Seite 3: Entscheidungen in Spielen - Wahl ohne Qual

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Das Dilemma, das keines ist

StarCraft 2: Wings of Libertygeht einen anderen Weg und geht dem Dilemma mit den falschen Entscheidungen einfach aus dem Weg. Weil der edle, verlotterte Weltraum-Cowboy Jim Raynor als Held keine Fehlentscheidung treffen darf, passt das Spiel die Geschichte und die Persönlichkeit der Nebenfiguren meinen Entscheidungen an. Kurz: Weil Jim Raynor als Avatar des Spielers unfehlbar ist, wird jede Entscheidung automatisch richtig. Am deutlichsten wird das im Gefängnis von Neu Folsom. Jim Raynors Mitstreiter, der Phantomkrieger Tosh, huscht unsichtbar von Zellentrakt zu Zellentrakt, befreit Gefangene und erringt einen Sieg gegen das korrupte Imperium. Neu Folsom war ein Lager für Rebellen, Intellektuelle und Opfer eines vertuschten Militärprogramms. Tosh hat bewiesen, dass er Raynors Freund ist, ein treuer Gefährte.

Starcraft 2: Das Strategiespiel passt seine Charaktere nachträglich an Ihre Entscheidung an, Tosh (links) ist entweder ein Freiheitskämpfer oder ein Terrorist. So geht Blizzard unangenehmen Konsequenzen aus dem Weg. Starcraft 2: Das Strategiespiel passt seine Charaktere nachträglich an Ihre Entscheidung an, Tosh (links) ist entweder ein Freiheitskämpfer oder ein Terrorist. So geht Blizzard unangenehmen Konsequenzen aus dem Weg.

30 Minuten zuvor muss sich Jim Raynor entscheiden, ob er Tosh hilft, die Gefangen von Neu Folsom zu befreien. Oder glaubt er der Geheimagentin Nova, die behauptet, Tosh sei ein Verräter? Wenn sich Raynor für Tosh entscheidet, folgt der Gefängnisausbruch. Wenn Raynor Nova unterstützt, sieht die Sache ganz anders aus: Auf der Avernus Station hat Tosh ein geheimes Ausbildungslager für Terroristen aufgezogen. Zusammen mit Nova vernichten Raynors Truppen das Camp und vereiteln damit Toshs geheimen Plan, unschuldige Bürger zu verletzen. Tosh war ein Verräter, der nur auf den richtigen Moment gewartet hat, Jim Raynor in den Rücken zu fallen.

Ist Tosh verräterischer Terrorist und treuherziger Freiheitskämpfer zugleich? Nein, aber StarCraft 2 umgeht damit das Dilemma, dass eine »falsche« Wahl Spieler frustrieren könnte. Die Entscheidungen, die ich in Wings of Liberty treffe, sind keine moralischen Entscheidungen. Sie erzeugen kein Szenario, in dem ich zwischen mehreren Alternativen mit fühlbaren Konsequenzen wählen kann. Stattdessen erschaffen sie Paralleluniversen, die mir versichern, stets das Richtige zu tun. Eine geniale Illusion, die aber nur so lange hält, bis ich die Alternative ausprobiere. Blizzard hält seine Charaktere bewusst offen, um sie nach Belieben umzuschreiben. Für Sebastian Stepien wäre das undenkbar: »Wenn du nicht in der Lage bist, sowohl die positiven als auch die negativen Konsequenzen einer Wahl zu präsentieren, dann solltest du es lieber ganz lassen, statt eine Entscheidung einzubauen, die sich künstlich anfühlt.«

Egal ob sich Spieler nun für Tosh oder Nova, für Gut oder Böse, entscheiden: Spielerisch macht es weder in StarCraft 2, noch in vielen anderen Spielen einen Unterschied. Die für Bioshock so wichtige Frage nach Entscheidungsfreiheit war am Ende in vielerlei Hinsicht eine Luftblase: Ob ich die Little Sisters umbringe oder beschütze, ändert bloß das Video am Ende des Spiels, spielerisch bleibt alles gleich. Die Entscheidung zwischen Gut und Böse ist somit keine Herausforderung, sondern lediglich eine Frage nach meiner persönlichen Vorliebe: Wenn ich böse sein will, bin ich's eben. Mit Nachdenken hat das wenig zu tun.

Kaum Grauzonen

Zugleich schwingen Entscheidungen in Spielen oft wild zwischen „abgrundtief böse“ und „engelsgleich gut“ hin und her. Solche Extreme nennt Sebastian Stepien »künstlich« und »langweilig«, weil sie Systeme schaffen, in denen Spieler den „guten“ oder „bösen“ Punktewert maximieren, um an spezifische Belohnungen zu kommen, statt tatsächlich über Konsequenzen nachzudenken. Wenn ich böse sein müsste, um in Knights of the Old Republic das beste Lichtschwert zu bekommen, dann hätten die Sith mit meiner Hilfe schon längst die Galaxis erobert.

Dragon Age wirft zwar interessante moralische Fragen auf, die sich aber meist auf die »richtige« Art lösen lassen -- sodass die Entscheidung zu leicht fällt. Dragon Age wirft zwar interessante moralische Fragen auf, die sich aber meist auf die »richtige« Art lösen lassen -- sodass die Entscheidung zu leicht fällt.

Und so oft Spiele wie Dragon Agefordernde, ambivalente Grauzonen aufbieten, so oft fallen sie auch zurück in bekannte Muster. In einem verwunschenen Wald hat ein Elfenmagier ein Menschendorf aus teils nachvollziehbarer, teils völlig übertriebener Rachsucht mit einem Werwolf-Fluch belegt. Nun wollen sich die Elfen und die Werwölfe gegenseitig auslöschen, beide Seiten haben verständliche Gründe -- ein Dilemma? Denkste, der Held kann den Fluch nämlich auch einfach lüften könnte und die Elfen mit den verfluchten Menschen versöhnen. Dafür kritisiert Casey Hudson seine Bioware-Kollegen: »Einfache Entscheidungen zählen nicht. Wenn es eine offensichtlich richtige Wahl gibt, dann ist die Entscheidung praktisch wertlos.«

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