Faszination Minecraft - Eckige Erkenntnisse

Über den Erfolg von Minecraft staunt die Branche Bauklötze. Irgendetwas muss das Spiel ganz schön richtig gemacht haben. Aber was eigentlich? Christian Schmidt liefert im Minecraft-Report Antworten.

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Wenn Markus »Notch« Persson seine Post öffnet, dann findet er darin Briefe von Kindern, die mit großen Buchstaben und bunten Zeichnungen Vorschläge für sein Spiel Minecraftmachen. »In letzter Zeit sehen wir sehr viele Eltern und Kinder hinzukommen«, sagt sein Kollege Carl Manneh. Neulich hatte er einen 60-jährigen Mann am Telefon, der Minecraft kaufen wollte, aber mit Paypal nicht zurechtkam. Manneh half ihm. »Das Altersspektrum der Minecraft-Spieler wird immer breiter«, staunt Manneh. Dabei war es nie für diese Zielgruppen geplant. Es gefällt ihnen einfach.

Dieser Artikel ist eine gekürzte Version des Reports »Was man von Minecraft« lernen kann aus der Making-Games-Ausgabe 4/2011. Making Games ist das Branchen-Magazin des IDG-Verlags (GameStar/GamePro) und kann über den Online-Shop abonniert werden. Die Ausgabe 4/11 mit vielen weiteren Beiträgen zu Minecraft, kann auch direkt dort nachbestellt werden. Besuchen Sie auch die Webseite makinggames.de, das Onlineportal für Spieleentwickler und Brancheninteressierte.

Minecraft: Alle reden davon

Es gefällt einfach allen. Kein durchgestyltes, marktforschungsgeprüftes Triple-A-Spiel ist der Hype des letzten Jahres, sondern ein kantiges Indie-Produkt. Alle reden davon; auf der Game Developers Conference Ende Februar war der Erfolg von Minecraft das dominante Thema.

Das Indie-Spiel Terraria ist eines der ersten klar von Minecraft inspirierten Projekte. Das Indie-Spiel Terraria ist eines der ersten klar von Minecraft inspirierten Projekte.

Dabei ist die Begeisterung der Spieleindustrie über Minecraft, nüchtern betrachtet, nicht zwangsläufig gerechtfertigt. Minecraft ist ein singuläres Ereignis, schwer zu kopieren und optisch wie inhaltlich an den Indie-Markt gebunden. Auch wenn es mit FortressCraft und Terrariadie ersten (ihrerseits sehr erfolgreichen) Ableger gibt – den Urknall eines neuen Genres, einer Welle konkurrierender Spiele wird Minecraft nicht bilden.

Im Portfolio eines Mainstream-Publishers ist es schwer vorstellbar; wenn sich dort überhaupt Sandbox-Spiele finden, etwa Ubisofts Buddelprojekt From Dust, dann als eher exzentrischer Luxus. 2,5 Millionen Verkäufe im Verlauf von einem Jahr sind für einen Indie-Titel eine immense Leistung, angesichts des Gesamtvolumens großer Triple-A-Titel aber keine bahnbrechende Größe.

Natürlich ist Minecraft im Verhältnis zu den Entwicklungskosten unerhört profitabel, aber das Entwicklungsmodell lässt sich nicht 1:1 auf andere Spiele oder Firmen übertragen – zumal 15 Euro pro Einheit jetzt, da Mojang vom Ein-Mann-Team auf neun Mitarbeiter angewachsen ist und parallele Projekte finanziert, nicht mehr zwangsläufig nach Goldesel klingen.

Das Design: Befreiende Limitierung

Minecraft taugt ob seiner Einzigartigkeit schlecht als Blaupause für künftige Spielehits. Dennoch fußt sein überraschender, vor allem überraschend nachhaltiger Erfolg auf grundlegenden Eigenschaften, die Vorbildcharakter für viele Arten der Spieleentwicklung haben. Diese Stärken sind es wert, eingehender betrachtet zu werden. Den Einstieg für unsere Analyse bilden drei einfache Beobachtungen:

Minecraft ist eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Welchen Anteil daran hat sein Entwicklungsmodell?

  • Minecraft ist ubiquitär, es dominiert den Diskurs über Spiele.
    Warum spricht jeder über Minecraft, was befeuert seine Viralität?

  • Minecraft besitzt ein ungewöhnlich hohes Begeisterungspotenzial. Warum lieben Minecraft-User ihr Spiel so messianisch – und warum fällt es anderen Spielen schwer, eine vergleichbare Faszination zu entwickeln?

Indem wir diesen Fragen nachgehen, werden wir sehen, was man von Minecraft lernen kann.

