An den 11. August 1999 erinnere ich mich noch genau. Da war nämlich Sonnenfinsternis. Falls Sie die Gnade der späten Geburt genießen, also damals noch mit der Trommel um den Esstisch rannten, dann lassen Sie mich kurz hinzufügen, dass eine totale Sonnenfinsternis zu jenen Momenten gehört, die man schon alleine deshalb behält, weil man sie mit mathematischer Sicherheit nie wieder zu Gesicht bekommt.
Das ganze Spektakel selbst ist natürlich längst nicht so spektakulär wie es klingt: Man setzt sich seine Sonnenfinsternisbrille auf, guckt in den Himmel, macht pflichtschuldig »Ah!« und »Oh!« und denkt sich anschließend, dass das ganze Spektakel längst nicht so spektakulär war, wie es geklungen hat.
Und dann macht man mit dem Leben weiter - oder überlegt sich, wie man die verbleibende Dienstzeit möglichst sinnfrei vertrödelt, um nach Dienstschluss endlich System Shock 2 spielen zu können.
Dieser Artikel erschien bereits im Februar 2013 auf GameStar.de. Aus aktuellem Anlass - der Ankündigung von System Shock 3 und dem Comeback der Entwicklerlegende Warren Spector - haben wir ihn noch einmal neu veröffentlicht. Außerdem kann man über System Shock 2 gar nicht genug schwärmen.
Kein Spiel für den Krieg
Es ist so wunderbar bezeichnend, dass System Shock 2 ausgerechnet an einem Tag veröffentlicht wurde, der sich für immer in mein Gedächtnis gebrannt hat - eine Woche früher oder später und ich hätte den Releasetermin für diese Zeilen nachschlagen müssen, denn damals leistete ich meinen Grundwehrdienst, und diese Zeit habe ich allenthalben unter »törichte Verschwendung eines grundsätzlich völlig brauchbaren Lebensjahres« abgespeichert.
Ach, System Shock 2! Deinetwegen verschlief ich am folgenden Morgen den Appell und wurde von einem verknöcherten Hauptfeldwebel mit dem Humor eines nordkoreanischen Gefängnisaufsehers angebrüllt, dass sich mit »meinesgleichen« ja wohl kein Krieg gewinnen lasse (als ob »seinesgleichen« einen gewonnen hätte).
Deinetwegen blieb ich zum ersten Mal in meinem Leben mit dem Auto liegen, weil ich bei der Wahl zwischen »tanken« und »ohne Umweg nach Hause fahren, um weiterzuspielen« die Treibstoffbedürfnisse meines Nissan Sunny fatal unterschätzte. Und deinetwegen jagen mir putzige kleine Äffchen inzwischen eine Scheißangst ein.
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Horror für den Kopf
System Shock 2 ist eines jener ganz wenigen Spiele, die ihr Medium transzendieren, Grenzen aufreißen. Klingt schrecklich hochtrabend, ist aber trotzdem so, denn Entwickler Irrational Games bedient sich - bewusst oder unbewusst - eines brillanten Kunstgriffs: Der eigentliche Horror spielt sich nicht vor meinen Augen ab, sondern in meiner Vorstellungskraft.
Das Gemetzel auf der »von Braun«, jenem ersten menschlichen Raumschiff mit Überlichtgeschwindigkeit, das ein Universum entdecken will und seinen Untergang findet, das blutige Chaos an Bord der »UNN Rickenbacker«, die als Geleitschutz fungieren soll und der Bedrohung so hilflos gegenüber steht wie ein neugeborenes Baby - das alles findet ohne mich statt. Ich erfahre es häppchenweise über Audio-Logbücher der Besatzung, Puzzleteile, die sich in meiner Fantasie zu einem viel beängstigenderen Ganzen zusammensetzen, als es die technischen Möglichkeiten des Jahres 1999 je hätten inszenieren können.
System Shock 2 bleibt zeitlos, weil sein Schrecken nicht visuell funktioniert, sondern unterbewusst. In gewisser Hinsicht erinnert es mich an Spielbergs »Der Weiße Hai«, der deshalb wirkt, weil er den Hai nicht zeigt - und dafür sorgt, dass das Tier in meiner Vorstellung zu einer beinahe mythischen Bedrohung wird, die kein Modell und kein CGI-Effekt auch nur ansatzweise nachstellen kann.
In beiden Fällen, System Shock 2 und »Der Weiße Hai«, legten technische Defizite (Spielberg wollte seinen Hai ursprünglich öfter zeigen, aber das mechanische Modell ging dauernd kaputt) etwas frei, das alle folgenden Effekte-Feuerwerke so nie wieder eingefangen haben.
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