Börsengang
Nicht nur CDV setzt gegen Ende der Neunziger seinen Erfolg fort, der gesamte Datenbereich boomt, die Deutsche Börse führt 1997 mit dem Neuen Markt sogar ein eigenes Segment für Informationstechnologie und weitere »Zukunftstechnologien « ein.
Dort lockt eine Menge Kapital. Es ist eine Zeit, in der viele mittelgroße Softwarefirmen in Deutschland einen Börsengang erwägen, so auch CDV. Die Geschäftsleitung zögert, innerhalb der Firmenführung gibt es heiße Diskussionen. Wolfgang Gäbler fürchtet den Kontrollverlust, den eine Aktionärsbeteiligung unweigerlich nach sich zieht, er will die Unabhängigkeit der Firma bewahren. Doch zum einen besteht die Gefahr, dass die Konkurrenz an die Börse geht und mit dem gesteigerten Kapital interessante Titel besetzt. Zum anderen erscheint das Portfolio vielversprechend. Bei CDV ist man sich sicher, mit dem Strategiespiel Sudden Strike einen Hit auf der Pfanne zu haben (was sich als richtig erweist); dass dazu mit Cossacks: European Wars ein Überraschungserfolg kommen wird, ahnt aber noch niemand. Am 17. April 2000 wagt CDV schließlich den Schritt an die Börse, letztendlich als eine von doch nur einer Handvoll deutscher Spielefirmen. Der Emissionspreis der Aktie liegt bei 45 Euro. Vorbereitet hat den Börsengang maßgeblich Christoph Gerlinger, heute Geschäftsführer bei Frogster, dem Publisher von Runes of Magic.
Hand in Hand mit dem Börsengang geht ein Strategiewechsel: Die CDV Software Entertainment AG verfügt nun über genügend Kapital, um den Unternehmensschwerpunkt auf die Eigenproduktion von Spielen zu verlagern. Diese Entscheidung beruht nicht nur auf den guten Marktchancen für Unterhaltungssoftware, sondern auch auf der Passion Gäblers. »Die Firma war so breit aufgestellt, man könnte auch sagen: verzettelt, dass er mit dem Börsengang in alle möglichen Richtungen hätte gehen können«, beschreibt Martin Löhlein, damals Entwicklungsleiter bei CDV.
Aber auch innerhalb des Spielesegments herrscht weiterhin buntes Treiben. Einerseits bestätigt Wet: The Empire Cums Back 1999 das leicht schmuddelige Image von CDV, andererseits überrascht Sudden Strike die Branche mit seiner hohen Qualität. Das vor allem international erfolgreiche Strategiespiel ist nicht nur wirtschaftlich ein Meilenstein, sondern belegt auch erneut CDVs Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten. Zum ersten Mal können Spieler im Zweiten Weltkrieg die deutsche Seite steuern – und gewinnen. Das bringt die Jugendschützer auf den Plan, der Hersteller muss seinen Titel in einer Anhörung vor der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (der heutigen BPjM) verteidigen.
Die Bilanz des Börsengangs fällt durchweg positiv aus: Im Jahr 2000 verdoppelt sich der Umsatz von 1999 auf gut 14 Millionen Euro, das folgende Jahr setzt den Erfolg fort – und das, obwohl bereits im März 2000 die Dotcom-Blase platzt und Dutzende deutsche Software-Unternehmen in den Untergang reißt. Im Geschäftsbericht 2000 darf sich die CDV AG größter deutscher Publisher im Vollpreissegment nennen. Die Gründung einer amerikanischen Tochtergesellschaft unterstreicht den internationalen Anspruch des Konzerns, für deutsche Spielefirmen bis heute ein ebenso symbolträchtiger wie riskanter Schritt. CDV hat seinen Zenit erreicht.
Viele Köche ...
Mit dem Börsengang kommt das Kapital der Aktionäre, aber auch der Druck, so viele Titel wie möglich zu produzieren. Man will schnell wachsen. Der Markt ist dabei das geringste Problem, denn auch mit Top-20-Titeln lässt sich im starken deutschen PC-Segment gutes Geld verdienen.
Allerdings fehlt es an Entwicklern, um die Projekte umzusetzen, und an erfahrenen Produzenten,um sie zu betreuen. Da die meisten bekannten Studios bereits bei großen Publishern unter Vertrag sind, arbeitet CDV mit kleineren osteuropäischen Entwicklern zusammen. So wird Cossacks von GSC Gameworld entwickelt, lange bevor das Studio mit der Stalker-Reihe Bekanntheit erlangt.
Noch kniffliger ist die Lage bei den Produzenten. Es gibt nur wenige erfahrene Kandidaten, der Arbeitsmarkt ist leergefischt. Für internationales Personal ist Deutschland nicht attraktiv, weil kaum Gelegenheit besteht, mit namhaften Teams zusammenzuarbeiten. CDV hat zwar das Kapital, aber nicht die personellen Kapazitäten, um es optimal einzusetzen. Also weniger Projekte starten? Das müsste der Vorstand vor den Aktionären rechtfertigen. So kommen schließlich auf einen Produzenten fünf bis sechs Titel. Die Mentalität, möglichst viele interessante Titel ins Programm aufzunehmen, bleibt auch der Aktiengesellschaft CDV erhalten. »Das Problem war wahrscheinlich, dass sich die Firma mit dem Börsengang zu wenig verändert hat. Es blieb immer noch sehr lange das Gefühl eines mittelständischen, ja eines Familienbetriebes«, erläutert Martin Löhlein. »Man hätte sich auf weniger Titel beschränken müssen und nicht alles machen sollen, was Potenzial hat, sondern nur so viele Produkte, wie man stemmen kann. Und zwar nicht nur finanziell, sondern vor allem personell.« In den Jahren nach dem Börsengang hat CDV zwar ständig weit über ein Dutzend Spiele in Arbeit, viele erscheinen jedoch mit großer Verzögerung oder werden überhaupt nicht fertig. »Von sechs Ankündigungen sind fünf im Sande verlaufen. Ich habe große Pressepartys gemacht für Spiele, die nie rauskamen, zum Beispiel Escape from Alcatraz «, erzählt Claudia Rieflin.
Spieleentwicklung ist für Publisher ein Vorschussgeschäft, sie frisst beständig Kapital. Je länger sich ein Titel verzögert, desto teurer wird er. Die Interessen von Publisher und Entwickler sind dabei oft unterschiedlich. Während der Publisher einfach ein Produkt will, das er planbar vermarkten kann, ist dem Entwickler daran gelegen, sich mit einem möglichst guten Spiel für die internationalen Konzerne zu qualifizieren. Dazu kommt nach der Jahrtausendwende ein insgesamt härter werdender Wettbewerb. Unter die Top 20 zu gelangen, reicht schon bald nicht mehr aus, es sollten schon die Top 10 sein.
Vor diesem Hintergrund gerät CDV 2003 erstmals in große finanzielle Schwierigkeiten. In der Bilanz stehen elf Millionen Euro Verlust, die ersten betriebsbedingten Kündigungen folgen. Dabei hatte man zwischen 2000 und 2002 noch im großen Stil eingestellt und die Mitarbeiteranzahl in diesem Zeitraum auf knapp 160 mehr als verdoppelt. Nun müssen einige Dutzend Mitarbeiter wieder gehen. Der Umgang mit den Angestellten ist dabei nicht immer korrekt. Manch ein Mitarbeiter findet nach der Zigarettenpause die Kündigung kommentarlos auf dem Schreibtisch. Das Betriebsklima verschlechtert sich insgesamt.
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