Gegen das Matchmaking - Ein Zuhause im Internet

Ohne Server stirbt ein wichtiger Aspekt bei Multiplayer-Shootern. Nämlich der soziale, findet Petra.

»Hey, den Nickname habe ich doch schon gelesen!« Denke ich, als ich neulich abends eine Runde Attrition in Titanfall 2 spiele. »Gegen den habe ich vorhin schon verloren«, denke ich weiter und freue mich trotzdem ein bisschen über das Wiedersehen. Das passiert selbst in Titanfall 2 nicht dauernd, dessen PC-Spielerzahlen so unangemessen wie traurig überschaubar sind. Ein »Hallo!« schicke ich jedoch nicht, die Chance, dass man sich an mich erinnert, ist allein wegen der Kürze der Matches und meines eigenen unspektakulären Nicks nicht sonderlich groß. Außerdem - warum sollte ich das tun? Ich kenne die Person nicht, will sie auch nicht kennenlernen und werde sie aller Wahrscheinlichkeit nach nie wiedersehen. Obendrein tickt der Rundentimer, Labereien könnten einen möglichen Sieg kosten.

Die Autorin
Nichts, wirklich nichts spielt Petra lieber als kompetitive Shooter. Die Zeiten, in denen Sie selbst an Wochentagen ganze Nächte durchgespielt hat, sind zwar lange vorbei, aber sie erinnert sich immer wieder gerne daran, wie sie in den frühen Morgenstunden solcher Nächte zwar nichts mehr getroffen, aber dafür umso mehr mit ihren Mitspielern gelacht hat.

Hallo, ihr Nasen

Noch später abends fällt mir wieder auf, wie blöd ich das finde, dass so viele Shooter neuerer Bauart ausschließlich auf Matchmaking (und Leveln und Freischalten und Lootboxen) setzen und Spiele älterer Bauart nachträglich zum Matchmaking wechseln. Und dann bin ich in meiner Erinnerung wieder für ein paar Sekunden wieder auf meinem Demon-UK-Server, wo ich gegen die immer gleichen Menschen in Instagib die Railgun auf The Longest Yard (Quake 3 Arena) zückte. Oder auf dem Server meines Team-Fortress-Classic-Clans, der, wenn er nicht gerade für Trainings oder Matches abgeschlossen war, zwar für jeden offenstand, wo sich aber dennoch die immer gleichen Namen einfanden. Oder auf dem 24/7-Array-Server (Call of Duty: Black Ops), auf dem ich für eine recht lange Zeit nahezu wohnte und nach einer Weile wusste, wen ich gerne im Team hatte und gegen wen eine Partie schon vor Beginn verloren war. Oder an die von GameStar betriebenen Half-Life- und Counter-Strike-Server, wo sich Leser und Redakteure gleichermaßen tummelten.

Ich könnte die Aufzählung noch eine Weile fortsetzen, unterm Strich lässt sich festhalten: Ohne Wenn und Aber, das war früher definitiv besser! Dass es zu jedem Shooter, den ich mochte, mindestens einen Server gab, auf dem ich mich zuhause gefühlt habe. Auf dem ich mit einem freundlichen »Hallo, du Nase!« begrüßt wurde. Auf dem ich ein nicht minder freundliches »Hallo, ihr Nasen!« in die Runde schickte. Auf dem ich die Menschen zwar nicht vis-à-vis, aber doch soweit kannte, dass lockere Witzchen oder sogar ernsthafte Diskussionen möglich waren, sofern das Spielgeschehen es zuließ. Auf dem vielleicht sogar Freundschaften entstanden und man gefragt wurde, wo man denn zum Geier geblieben sei, wenn man mal ein paar Tage lang nicht gespielt hatte.

Call of Duty: Black Ops - Multiplayer ansehen

Wie bin ich wohl an meinen TFC-Clan geraten? Indem ich mich immer mal wieder auf dessen Server getummelt habe, weil da eine ganz ausgezeichnete Stimmung herrschte. Indem die Chemie zwischen den anderen und mir stetig besser wurde und es irgendwann einfach keine Alternative mehr gab, als Mitglied zu werden. Ich gehörte doch sowieso schon dazu.

