Die Story von Far Cry 6 hatte nie eine Chance

Gute Geschichten beißen sich mit aktuellen Open-World-Trends. Dass die Story von Far Cry 6 völlig im Sand verlaufen ist, überrascht Elena deshalb kein bisschen.

Far Cry 6 unterwirft seine Geschichte einer Open-World-Philosophie, die gar nicht auf eine richtig Handlung ausgelegt ist. Far Cry 6 unterwirft seine Geschichte einer Open-World-Philosophie, die gar nicht auf eine richtig Handlung ausgelegt ist.

Kein Ende hat mich seit langem so wütend und betroffen gemacht wie das von Far Cry 6. Dabei existiert es streng genommen gar nicht. Nach dem Abspann lande ich wieder in der Open World, Hauptfigur Dani zuckt mit den Schultern und macht einfach weiter.

Und da sind sie wieder: alte Icons, neue Icons, eine Roadmap mit zig neuen Quests, DLCs, Herausforderungen und Cosmetics - neue Marker, die Ubisoft wie Stecknadeln zwischen die aktuellen Hotspots bohrt. Diese nicht enden wollende Open-World-Odyssee mag für viele aus spielerischer Sicht funktionieren, aber als Story-Fan fühle ich mich in die Irre geführt.

Geschichte und Figuren waren nie die Stärken von Far Cry. Aber die Handlung funktionierte immer als das, was sie sein wollte und fühlte sich rund an. Dem sechsten Teil fehlt diese geerdete Identität völlig. Far Cry 6 schämt sich fast für seine Story und degradiert selbst Superstar Giancarlo Esposito zum Cutscene-Hampelmann, der ab und zu aus dem Schurkenkalender vorliest.

Denn das alles steht ja der großen Live-Service-Strategie von Ubisoft im Weg, die gerade auch Singleplayer-Spiele wie Ghost Recon, Far Cry oder Assassin's Creed erfasst, wie Kollege Dimi schon scharfsinnig analysiert hat. Spiele müssen jetzt vor allem breit gefächert sein, erweiterbar, bekömmlich und vielseitig. Eine riskante Entscheidung, die für mich die Seele der großen Open Worlds gefährdet - und meine Zeit als Spielerin verschwendet.

Die Autorin: Elena Schulz (@Ellie_Libelle) hadert als Story-Liebhaberin sehr mit dem aktuellen Open-World-Trend. Ihr sind kleine, dichte und vor allem in sich geschlossene Welten viel lieber als großspurige Giganten, die noch Jahre später lahme Questaufträge vor sich hinblubbern. Für sie hat Ubisoft bei Assassin's Creed Origins und Odyssey schon eine sehr gute Mischung aus Live Service und Singleplayer-Spiel getroffen, sich dann aber in zu vielen unterschiedlichen Ideen verrannt.

Eine gute Geschichte braucht ein Ende

Früher habe ich Enden gehasst. Wie kann ein Harry Potter es wagen, vorbei zu sein und mich in dieser viel weniger aufregenden Welt zurückzulassen? Aber umringt von unendlichen Geschichten wünsche ich mir diesen harten Cut nun öfter. Er bewahrt die Vision hinter der Erzählung, verknüpft lose Fäden miteinander und schenkt der Handlung eine Bedeutung. Wenn etwas vorbei sein darf, kann sich wirklich etwas ändern. Das erzeugt ein Gewicht, das beim ersten Mafia spürbar wird, bei einem The Last of Us oder bei Mass Effect. Aber nicht bei Far Cry 6 oder Assassin's Creed Valhalla.

Diese Spiele weigern sich hartnäckig, sich festzulegen. Sie gaukeln mir gewaltige Umwürfe wie den Fall eines Diktators vor, die letztlich keinen Unterschied machen dürfen. Nur so bleibt die Story so modular wie ein Sims-Gebäude, an das man nach Belieben neue Räume zimmern kann.

Entscheidungen wirken sich maximal im Kleinen aus - will ich ein Mann oder eine Frau sein? Wer ist der Verräter? Werfe ich Karotten oder Kaninchen auf den Grill? Das große Ganze verkommt zu einem Flickenteppich kleiner Ereignisse, die mich allesamt unbefriedigt zurücklassen. Ohne Ende oder Ziel fehlt mir der Sinn hinter allem, was auch den Spielspaß dämpft. Falls es euch wie mir geht, solltet ihr euch vielleicht lieber diese Spiele mit besonders ergiebigen Story-Kampagnen vornehmen:

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Wer alles will, gewinnt nichts

Nicht nur Endlichkeit hat Wucht. Das Mass-Effect-Finale erschüttert mich auch, weil es Figuren betrifft, die mir wichtig sind. Eine gute Geschichte braucht solche Anker, die mich in der Story verhaften, weil ich mit ihnen mitfühle. Mit Dani hat Ubisoft sogar eine überraschend bodenständige und sympathische Spielfigur dafür gefunden. Ihre Geschichte will aber so gar nicht zu dem passen, was ich in der Open World aktiv erlebe.

