Hall of Fame: Mafia - So geht Shooter mit Geschichte

2002 machte Illusion Softworks’ Gangster-Epos nicht nur dem Platzhirsch GTA 3 Konkurrenz. Es zeigte auch, dass Ballerspiele eine Geschichte erzählen können

Dieser Artikel erschien ursprünglich in Ausgabe 10/2010 der GameStar.

Das typische Gespräch in einem Taxi: »Wo soll's denn hingehen?« - »Zum Bahnhof.« - »Ich fahre über den Ring, dann sind wir in Nullkommanix da.« - »Gut. Ist das Wetter hier eigentlich immer so schlecht?« Lieber Leser, steigen Sie nun bitte nicht aus, denn nicht jeder Taxi-Smalltalk läuft derart belanglos ab. Wer etwa bei Thomas Angelo hinten drin sitzt, der hat garantiert jede Menge Gesprächsstoff. Wobei Tommys Taxifahrer-Leben zu Beginn von Mafia fast genauso trostlos verläuft wie meine regnerische Fahrt zum Bahnhof.

Zumindest bis der charmante Chauffeur eines Tages mehr oder minder zufällig in ein turbulentes Abenteuer schlittert. Ein Abenteuer, das in Sachen Spannung, Dramatik und Inszenierung auch heute noch jeden aktuellen Genrevertreter mühelos in seine Schranken weist und Mafia zu einem der besten Actionspiele aller Zeiten macht. Als ich Mafia im September 2002 zum ersten Mal spiele, erzeugt schon das Intro Gänsehaut. Während die Namen der Programmierer und Designer über den Bildschirm flimmern, zieht die Kamera sanfte Kreise über eine fiktive, an New York erinnernde Metropole Anfang der 1930er-Jahre: Lost Heaven. Ich staune über imposante Wolkenkratzer, die sich aus dem Morgenrot schälen, qualmende Autos, die durch die Straßenschluchten tuckern, und gut gekleidete Passanten, die in malerischen Parks flanieren - der perfekte amerikanische Traum.

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Während orchestrale Streichermusik aus den Lautsprechern schallt, lenkt das Spiel meinen Blick auf Tommy, der gerade ein nobles Café irgendwo auf Central Island betritt. Drinnen sitzt ein mit Bleistift bewaffneter Detective, gespannt darauf, was der mysteriöse, im edlen Nadelstreifenanzug auftretende Typ zu erzählen hat. Tommy ist Mafiosi, ein hoch dekorierter obendrein. Doch Tommy will aussteigen, auch und vor allem, um seine Familie zu schützen. Der Polizist verspricht, dem Gangster zu helfen, wenn dieser auspackt. Also berichtet Tommy in Rückblicken, wie er vom Taxifahrer zu einem der respektiertesten Mafiosi der Stadt aufstieg. Ein genialer Schachzug der Autoren. Denn zum einen macht er den Helden Tommy als Identifikationsfigur für mich sofort greifbar. Zum anderen will ich nun unbedingt wissen, was in seinem Leben passiert ist.

Der tschechische Entwickler Illusion Softworks wurde 1997 von Petr Vochozka und dem Risikokapitalgeber Cash Reform gegründet. Zu den größten Erfolgen der Firma zählen die Taktik-Shooter-Serie Hidden & Dangerous, Mafia sowie die Dschungel-Ballerei Vietcong. Im Januar 2008 wurde Illusion Softworks von Take 2 Interactive übernommen und in 2K Czech umgetauft. Nach Mafia 2 arbeitete das Team zunächst am mittlerweile eingestellten Actionspiel Enemy in Sight und den Tennisspiel Top Spin 4 für Konsole, bevor es mit Mafia 3 wieder zur Serie zurückfand.

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Ein waschechter Gangster-Thriller

Warum mich Mafia auch heute noch derart beispielhaft in seine Geschichte zieht, liegt an der Liebe zum Detail, die der tschechische Entwickler Illusion Softworks bei den Charakteren an den Tag legt. Da gibt es den stotternden Ralph, der zwar nicht gerade der Hellste ist, dem man beim Thema Autos aber so schnell nichts vormacht. Oder Don Salieri, der im verrauchten Hinterzimmer seiner Kneipe mit harter, aber ehrenwerter Hand die Strippen zieht und Tommy unter seine Fittiche nimmt, als dieser zu Beginn des Spiels von verfeindeten Mafiosi verfolgt wird.

