Seite 2: Gone Home im Test - Keiner zuhause

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Leere Versprechungen?

Aber was ist mit ihnen passiert? Die Prämisse von Gone Home erinnert an die Mary Celeste, jenes berühmte Geisterschiff, das verlassen im Atlantik treibend gefunden wurde, die Rettungsboote fest vertäut, das angeblich noch warme Essen auf dem Tisch, die Besatzung wie vom Erdboden verschluckt.

Achtung: Spoiler-Warnung!
Das Finale von Gone Home wurde in der Redaktion kontrovers diskutiert. Wir halten es also für notwendig, im Folgenden zu beleuchten, warum uns das Ende des Spiels wirklich berührt hat - oder teils auch bitter enttäuscht. Zwar verraten wir dabei keine expliziten Details oder Wendungen, aber falls Sie Gone Home noch völlig unvoreingenommen erleben wollen, dann sprechen wir an dieser Stelle eine Spoiler-Warnung aus.

Wo sind die Eltern und Schwester Sam eigentlich abgeblieben? Wo sind die Eltern und Schwester Sam eigentlich abgeblieben?

Einspruch: Gone Home macht leere Versprechungen
(von Michael Graf)
Gone Home spielt geschickt mit den Erwartungen des Spielers. Für meinen Geschmack allerdings zu geschickt - das Ende ist ein Antiklimax aus dem Lehrbuch, als lachten mir die Entwickler schallend ins Gesicht: »Ätsch, das hättest du jetzt nicht erwartet, was?!« Das mag durchaus zeigen, zu welch augenzwinkernden Erzähl- und Inszenierungskniffen das Medium Spiel fähig ist. Und ja, die aus Notizen und Zeichnungen gewobenen Geschichten sind wunderschön zu lesen. Am Ende fühlt sich Gone Home dennoch an wie eine große, rote Wundertüte, die ich begeistert aufreiße, auspacke - und drinnen liegt Omas linker Stützstrumpf. Künstlerischer Anspruch hin oder her, für diesen ironischen Schlussakt, dieses finale Vor-den-Kopf-Stoßen bezahle ich keine 20 Euro.

Ja, man kann Gone Home vorwerfen, dass es mit gezinkten Karten spielt, eine klassische Spukgeschichte antäuscht, um dann doch etwas völlig anders, offenbar triviales zu erzählen, und wenn Michael vom Finale enttäuscht, ja aufrichtig verärgert ist (siehe Kasten), dann handelt es sich um legitime Kritik.

Aber ich teile sie nicht. Im Gegenteil: Gone Home ist gerade deshalb ein so wundervolles Erlebnis, weil es illustriert, wie dogmatisch unsere Erwartungen an das Medium inzwischen sind - und wie großartig es sein kann, wenn ein Spiel sie zur Abwechslung mal nicht erfüllt.

Toll, weil banal

Natürlich denke ich bei einem verlassenen Anwesen im tobenden Sturm unwillkürlich an eine Spukgeschichte. Aber warum eigentlich?

Wenn ich am Wochenende meine Eltern besuche und keiner ist daheim, vermute ich ja auch nicht gleich Mord, Totschlag und übernatürliche Sachen - sondern bin geradezu instinktiv davon überzeugt, dass es garantiert eine völlig banale Erklärung dafür gibt.

Bei Gone Home erwarte ich hingegen instinktiv eine Katastrophe, einfach deshalb, weil es ein Spiel ist. Dass diese Katastrophe letztlich ausbleibt (oder besser gesagt: dass es sich dabei um eine banale, weil alltägliche Katastrophe handelt), empfinde ich nicht als enttäuschend, sondern als zwingend für die Geschichte, die Gone Home erzählt.

Ein Grundschulaufsatz von Schwester Samantha. Sam spielt in der Handlung eine tragende Rolle. Ein Grundschulaufsatz von Schwester Samantha. Sam spielt in der Handlung eine tragende Rolle.

Wenn Michael sagt, dass in der vermeintlichen Wundertüte bloß ein alter Stützstrumpf liegt, dann ist das zwar völlig richtig - aber ich fände es unpassend, ja verlogen, wenn etwas anderes zum Vorschein käme.

One-Trick-Pony?

Gone Home entzieht sich also nicht zuletzt deshalb den Konventionen eines klassischen Tests, weil ich nie auf die Schnapsidee käme, es jemandem zu empfehlen, den ich nicht persönlich kenne.

Schließlich kann man es mit einiger Berechtigung als hoffnungslos überteuertes und spielerisch anspruchsloses One-Trick-Pony begreifen, als Zirkuspferd, das nur dieses eine Kunststück beherrscht - und das ist Mist.

Aber das muss man nicht. Man kann es auch als wunderbar intime Geschichte über das Erwachsenwerden begreifen, als mutiges Beispiel dafür, was Spiele können, wenn sie sich nicht wie Spiele verhalten. 19 Euro ist ein stolzer Preis für ein solches Experiment. Aber mein letzter Kinobesuch hat mit Popcorn, Cola und 3D-Schnickschnack mehr gekostet - und mich in diesen zwei Stunden längst nicht so gut unterhalten wie Gone Home.

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