Allein unter vielen

Heute spiele ich Overwatch, Titanfall 2, das eine oder andere neuere Call of Duty und wenn ich nicht zufällig schon vorhandene Bekannte und Freunde mitbringe, bleibe ich allein unter vielen. Tatsächlich spiele ich nur noch mit und gegen irgendwelche Nicks, ohne Menschen dahinter. Der soziale Aspekt, den mir Server bieten könnten, ist durchs Matchmaking ins Nichts verpufft. Dafür ist der Tonfall noch rauer geworden, als er es ohnehin schon war: Wenn überhaupt mal jemand mehr als »gg« (good game) am Ende einer Partie tippt, dann sind's meist Beschimpfungen - und dafür mache ich auch das Serversterben verantwortlich. Es ist sicherlich selten der bewusste Gedanke »Ach, die sehe ich nie wieder, deswegen lasse ich jetzt mal meinen Frust ungefiltert vom Stapel«, der die Menschen dabei antreibt, aber Matchmaking setzt noch mal ein dickes Ausrufezeichen hinter die allgegenwärtige Anonymität und senkt die Hemmschwelle noch weiter.

Overwatch - Test-Video: Blizzards Multiplayer-Messias? Video starten 5:45 Overwatch - Test-Video: Blizzards Multiplayer-Messias?

Auf meinen Lieblingsservern hingegen ging man nicht nur respektvoll miteinander um, man kannte vielleicht sogar nach einer Weile die echten Namen der Spieler. Und dann wurde man nicht müde, diese dann auch im Chat zu benutzen, um einem eventuellen Neuankömmling auf nette Art reinzudrücken, dass er in eine bestehende Gemeinschaft reingeplatzt ist und sich seinen Platz dort erst verdienen muss.

Keine Zeit für Verbundenheit

Ja, die Uhren ticken anders als zu Zeiten von Team Fortress Classic. Die Welt dreht sich schneller, neue Spiele ploppen gefühlt im Sekundentakt auf, man weiß gar nicht mehr, wer das wann alles spielen soll. Und ich bin dankbar dafür, dass ich abends ein paar Runden in Titanfall 2 drehen kann, ohne auch noch sozialen Verpflichtungen dabei nachzukommen. Trotzdem vermisse ich meine Spiele, meine Server, das Palaver, die Witze, das Gemeinschaftsgefühl, das Wissen, dass ich ein Zuhause im Internet hatte, wo immer jemand war, den ich kannte, wenn ich die Tür dahin aufstieß. Titanfall 2 versucht, zumindest einen Hauch dieses Gemeinschaftsgefühls durch die sogenannten Networks mit ihren Kürzeln und ihren Happy Hours (mehr Erfahrungspunkte) zu erwecken.

Titanfall 2 - Screenshots ansehen

Doch so richtig will das nicht klappen, weil's eben ein vom Spiel vorgegebener Mechanismus ist, bei dem nicht die Chemie zwischen den Menschen über eine Mitgliedschaft entscheidet, sondern die günstige oder ungünstige Lage der Happy Hour. Dementsprechend wenig wird sich in den jeweiligen Lobbys ausgetauscht, dementsprechend wenig echte Gemeinschaft entsteht. Obendrein scheint es dem Matchmaking-Algorithmus völlig egal zu sein, ob mehrere Menschen eines Networks gerade den gleichen Spielmodus spielen wollen.

Ich spiele Titanfall 2 enorm gerne und werde es sehr wahrscheinlich noch ganz lange spielen, aber eine so tiefe Verbundenheit wie zu Quake 3 Arena, Team Fortress Classic oder Counter-Strike 1.6 werde ich für Titanfall 2 niemals empfinden. Weil mir die Menschen im Spiel fehlen.

zu den Kommentaren (71)

Kommentare(66)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.