1. Form folgt der Funktion

Trotz der blockigen Grafik entwickelt das bunte, klar strukturierte Minecraft eine ästhetisch ansprechende Gesamtanmutung. Trotz der blockigen Grafik entwickelt das bunte, klar strukturierte Minecraft eine ästhetisch ansprechende Gesamtanmutung.

Spielern fällt an Minecraft immer zuerst auf, wie alt es aussieht. Minecraft ist mit seinem Blockdesign und Pixel-Look ein grafisch simples Spiel. Was nicht bedeutet, dass es auch ästhetisch anspruchslos wäre. Natürlich erkennen Spieler im Look von Minecraft den Charme des Retro-Zitats, aber man darf diese Pixelklassik als logische Konsequenz des Spieldesigns verstehen.

Minecraft sieht nicht so aus, wie es aussieht, um auf möglichst vielen PCs zu laufen (die ressourcenfressende Java-Programmierung macht es zu alles anderem als einem Low-Spec-Titel). Die Anmutung von Minecraft ist die vernünftige Folge eines Designs, das sich die Limitierungen der Spiele-Frühzeit als Ideal auferlegt: Einfachheit, Klarheit, Reduktion. Wo inhaltlich abstrahiert wird, ist die grafische Abstraktion natürlich naheliegend.

Der Wert der Abstraktion besteht darin, komplexe Konzepte so radikal zu vereinfachen, dass sie jeden Schrecken verlieren. In einer Welt, in der drei übereinandergestapelte Blöcke ein Holzpfeiler sind, muss man nur einen Block umsetzen und erhält einen Stuhl; fünf Blöcke bilden einen Türrahmen; drei Dutzend Blöcke ein Haus. Das System ist hochgradig limitierend, es gibt keine Schrägen, keine Rundungen, keine Zylinder oder Rechtecke, kein Entrinnen vor dem Raster.

Diese Limitierung ist befreiend. Jeder Mensch kennt die Erfahrung, wie sehr völlige Freiheit die Kreativität hemmt und wie sehr sie davon profitiert, wenn man ihre Spannweite begrenzt. Kinder können sich mit einem Spielzeugauto und drei Bauklötzen stundenlang beschäftigen. Verzweiflung und Tränen drohen eher, wenn man sie in den Spielwarenladen stellt und sagt: »Such dir was aus!«
Das Prinzip: übertragbar?

Kontrollbesuch: Die Neuerungen bis Minecraft 1.7 Video starten 5:33 Kontrollbesuch: Die Neuerungen bis Minecraft 1.7

Minecraft ist ein Spiel, das seine Präsentation in den Dienst des Spielerlebnisses stellt, selbst auf die Gefahr hin, dadurch unmodern zu wirken. In einer so auf Äußerlichkeiten fokussierten Branche wie unserer gehört dazu eine gute Portion Mut, wie ihn sich praktisch nur noch Indie-Studios leisten können. Wer Minecraft als Bannerführer eines optischen Retro-Trends sieht, missversteht das Spiel. Es ist ein Plädoyer dafür, dass Stil, Design und Inszenierung natürlich aus den Anforderungen der Spielmechanik entspringen sollten und nicht, wie wir im nächsten Punkt sehen, umgekehrt.

2. Ein Spiel ist mehr als Sport

Es besteht ein großer Unterschied darin, wie Kinder und Erwachsene Spiele spielen. Die Spiele der Erwachsenenwelt sind in der Regel wettbewerbsorientiert und hochgradig formalisiert. Sie funktionieren nur, wenn die festen Regeln genau eingehalten werden. Die populärsten Erwachsenenspiele haben sich als Sportarten konsolidiert, bei denen jeder Regelbruch als Verstoß gegen den Sinn des Spiels verstanden wird. Das Gleiche gilt für zwanglose Gesellschaftsspiele von Skat über Die Siedler von Catan bis hin zu Mensch ärgere dich nicht.

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Auch Kinderspiele folgen Regeln und haben Ziele. Aber genau wie das Spiel selbst entstehen diese Konditionen meistens spontan, und sie können sich ändern. Kinder integrieren fließend neue Personen, Gegenstände und Orte in ihr Spiel. Sie benutzen das, was ihnen zur Verfügung steht, zur Gestaltung des Geschehens. Kinderspiele leben von Kreativität und Vorstellungskraft, und das in einem Maß, das uns Erwachsene, wenn wir mitspielen wollen, schon nach Minuten überfordert.

Computerspiele sind, als Produkte der Erwachsenenwelt, seit jeher stark formalisiert, zumal man ihre eincodierten Regeln nicht mal dann brechen könnte, wenn man es wollte.

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