Viele richtige Wege, aber einer ist richtiger
Wie viele Augmentierungen wir nach und nach freischalten können, entscheidet unser Erfahrungspunktestand, und der hängt wiederum von unserem jeweiligen Lösungsweg ab. Hier macht Human Revolution keinen Hehl daraus, dass die lohnendste Variante stets das Schleichen ist, bei der zudem möglichst niemand sterben sollte (also auch kein Schurke).
Ein getöteter Gegner etwa ist zehn Erfahrungspunkte wert, knocken wir den Kerl aus, gibt’s gleich 50. Kommen wir obendrein durchs Level, ohne dass jemand Alarm auslöst, gibt’s einen mächtigen Bonus obendrauf. Bei näherer Betrachtung ist’s mit der Handlungsfreiheit in Human Revolution also doch nicht allzu weit her. Ballerpuristen werden hier nicht auf ihre Kosten kommen, insbesondere weil die Schießereien mitunter schwieriger sind als die Schleich-und-Prügel-Lösung. Das liegt vor allem am gewöhnungsbedürftigen Waffenverhalten und dem hakeligen Deckungssystem. Freunde der leisen Schleicherei dagegen haben umso mehr Spaß an den reichhaltigen Belohnungen für ihre Lieblingsspielweise.
Story von morgen, Technik von gestern
So futuristisch die Geschichte von Human Revolution ist, so veraltet wirkt an vielen Stellen die Grafik. Beleuchtung und Farbstimmung geben dem Spiel zwar einen unverwechselbaren Charakter, ein Atmosphäre-Bremser sind jedoch die lieblos gestalteten NPC-Gesichter der Nebenfiguren. Die sehen nicht nur aus, als seien sie aus Gummi, es gibt obendrein auch nur eine Handvoll unterschiedlicher Visagen. So empfängt uns zum Beispiel gleich in der ersten Mission ein Polizeibeamter, dessen zehn Zwillingsbrüder zwei Räume weiter auf Seiten der Gangster kämpfen oder etwas später in dunklen Gassen Drogen verkaufen. Das gibt dem Begriff Familienbande gleich eine ganz neue Bedeutung.
Bei den Gesichtern und vor allem den Klamotten der Hauptfiguren hat sich Eidos Montreal wesentlich mehr Mühe gegeben, wobei wir die Animationen auch dort bestenfalls als bemüht bezeichnen können. Kein Vergleich also mit der lebensechten Mimik eines L.A. Noire, und sogar Alyx aus Half-Life 2wirkt da um Längen glaubwürdiger - und das Spiel ist sieben Jahre alt!
Letztlich wirkt nur Adam Jensen halbwegs menschlich, trotz seiner Implantate. Und, wer hätte das gedacht, Jensens deutsche Stimme ist tatsächlich besser als das englische Original. Bei den Waffensounds hat sich Eidos Montreal keine übertriebenen Mühen gemacht, die Sprecher und die Musik des Spiels sind jedoch durchweg großartig. Der kanadische Komponist Michael McCann hat hier einen ungemein eindringlich-atmosphärischen Elektro-Klangteppich gewoben, der stark an Vangelis’ Soundtrack zum Science-Fiction-Filmklassiker Blade Runner erinnert. Gänsehaut!
Kein Trinkgeld für die Bedienung
Gänsehaut der anderen Art gibt’s bei den Ladezeiten: die sind grauenhaft lang. Je nach Größe des Levels kann es schon mal eine gute Minute dauern, bis es weitergeht, auch beim Wechsel von einer Spielzone zur nächsten. Überraschenderweise hat Eidos Montreal einige Komfortfunktionen seit der letzten Preview-Version von Human Revolution wieder entfernt.
So dürfen wir jetzt die Levelkarten nicht mehr mit den Pfeiltasten scrollen, sondern nur noch durch Klicken und Ziehen mit der linken Maustaste. Hier und da fehlen außerdem wichtige Schnelltasten, etwa beim Plündern besiegter Gegner oder beim Hacking-Minispiel, das nervt. Immerhin: Das Hacken ist komplex, ohne kompliziert zu sein, und ist selbst beim hundertsten Mal noch spannend.
Human Revolution hat Macken, die nicht von der Hand zu weisen sind, aber gleichzeitig auch eine Stimmung und eine Spieltiefe, die ihresgleichen sucht. Und mit der einzigartigen Cyberpunk-Agenten-Verschwörungsgeschichte ragt das neue Deus Ex ohnehin aus der Menge heraus.
Reinrassige Shooter-Fans mit gehobenen Grafik-, aber nur geringen Rollenspielansprüchen warten lieber auf Rage, aber wer bereit ist, über grafische Schwächen hinwegzusehen, in Actionspielen ohnehin eher der Schleicher-Typ ist, liebend gern Story-Details in sich aufsaugt und auch mal zwei Stunden nur damit verbringen kann, in die Büros seiner Kollegen einzubrechen und deren Emails zu lesen (natürlich nur im Spiel, versteht sich!), der wird mit Human Revolution seine Erfüllung finden, denn dahingehend ist das Spiel nicht zu schlagen.
Wobei auch der Sechs-Millionen-Dollar-Mann noch getoppt wurde: von der Sieben-Millionen-Dollar-Frau.
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