Drama: Fantastisch animierte Zwischensequenzen erzählen die packende Handlung. Drama: Fantastisch animierte Zwischensequenzen erzählen die packende Handlung.

Dass Tommy dadurch allzu einfach auf die schiefe Bahn gerät, kann ich verschmerzen, denn Mafia weiß die Entwicklung seines »Helden« motivierend in Szene zu setzen. Anfangs noch mit simplen Geldeintreiberjobs abgespeist, verschafft sich Tommy durch seine Integrität schnell Respekt in der Salieri-Familie und bekommt nach und nach wichtigere Aufträge anvertraut, lernt schnellere Autos zu knacken und darf mächtigere Knarren einsetzen. Dadurch entsteht ein regelrechter Sog:Was erwartet mich in der nächsten Mission? Wohin verschlägt es mich diesmal? Was passiert danach?

Es passiert viel: Ich liefere mir heiße Schießereien im Parkhaus des Corleone- Hotels, schalte am heruntergekommenen Hafen von Lost Heaven raffiniert versteckte Scharfschützen aus, setze die Fahrzeuge von Salieris Erzfeind Morello mit Molotov-Cocktails in Brand oder schmuggle mich als Matrose verkleidet auf einen Party-Dampfer, um einen Gouverneur möglichst publikumswirksam auszuschalten, selbstredend mithilfe einer im Wasserkasten der Bordtoilette versteckten Pistole - Coppolas Filmklassiker Der Pate lässt grüßen. Mafia vermischt solche Actioneinlagen regelmäßig mit ruhigen Momenten nebst klasse vertonten,aufwändig animierten Dialogen, was das rund 15-stündige Gangster-Epos zueinem dramaturgisch nahe zu perfekt in Szene gesetzten Thriller macht.

Humorlose Polizisten

Action: Tommy ballert gerne jede Menge Mafiosi aus ihren Lackschuhen. Action: Tommy ballert gerne jede Menge Mafiosi aus ihren Lackschuhen.

Doch das Mafialeben hat auch seine Schattenseiten, und selbst die Nostalgie kann die Erinnerung an so manch dämliche Design-Entscheidung nicht verklären. Was habe ich geschimpft über die peniblen Streifenpolizisten, die jedes überfahrene Rotlicht und jede noch so kleine Temposünde ahnden! Oder über die geizig platzierten Speicherpunkte, die mich nach einem unfreiwilligen Tod oft an den Anfang einer Mission zurücksetzten. Oder aber - Sie ahnen es bereits - über das berühmt-berüchtigte Autorennen, bei dem Tommy mit einem Rennwagen Platz 1 im starken Feld belegen sollte.

Ohnehin schon schlimm genug, dass ich in der Nacht zuvor mit dem PS-starken Superboliden ohne Unfall von A nach B und wieder zurück nach A heizen musste. Das eigentliche Turnier aber war wegen des zickigen Fahrverhaltens eine besonders harte Herausforderung für meine Nerven. Das merkten wohl auch die Entwickler: Kurz nach dem Erscheinen des Spiels schob das Team einen Patch nach, der unter anderem den Schwierigkeitsgrad des Autorennens um einige Stufen herunterschraubte.

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Von solchen Macken (und auch der mittlerweile überholten Grafik) abgesehen sind die letzten acht Jahre nahezu spurlos an Mafia vorübergegangen. Nach wie vor beeindruckt die stimmungsvolle Spielwelt durch ihre Größe, Abwechslung und liebevollen Details. Nach wie vor ziehen die Figuren und Missionen vorbildlich in die packende wie wendungsreiche Geschichte. Nach wie vor staune ich über die lebensechten Animationen und hervorragend geschriebenen Dialoge. Und nach wie vor muss ich beim emotionalen Ende der Geschichte mit den Tränen kämpfen. Das ist wohl das höchste Lob, das man einem Spiel machen kann.

Mafia 3 in der Preview: The Sound of Violence

Deswegen legendär

• packend erzählte Geschichte

• markante Charaktere

• stimmige Spielwelt

• Gangster-Flair pur

• das fiese Autorennen!

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