Welt der Wunder
Während wir uns aber so auf der Suche nach ersten Mordfall-Indizien durch Cyseal tasten, entdecken wir die eigentliche Stärke von Original Sin: die unglaublich reichhaltige Spielwelt. Es ist keine Welt, in der wir schnellstmöglich der Haupthandlung folgen, sondern eine Welt, die vor allem durch ihre zahllosen Nebengeschichten zum Leben erwacht. Da will eine melancholische Muschel zurück ins Meer geworfen werden, ein Lasttier fleht uns an, seinen grausamen Meister abzustechen oder ein herzenskranker Troll sehnt sich nach weiblicher Gesellschaft.
Wie von der Divinity-Reihe gewohnt nimmt sich auch Original Sin keineswegs bierernst, sondern schwelgt in seinem abgedrehten Humor. Genauso oft wie wir lachen, müssen wir aber richtig schwierige Entscheidungen fällen. So treffen wir zum Beispiel auf einen Geist, der zu Lebzeiten aus Eifersucht das Schiff seiner Geliebten versenkte und dies nun auf ewig bereut – überzeugen wir den Geist seiner Geliebten, ihm zu verzeihen, oder hat er seine Strafe verdient?
In solchen Fällen kann jede unserer beiden Hauptfiguren eine eigene Meinung abgeben und hat dann mit höherem Charisma-Wert eine bessere Chance, sich durchzusetzen. Diese Gruppengespräche glänzen vor allem im Koop, wo jeder Spieler seinen eigenen Kopf haben kann. Aber auch alleine macht es Spaß, seine beide Helden mit ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten zu spielen – wer darauf aber keine Lust hat, kann auch einer der Figuren eine KI-Persönlichkeit verpassen. In jedem Fall sind die Entscheidungsdialoge durchweg erstklassig geschrieben, statt einfachem Gut und Böse haben meist beide Seiten plausible Argumente.
Noch besser wären die Gespräche aber ohne die gelegentlichen Übersetzungspatzer, wer kann, sollte lieber auf Englisch spielen. Zumal die Vertonung auch in der deutschen Version komplett Englisch bleibt – aber vertont sind sowieso nur Hintergrundgeräusche wie Marktschreier, die meisten Gespräche kommen als stumme Textfenster daher. Original Sin kann in Sachen Inszenierung nicht wirklich glänzen, macht das aber durch seine cleveren Ideen mehr als wett.
Eldorado für Entdecker
Abseits der Quests gibt es in der riesigen Spielwelt nämlich noch viel mehr zu entdecken: Charaktere mit hohem Wahrnehmungswert stoßen vielleicht auf versteckte Schätze, und nur wer die gesamte Karte abgrast, findet alle geheimen Dungeons. Original Sin lotst uns aber nie, sondern fordert unseren eigenen Entdeckertrieb – wenn wir was Cooles verpassen, weil wir nicht genau hinschauen, sind wir selbst schuld. Umso triumphaler ist dafür das Hochgefühl, wenn wir eben doch ein clever verstecktes Geheimnis zutage fördern.
Außerdem lädt die Welt zu kreativen Spielereien ein: Fast jedes Objekt lässt sich bewegen (vielleicht ist unter dieser Truhe ja eine Falltür versteckt?), fast alles lässt sich stehlen und verkaufen, wenn wir uns schlau genug anstellen. Oder zum Crafting verwenden. Aus Nägeln und einem Ast wird etwa eine provisorische Keule, und wer in den Minen Stahl abbaut, kann sich damit in der Schmiede eine hochwertige Axt fertigen.
Genauso lassen sich für die meisten Aufgaben unterschiedliche, aber immer nachvollziehbare Lösungswege finden. Kitzeln wir im erwähnten Mordfall beispielsweise durch unseren Charme neue Informationen aus den Verdächtigen heraus oder stibitzen wir ihnen ihre Schlüssel aus den Taschen und durchsuchen ihre Gemächer nach Beweismaterial? Einzig die hakelige Bedienung dämpft die Entdeckerfreude: Unsere Helden stapfen arg behäbig durch die Welt, das unübersichtliche Inventar fließt schnell über vor Crafting-Zutaten und sonstigem Krimskrams über, und die Kamera will besonders bei großen Höhenunterschieden nicht immer ganz wie wir.
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