Das Ende des PCs? - Der letzte macht das Licht an

Daniel Visarius kommentiert den erneuten Abgesang auf den PC und die Hohelieder auf Smartphones, Tablet-PCs und Konsolen.

Seit Mitte August ist der Desktop-PC offiziell tot. Laut dem Marktforschungsunternehmen Gartner wurde über die letzten drei Monate nur noch 2,434 Millionen Stück in Deutschland verkauft. Magere 27.044 Einheiten pro Tag, und darunter fallen nicht nur Desktop-PCs, sondern auch Notebooks und Netbooks. Dass da überhaupt noch jemand die Bänder anwirft! Selbst die Eltern bei IBM wollen angesichts dieser katastrophalen Zahlen nichts mehr vom 30 Jahre alten Geburtstagskind wissen. Zum Glück gibt es Smartphones und Tablet-PCs, allen voran das iPhone und das iPad. Gibt es überhaupt etwas anderes?

Bei genauerer Betrachtung können die vorliegenden Zahlen die Behauptungen mancher Medien aber nicht stützen. Ja, die PC-Verkaufszahlen gehen zurück. Laut Gartner in Deutschland um 13,3 Prozent, in Westeuropa um fast 20 Prozent. Aber weltweit steigen sie um fast neun Prozent, weil in vielen Entwicklungsländern kräftig PCs und Notebooks gekauft werden. Und ja, das iPad verkauft sich wie geschnitten Brot. Aber nein, es ersetzt nicht den PC oder das Notebook, sondern in erster Linie das Netbook, wie die schwindenden Marktanteile der großen Netbook-Hersteller Acer und Asus beweisen.

Um die sinkenden Verkaufszahlen von PCs zu interpretieren, rechne ich also zunächst mal die schwachbrüstigen Netbooks raus: Schon bei Geburt dem Tode geweiht, treten ihre konzeptbedingten Probleme nun schonungslos ans Licht. Das einstmlige Hauptargument, der niedrigere Preis im Vergleich zum klassischen Notebook greift praktisch nicht mehr. Die Nachteile dagegen, wie die maue Leistung und ein niedrig aufgelöstes Display, wiegen umso schwerer. Anders als die noch jungen Tablet-PCs haben Netbooks zudem kein Alleinstellungsmerkmal wie zum Beispiel die Multitouch-Bedienung zum bequemen Surfen auf der Couch. Ihr Marktanteil ist dementsprechend innerhalb von zwei Jahren hinter den des iPads zurückgefallen.

Daniel Visarius ist Mitglied der Chefredaktion von GameStar. Er hält nicht allzu viel von geschlossenen Plattformen. Daniel Visarius ist Mitglied der Chefredaktion von GameStar. Er hält nicht allzu viel von geschlossenen Plattformen.

Notebooks machen rund 50 Prozent aller weltweit verkauften Rechner aus, in Deutschland je nach Händler sogar bis zu 90 Prozent. Sortiert man deren Verkaufszahlen nach Einsatzzweck, entscheiden sich eher wenig Menschen für ein Notebook, um einen Desktop-PC zu ersetzen. Das Gros der Notebook-Kunden sind Neu-, also Erst-Computerkäufer. Mit dem Internet-Boom der letzten Jahre haben sich neue Nutzergruppen einen Rechner angeschafft, und für viele (wie etwa meine Eltern) kam dabei nie ein klobiger Desktop-PC in Frage. Ein Notebook lässt sich zusammenklappen und quasi unsichtbar im Bücherregal verstauen. Aufzurüsten sind die Geräte zwar nicht wirklich, aber die Plattform an sich ist genauso offen wie die eines Desktop-PCs. Bekanntermaßen benutzen rund 80 Prozent aller Internet-User ihren Rechner eh nur fürs Surfen, Emails schreiben und vielleicht noch zum Bilder archivieren. Hier liegen die eigentlichen Gründe für die sinkenden Verkaufszahlen in den wohlhabenden westlichen Ländern: Jeder hat bereits ein Notebook oder einen PC, und der erfüllt die ihm gestellten Aufgaben auch nach drei oder vier Jahren noch zur vollsten Zufriedenheit der Nutzer.

