zwar wagt es keinen so radikalen Sprung wie Civilization 5, das 2010 die traditionell viereckigen Geländekacheln zu Sechsecken umformte und darauf nur noch jeweils eine Militäreinheit erlaubte, um die berüchtigten Armeehaufen, die »Stacks of Doom« zu entschärfen.

Doch auch Civilization 6 krempelt zahlreiche Spielkonzepte um, spinnt spannende Wechselwirkungen und wird mehr noch als Civ 5 zum Rundenstrategiespiel, in dem es stets etwas zu tüfteln gibt.

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Auch, weil der Entwickler Firaxis aus dem zum Start ungewohnt schlanken Vorgänger gelernt und wieder mehr reingepackt hat - so viel, dass sich Civ 6 wie ein Best-of von Civ 5 samt seiner beiden Addons anfühlt: Religion und Spionage, Archäologie, große Kunstwerke und Tourismus - alles drin. Okay, ein paar Dinge sind auch entfallen, etwa die goldenen Zeitalter sowie der Weltkongress samt Abstimmungen und Diplomatiesieg.

Dennoch ist Civilization 6 facettenreich und vor allem anders genug, um sich abermals dran festzubeißen. Das zumindest versichert mir ein Blick in den Spiegel und auf meine Augenringe. Denn ich habe Civ 6 tage- oder besser: nächtelang gespielt. Hat Firaxis diesmal also alles richtig gemacht? Leider nicht.

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Civilization 6 - Ist die Comicgrafik echt so schlimm? Video starten 2:37 Civilization 6 - Ist die Comicgrafik echt so schlimm?

Wunderbares Multikulti

Bei den 18 spielbaren Völkern (für Vorbesteller kommen die Azteken als 19. Partei hinzu) hat Firaxis in jedem Fall ganze Arbeit geleistet. Zwar mögen Veteranen die eine oder andere Lieblingsnation vermissen (Inka, Polen …), aber es folgen ja noch vier DLCs. Die vorhandenen Völker jedenfalls unterscheiden sich deutlich und machen mit ihren Spezialeinheiten, -gebäuden sowie-fähigkeiten Lust aufs Ausprobieren.

Russland etwa dehnt seine Grenzen besonders schnell aus und verdient mit Handelsrouten zu fortschrittlicheren Staaten zusätzliche Kultur- oder Wissenschaftspunkte. England bekommt immer dann eine kostenlose Kampfeinheit, wenn es eine Stadt auf einem anderen Kontinent gründet oder erobert, außerdem zimmern seine Spezialwerften flottere Schiffe. Die Chinesen dürfen als Einzige den Bau frühzeitlicher Weltwunder mit Arbeitern beschleunigen und Große Mauern errichten, die anfangs Gold abwerfen und später den Tourismus ankurbeln.

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Civilization 6 - Screenshots ansehen

Die Deutschen genießen Industrieboni und kämpfen effektiver gegen Stadtstaaten, die Franzosen sammeln Kulturpunkte mit schicken Chateaus, die Araber bekommen einen Großen Propheten geschenkt, sodass sie garantiert eine eigene Religion gründen können - und, und, und. Die Unterschiede sind erfreulich groß, die möglichen Spielweisen spannend; eine derartige Vielfalt bot Civilization 5 erst nach zwei Addons.

Vorwerfen kann ich Civ 6 höchstens seine Sparsamkeit bei den Spezialeinheiten. Denn davon bekommen viele Nationen nur eine einzige, die Deutschen etwa ein stärkeres U-Boot, die Azteken ihre Adlerkrieger, die erledigte Feinde zu Bautrupps versklaven. Vielleicht bringen die DLCs noch Nachschub.

Übersicht: Alle 19 Zivilisationen und Anführer von Civilization 6

... der Diplomatie ... der Diplomatie
Eine Frage ... Eine Frage ...

Die Diplomatie-Avatare sind klasse animiert. Von links: der streitlustige Philipp, die dankbare Victoria, der unzufriedene Barbarossa ...

