Geh’ in dich
Womit sich Spiele immer schwertun werden, ist das Innenleben ihrer Helden. Weil die großen Emotionen im Spieler ablaufen, die Triumphe, die Kämpfe, die Anstrengungen. Zeit für Reflexion bleibt kaum, denn das wird als langweilig empfunden und zieht die Wertung runter. Geschieht sie zudem »passiv« in einer Zwischensequenz, werden die meisten Spieler sie wohl überspringen, um endlich wieder etwas tun zu dürfen. Natürlich haben es Bücher da wesentlich einfacher...
Noch einmal mit Gefühl.
Mitspielen ist das eine, mitfühlen das andere. Damit ein Spieler emotional am Geschehen beteiligt ist, statt einfach nur rechtzeitig ein Knöpfchen zu drücken (und Gefühle jenseits von Anspannung durchs Gameplay zu erwecken), müssen Spielsituationen einen emotionalen Mehrwert bieten, eine Motivation, die darüber hinaus geht, nur aus einer Herausforderung zu bestehen. Ein Kernproblem bleibt bei Spielen aber prinzipiell bestehen: Eine dramatische Situation ist nur beim ersten Versuch wirklich dramatisch. Besteht ein Spieler sie nicht, muss er es noch einmal versuchen. Und spätestens beim zweiten Versuch geht der Spieler die Situation mit geringerer emotionaler Beteiligung an. Er nimmt Abstand, achtet mehr auf seine Strategie. Das Gefühl wird bewusst abgeschaltet, um eine Situation zu meistern und vielleicht erst mit dem Erleben des weiteren Spielverlaufs wieder aktiviert.
...Ein Ich-Erzähler färbt die gesamte Handlung mit seiner Wahrnehmung ein, und nimmt der Autor die Perspektive des allwissenden Erzählers ein, ist der Blick in die Gedankenwelt aller Figuren möglich. Im Film kann das Innenleben von Figuren mit Dialogen, Setdesign, Kameraarbeit und Schnitt illustriert werden. Hier haben die Macher stets die perfekte Kontrolle über das, was der Zuschauer sieht und können so mit Wahrnehmung und Empathie spielen. Demgegenüber weiß ein Spieleentwickler nie, wann und wie ein Spieler etwas tut, eine Situation wahrnimmt oder im wievielten Anlauf er eine Aufgabe löst. So wenig Spieler (und Entwickler) die klassische Zwischensequenz mögen, so hat sie doch ihre Daseinsberechtigung. Sie ist eine der wenigen Chancen für ein Spiel, gezielt etwas über die Figuren zu kommunizieren. Die Alternative ist ein streng reglementiertes Spielerlebnis, wenn man also »auf Schienen« durch einen Level geht. Beispiele dafür sind Half-Life oder Max Payne, die ihre Geschichte zwar auf unterschiedliche Weise erzählen (Half-Life kommt beispielsweise völlig ohne Cutscenes aus), den Spieler aber so fest an der Hand nehmen, dass er die Handlung gar nicht verpassen kann.
Zum Schluss
Es gibt keine Checkliste, die Sie abhaken, um interessante Charaktere zu entwerfen. Aber Sie können verschiedene Ansätze versuchen, um einer Figur etwas mitzugeben, was sie aus der Masse heraushebt:
Macken: Es müssen nicht gleich nervöse Ticks sein. Aber außergewöhnliche Hobbys profilieren eine Figur: seltsame Interessen, ungewohnter Umgang. Widersprüche sind dabei erlaubt, aber es darf nicht beliebig wirken.
Sprechweise: Charaktere reden. Das Schreiben von Dialogen ist eine Kunst für sich und der beste Weg, eine Figur unvergesslich zu machen.
Geschlecht wechseln: Ein einfacher Trick, der schon bei Lara Croft verhindert hat, dass man sie nur als Indiana-Jones-Klon wahrnimmt. Aber auch bei Nebenfiguren kann es helfen, eine Situation emotional aufzuladen, indem man einer Figur einen geschlechterspezifischen Blickwinkel gibt.
An die Peripherie denken: Stellt man fest, dass der Held eines Spiels keine Chance hat, sich innerhalb des Spiels zu profilieren, kann eine schöne Biografie im Handbuch oder auf der Website des Spiels eine Alternative sein (so geschehen beim ersten Teil der Tomb Raider-Serie).
Es heißt, das Aussehen und Design einer Figur ist dann gelungen, wenn man die Figur bereits an der Silhouette erkennt. Für die charakterliche Gestaltung kann man hingegen sagen, dass es oft nur ein einziger Aspekt ist, der im Gedächtnis bleibt. Daher ist es ratsam, sich beim Entwurf eines Charakters nicht in Details seines Verhaltens zu verrennen, sondern einen grundlegenden Charakterzug zu definieren, den man immer mit ihm assoziiert und der sein ganzes Verhalten bestimmt. Viele Autoren berichten begeistert von dem Punkt, an dem ihre Schöpfung einen eigenen Willen entwickelt und Dinge in der Geschichte tut, die eigentlich nicht geplant waren.
Für Bücher und Filme mag das stimmen. Bei Spielen ist es derjenige mit Gamepad oder Maus, der einer Figur seinen Willen aufzwingt - und zum Helden wird. Falko Löffler
Der Autor
Falko Löffler ist freier Autor und Drehbuchschreiber. Er wurde 1974 im hessischen Lauterbach geboren. Er hat Literatur- und Medienwissenschaft in Marburg studiert und mit einer Magisterarbeit über »Narrative Strukturen in Computerspielen« abgeschlossen. Danach arbeitete Falco einige Jahre als Schreiber beim Frankfurter Spieleentwickler Neon Studios. Seit 2003 ist er freier Autor. In dieser Zeit hat er Texte zu einer Vielzahl von Spielen geschrieben, an Drehbüchern einer Krimiserie mitgewirkt sowie drei Fantasy-Romane veröffentlicht.
Dieser Artikel erschien im Making Games Magazin Ausgabe 03/2009. Das Making Games Magazin ist die führende deutsche Publikation für Entwickler von Videospielen. Bei makinggames.de finden Sie alles Wissenswerte über Jobs in der Branche, Events in Deutschland, Best Practice in Studios und vieles mehr.
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