Selbst Spiele, historisch neben einem neuen Windows-Betriebssystem die größte Triebkraft für einen PC-Neukauf, stellen heutzutage kaum höhere Anforderungen an die Hardware als vor drei Jahren, bekanntermaßen liegt das hauptsächlich an der zunehmenden Multiplattformentwicklung mit der leistungsschwachen Konsolen-Hardware als Flaschenhals. Zudem braucht Windows 7 tendenziell etwas weniger Leistung als der Vorgänger Vista. Wozu einen neuen Rechner, fragen sich da Millionen PC-Besitzer. Spaß machen viele moderne Spiele durchaus auch mit einer Core-2-Duo-CPU und einer Geforce 8800 GT von 2006. Da investiert mancher sein Geld doch lieber in Smartphone, das gegenüber dem klassischen Handy einen ganz anderen Qualitätssprung bedeutet als der von einer Prozessorgeneration auf die nächste. Oder in einen Tablet-PC, der fürs Surfen und Mailen auf der Couch besser geeignet ist als jede andere zur Verfügung stehende Geräteklasse. Das Notebook steht dann immer noch auf dem Schreibtisch oder im Regal, es wird nicht ersetzt, es wird ergänzt. Und von denen, die jetzt noch Desktop-PCs kaufen, schrumpft der Anteil derer, die Komplettrechner anschaffen, von Tag zu Tag. 80 Prozent der GameStar.de-Leser bauen ihren PC auf eigene Faust zusammen, nutzen so alle Vorzüge des PCs aus: Nur da Aufrüsten, wo erforderlich. Keine dieser Anschaffungen wie eine neue Grafikkarte oder eine SSD-Festplatte tauchen in den Statistiken von Gartner oder Canalys auf, die erfassen nur komplette Rechner.

Tablet-PCs wie das iPad haben Netbooks mitterweile den Rang abgelaufen. Glaubt man manchen Marktforschern, sind als nächstes Notebooks und dann PCs an der Reihe. Tablet-PCs wie das iPad haben Netbooks mitterweile den Rang abgelaufen. Glaubt man manchen Marktforschern, sind als nächstes Notebooks und dann PCs an der Reihe.

Meine These: Es gibt nach wie vor so viele Aufgaben für Desktop-PCs und Notebooks, dass wir kein Grab reservieren müssen. Anwendungsgebiete wie High-End-Spiele, Programmierung, 3D-Rendering oder Heimserver werden auch in Zukunft deutlich höhere Anforderungen stellen als Notebook, Tablets und Smartphones liefern können. Ohne entsprechende Software aber ist eine Neuanschaffung Blödsinn. Der kommende Spieleherbst um Battlefield 3 kann da wunderbar als Test für meine Behauptungen herhalten.

PC und Notebook bleiben vermutlich noch sehr lange das Zentrum der heimischen IT-Infrastruktur. Zwar werden Tablets und Smartphones mit jeder Technikgeneration schneller, aber deren Technik unterliegt den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie die Chips in PCs: Stromverbrauch und Hitzeentwicklung beschränken die Leistung, in mobilen Geräten zusätzlich die Akkutechnologie, die längst nicht in dem Tempo fortschreitet wie die Mobilprozessoren, die gerade das Vierkernzeitalter erreichen. Dennoch: Für Anwender, die tatsächlich nicht einmal Dateien verwalten wollen, sondern mit Youtube und Facebook auskommen, kann ein Smartphone oder auch ein Tablet-PC schon jetzt alle anderen Computer im Haushalt ersetzen. Die allgegenwärtige Fragmentierung der Interessen trifft auch den Desktop-PC. Jetzt wo es Alternativen gibt, brauchen ihn in Relation zur Gesamtbasis immer weniger Anwender. Dafür ist die Gesamtbasis aber auch wesentlich breiter geworden.

Manch einer sagt nun voraus, dass künftig keine »eigene«, also im eigenen Endgerät generierte Rechenleistung mehr gebraucht wird, dass alle anspruchsvolleren Aufgaben an Serverfarmen im Internet ausgelagert werden, neudeutsch als Cloud Computing bekannt. Doch vergesse ich nicht, dass der PC geboren wurde, damit Studenten und Wissenschaftler sich nicht mehr wie zuvor die knappe Rechenleistung der Unicomputer teilen und für private Zwecke teuer mieten mussten. Er wurde geboren, damit jeder die Freiheit hat, über seine Rechenleistung selbst zu bestimmen. Was gerade stirbt, ist nicht der PC, den brauchen sogar die Cloud-Fanatiker zur Entwicklung ihrer Applikationen. Was gerade stirbt, sind die Überzeugungen, die die Entwickler offener Hard- und Software-Architekturen genauso wie Tim-Berners Lee mit der Erfindung des World Wide Webs angetrieben haben. Facebook, Dropbox, Tablets & Co. sind bequem, und das ist ihre große Stärke. Mit den Ideen von persönlichen Computern, offenen Standards und freiem Wissensaustausch über das Internet haben sie allerdings wenig gemein.

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