Neu ist, dass sich die Fraktionen nicht nur unterschiedlich spielen - es fühlt sich auch anders an, gegen sie anzutreten. Denn jeder Herrscher hat zwei Agenden, sozusagen diplomatische Vorlieben, die Beziehungen beeinflussen. Die erste ist immer gleich: Die Britin Victoria etwa mag alle Völker auf ihrem Heimatkontinent und verachtet alle anderen, der Römerkaiser Trajan umgarnt große Reiche, der Spanier Philipp die Gefolgsleute der eigenen Religion.

Die zweite Agenda ist anfangs verdeckt und wird zufällig ausgewürfelt, wir müssen sie erst mal durch Handelsbeziehungen oder Spionage herausfinden. Welch Freude, als sich Victoria in einer Partie als »Darwinistin« entpuppt, die Kriegstreiber liebt und Pazifisten hasst. Das kommt meinen Deutschen entgegen, die sowieso gerne Stadtstaaten angreifen. Wenn nur dieser Perikles nicht wäre, der mit seinen Griechen am liebsten alle Zwergnationen heiraten würde…

Die Agenden verleihen den Anführern und ihren Nationen also mehr Persönlichkeit, sie schüren Konflikte und machen die Diplomatie nachvollziehbarer - zumindest theoretisch. Irgendwann kam in allen Partien der Punkt, an dem mich sämtliche Widersacher für meine militärische Expansion verabscheuten - sogar Trajan! Selber schuld, wenn mir dann eine Atombombe auf Rom ausrutscht.

Übrigens: Wie Firaxis erst kurz vor Release ankündigte, besteht sogar Raum für alternative Staatschefs mit wiederum eigenen Spezialfähigkeiten und Plänen. In der Verkaufsversion gibt es davon nur eine, die Griechen können entweder vom diplomatischen Perikles oder der Spartanerkönigin Gorgo angeführt werden. Sie wissen schon, die aus dem Film »300«. Auch unter ihrer Führung konzentrieren sich die Griechen auf Kultur - kassieren die allerdings jetzt auch dadurch, dass sie feindliche Einheiten niedermetzeln.

So lässt sich das Volk ein ganzes Stück aggressiver spielen. Allerdings bringt die zweite Anführerin auch kein völlig neues Erlebnis. Spezialeinheit, Volksfähigkeit und Sondergebäude bleiben gleich, nur die Anführerfähigkeit und die KI-Agenda ändert sich. Ich vermute stark, dass die bereits angekündigten DLCs auch ein Wiedersehen mit alternativen, ikonischen Anführern wie Bismarck oder Napoleon bringen werden.

Das Erfolgsrezept von Civilization: Warum die Serie süchtig macht

Unser deutsches Imperium umfasst den ganzen Kontinent - na ja, fast. Höchste Zeit, dass wir die englische Enklave (links) ausräuchern. Hier spielen wir Civilization 6 übrigens auf per Nvidia Surround auf zwei Monitoren. Unser deutsches Imperium umfasst den ganzen Kontinent - na ja, fast. Höchste Zeit, dass wir die englische Enklave (links) ausräuchern. Hier spielen wir Civilization 6 übrigens auf per Nvidia Surround auf zwei Monitoren.

Das Geländepuzzle

Zum Tüftelspiel wird Civilization 6 vor allem dank des neuen Distriktsystems. Ich errichte ja nun externe Stadtviertel wie ein Heiligtum für Tempel, einen Forschungscampus für Bibliotheken und Universitäten oder ein Kulturquartier mit Museen. Der Clou ist, dass sich diese Bezirke gegenseitig beeinflussen und überdies Geländeboni genießen.

Ein Industriegebiet etwa sollte neben möglichst vielen Steinbrüchen, Minen und anderen Distrikten liegen, damit seine Produktivität steigt. Ein Handelsviertel hingegen sollte an Flüsse und einen Hafenbezirk grenzen, ein Hafen an möglichst viele Fischvorkommen. So entsteht ein regelrechtes Puzzle, ich muss die Geländeverbesserungen klug vorausplanen.

Auch benachbarte Bauernhöfe stärken sich gegenseitig, ich sollte von Anfang an Platz lassen. Errichtet werden Farmen und Minen wie gehabt von Bautrupps, die ihre Projekte nun sofort fertigstellen und sich nach einer bestimmten Anzahl Einsätze auflösen. Das nervt aber nicht, sondern trägt zum Puzzlecharakter bei, weil ich gut überlegen muss, wo ich sie einsetze.

