Seite 2: Die üblichen Verdächtigen - Sind Spieler potentielle Amokläufer?

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Unheimliche Jugendkultur

Die Medien haben offenbar eine neue Schlagzeilen-Maschine entdeckt: Die als Teil der Jugendkultur ohnehin verdächtige Welt der PC- und Videospiele läßt sich leicht auf »Spiele gleich Gewalt« verdichten. Solche Vereinfachungen sind enorm hilfreich im Kampf am Kiosk. Was noch vor wenigen Jahren Rapmusik und davor Heavy Metal war, nämlich ein prima Sündenbock, sind heute die bunten Bits & Bytes. Da werden die üblichen Vorurteile aufgefahren: Spiele machen dumm, träge und gewalttätig. Die Schwäche dieses Standpunkts wird deutlich an der Berichterstattung über die tragischen Geschehnisse von Bad Reichenhall, als ein 16jähriger Lehrling im November 1999 fünf Menschen und zuletzt sich selbst mit Gewehren aus dem Schrank seines Vaters erschoß. Der Amokschütze hatte leichten Zugang zu Waffen, in seinem Zimmer wurden Gewaltvideos und Nazi-Devotionalien wie Hakenkreuze, Hitlerbilder und Musik-CDs rechtsradikaler Bands gefunden. Trotzdem klang es in manchen Berichten so, als sei die Kopie von Resident Evil, die ebenfalls bei ihm entdeckt wurde, der eigentliche Auslöser gewesen.

Resident Evil 1: Das Horror-Adventure von Capcom gilt in vielen Presseberichten als schlimmstes Spiel aus der Konsolen-Ecke, es wurde allerdings nie indiziert. Resident Evil 1: Das Horror-Adventure von Capcom gilt in vielen Presseberichten als schlimmstes Spiel aus der Konsolen-Ecke, es wurde allerdings nie indiziert.

Auch nach den Morden von Littleton in den USA, wo zwei Jugendliche ein Massaker an Lehrern und Mitschülern verübten, wurde die Tatsache, daß die Täter Quake-Spieler waren, von vielen Berichten betont. Die Frage, warum die Minderjährigen überhaupt Waffen hatten und damit umgehen konnten, wurde nur in wenigen Artikeln gestellt. Zwar könnten gewalttätige Spiele, genau wie Filme oder Bücher, auf psychisch labile Menschen einen schlechten Einfluß ausüben - bewiesen ist das allerdings nicht. Und die Kommentatoren machen es sich mit ihrem Tunnelblick auf die gerade ins Kreuzfeuer geratenen Ego-Shooter sehr einfach. Dabei macht dieses Genre ohnehin nur einen Bruchteil aller Spiele aus: 1999 testete GameStar 362 Spiele, darunter neun Ego-Shooter, davon wurden fünf indiziert.

Halbe Pfeifen

Unreal Tournament: Obwohl spielerisch Quake 3 ähnlich, wird der Ego-Shooter nur selten erwähnt. Unreal Tournament: Obwohl spielerisch Quake 3 ähnlich, wird der Ego-Shooter nur selten erwähnt.

Halbwahrheiten, offensichtliche Verfälschungen und konstruierte Zusammenhänge: Wie oberflächlich recherchiert und auf reine Sensationsmache hin gestrickt viele Berichte sind, zeigt sich oft auf den ersten Blick. Da wird Half-Life plötzlich zu »Half-Pipe«, aus Quake 3 Arena werden gar zwei Programme, namens »Quake 3« und »Area«. Kleinkram, mag man denken, aber derartige Schlampigkeiten sind nur die Spitze des Eisbergs. Stellenweise rutscht die Berichterstattung ins Skurrile ab. Bild am Sonntag förderte beispielsweise Bilder eines Zweijährigen ans Licht, der angeblich jeden Tag zehn Stunden vor seiner Nintendo-Konsole verbringt. Er lasse sich, so das Blatt, auch vom Windelnwechseln nicht stören und könne fast ausschließlich das Wörtchen »Stirb« brabbeln, das er beim indizierten N64-Spiel Golden Eye gelernt habe - wer's glaubt...

Richtig übel wird es, wenn beispielsweise die Bildwoche neben Bilder von Computerspielen das Kinderfoto eines Massenmörders stellt. Der Autor beschäftigt sich damit, einen lockeren Zusammenhang zwischen diversen Morden und den »Killerspielen« herzustellen. Daß er dabei ganz selbstverständlich davon ausgeht, ein Großteil davon werde nicht etwa gekauft, sondern gleich »zu Tausenden von Kindern geklaut«, ist nur einer von mehreren polemisierenden (und frei erfundenen) Seitenhieben. Dabei wäre es doch gerade derartigen Presseorganen möglich, einen konstruktiven Beitrag zur Erziehung zu leisten. Einen Hinweis auf »unbedenkliche« Spiele bekommt der Leser erst ganz zum Schluß in ein paar Zeilen - und die empfohlene Liste muß er selbst anfordern.

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