Eigentlich begleite ich ein Waisenkind, das seine Freunde verliert, gegen seinen Willen bei Guerilla-Kämpfern landet, einen Diktator stürzt und tagtäglich mit systematischer Ausbeutung und Mord an seinen Landsleuten konfrontiert wird. Dieser blutige Morast an Leid und Ungerechtigkeit verkommt aber zu einer hohlen Kulisse für meinen Spielspaß, weil Ubisoft nicht so recht weiß, was sie damit anfangen sollen. Denn 200 Stunden Kriegsleid erträgt nun wirklich niemand, da nützt auch der schöne Live Service nichts. Aber eine Friede-Freude-Eierkuchen-Revolution ohne Opfer fühlt sich nicht weniger deplatziert an.

Dani darf nicht wie ein normaler Mensch auf das Gräuel um sich rum reagieren, sie und die anderen Kämpfer müssen mich unterhalten, ablenken, schockiert sein, aber voll funktionsfähig. Was bleibt ist ein seltsamer Kompromiss aus angedeuteter Schwere und halbgaren Reaktionen. Ja, das ist wirklich schlimm, will Far Cry 6 sagen. Aber guck mal, wir haben auch ein lustiges Minispiel mit Hahnenkämpfen und einen Dackel auf Rädern!

Ja, Chorizo ist goldig. Aber in Far Cry 6 will trotzdem nichts so richtig zusammenpassen. Ja, Chorizo ist goldig. Aber in Far Cry 6 will trotzdem nichts so richtig zusammenpassen.

Ubisoft verschätzt sich gewaltig

Mit diesem sperrigen Kontrast zwischen Gameplay und Story haben Spiele schon lange zu kämpfen. Far Cry 6 verschlimmert das Gefühl aber noch durch die Beliebigkeit seiner Handlung. In Tomb Raider akzeptiere ich irgendwann, dass Lara Croft in Zwischensequenzen über einer Leiche schluchzt, während sie in Aktion Gegner niedermäht, ohne mit der Wimper zu zucken.

Far Cry schwankt aber nicht nur zwischen heiterer Open World und brutaler Kriegsgeschichte, sondern ändert die Tonalität sogar innerhalb der Story.

Tik-Tok-Hipster feiern fette Partys und beschmieren Plakate, während daneben Bauern verzweifelt Anschläge planen und dafür ins Visier der Soldaten geraten - mit fatalen Folgen für den Widerstand. Auch wenn ich keine offiziellen Belege gefunden habe, bin ich mir sicher, dass drei großen Gebiete der Hauptgeschichte von unterschiedlichen Teams und Autoren bei Ubisoft stammen. Anders lässt sich kaum erklären, wie weit die Geschichten und Figuren auseinanderklaffen. Sie fühlen sich wie in sich geschlossene Handlungen an - bin ich einmal weg, sehe ich die Orte und Charaktere kaum wieder.

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Auch das passt zu den großen Zukunftsplänen: Ganze Teile der Entwicklung lassen sich unkompliziert auslagern und neue Gebiete aus DLCs und Updates andocken - so wie es AC Valhalla vorgemacht hat. Bei Far Cry 6 wird man aber das Gefühl nicht los, dass hier eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Es fehlt ein Creative Director, der die Vision hinter der Story hütet und immer wieder zurück in den Fokus rückt. Schon Far Cry 5 oder Assassin's Creed Syndicate ließen mich unabhängige Gebiete mit eigenen Themen und Geschichten ergründen - dennoch fühlte sich alles wie aus einem Guss an. Es schmückte die Hauptgeschichte aus, statt sie zu ersetzen.

Ohne diesen roten Faden fühle ich mich die meiste Zeit verloren. Es kommt keine Spannung auf, weil Probleme innerhalb der Gebiete schnell aufgelöst werden. Charaktere wie Libertad-Anführerin Clara verschwinden kommentarlos für 30 Stunden, bevor sie am Ende wieder ins Bild stolpern und große Gefühle von mir erwarten. Das ist überhaupt der tragischste Fehler von Far Cry 6. Es merkt zu keiner Zeit, wie kalt es mich lässt. Und dass es mich als Spielerin nicht versteht, wird dann wieder zum Problem, wenn es mich hunderte Stunden bei der Stange halten soll.

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