Distrikte richtig bauen: Einsteigertipps für Civilization 6

Ein norwegischer Panzer parkt auf unserem - komplett gesunden - Militärdistrikt. Das sollte eigentlich unmöglich sein, weil er den Distrikt erst mal angreifen müsste! Ein norwegischer Panzer parkt auf unserem - komplett gesunden - Militärdistrikt. Das sollte eigentlich unmöglich sein, weil er den Distrikt erst mal angreifen müsste!

Bugs in Civilization 6
Die finale Release-Version von Civilization 6 läuft grundsätzlich stabil und rund, aber nicht ganz fehlerfrei. Den schlimmsten Bug haben wir erlebt, als Theodore Roosevelt in Washington einen Militärdistrikt baute, während wir die Stadt belagerten – soweit, so gut. Diesen Distrikt platzierte die KI allerdings auf einem Geländefeld, auf dem eine unserer Einheiten stand. Der Gegner errichtete seine Kasernen also direkt unter den Füßen unserer Soldaten. Auch feindliche Einheiten standen manchmal in unseren Militärdistrikten herum, obwohl sie diese eigentlich nicht betreten dürften.

Und damit nicht genug: Bereits das unfertige Lager bei Washington konnte auf unsere Belagerer feuern! Das dürfte eigentlich gar nicht möglich sein! Zum Glück waren solche gravierenden Fehler enorm selten, in fast allen Partien erlebten wir lediglich kleinere Anzeigefehler, etwa bei der Wegfindung oder in Statistiken. Daher haben wir uns entschieden, Civilization 6 für die Bugs nicht gesondert abzuwerten.

Unsere Japaner starten auf einer engen Insel. Praktisch, dass sich alle ihre Distrikte gegenseitig stärken, sodass sie besonders kompakt bauen können. Unsere Japaner starten auf einer engen Insel. Praktisch, dass sich alle ihre Distrikte gegenseitig stärken, sodass sie besonders kompakt bauen können.

Und dann wollen auch noch die Weltwunder einkalkuliert werden. Denn auch die belegen jeweils ein eigenes Geländefeld, an das sie individuelle Standortanforderungen stellen. Der Klosterberg Mont St. Michael etwa möchte im Sumpf oder Schwemmland stehen, der Groß-Simbabwe-Palast gleichzeitig an ein Handelsviertel sowie ein Viehvorkommen grenzen. Ehrensache, dass ich Felder, auf denen Wunder stehen, nicht mehr anderweitig beackern kann - ihre Ressourcen gehen verloren.

Und Moment, sollten meine Städte nicht auch wachsen? Um ihre Wohnkapazität zu erhöhen, muss ich sie an Wasserquellen hochziehen oder einen Aquädukt errichten, der allerdings ans Stadtzentrum und einen Fluss, Berg oder See grenzen muss. Falls da Naturressourcen im Weg sind, muss ich die plätten - wehe dem, der nicht mitgedacht hat!

Neugegründete oder eroberte Römerstädte in der Nähe der Hauptstadt werden automatisch ans Straßennetz angeschlossen. Alle Wege führen eben nach Rom. Neugegründete oder eroberte Römerstädte in der Nähe der Hauptstadt werden automatisch ans Straßennetz angeschlossen. Alle Wege führen eben nach Rom.

Später baue ich zudem externe Wohnviertel, deren Fassungsvermögen von der Attraktivität eines Geländefelds abhängt: Idyllische Bergketten oder Küsten sind wohnlicher als Wüsten und platte Ebenen. Den Attraktivitätswert wiederum kann ich durch bestimmte Große Persönlichkeiten steigern.

Es gibt einfach so viele Wechselwirkungen, so viel, was ich mitdenken kann und sollte! Dadurch wandelt sich das Spielgefühl gravierend, Civ 6 fühlt sich fast wie ein Brettspiel à la »Siedler von Catan« an, in dem ich Geländekärtchen klug anordnen muss. Und das ist gut so!

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