Fliegende Scheren, doofes Papier
Und dieses Einheitenverlieren, das geht schnell. Denn Deserts of Kharak fußt auf einem brutalen Schere-Stein-Papier-Prinzip: Während eine schwere Railgun über den halben Bildschirm gepanzerte Gegner zerlegt, hat sie gegen einen Trupp leichter Angriffsfahrzeuge keine Chance. Denn diese flinken LAF umkreisen das Geschütz wie Indianer eine Wagenburg, sodass die Railgun nicht mal mehr zum Zielen kommt.
Die LAF wiederrum kriegen gegen zielsuchende Raketen keine Schnitte, denn denen ist das Rumgekurve total egal. Angriffs- und Schlachtkreuzer sind zwar bis an den Rand mit schweren Kanonen und Spezialattacken vollgepackt, gehen bei Artillerie- und Railgunbeschuss aber schneller ein als ein Zimmerfarn in der Sahara.
Dennoch wackelt die Balance bedenklich, spätestens mit Erforschung der Jagdbomber, von denen unser Trägerflaggschiff bis zu 15 bunkern kann. Denn die Flieger sind schneller am Ziel als jede Bodeneinheit, verschießen aus fast narrensicherer Distanz zielsuchende Raketen und drehen sofort wieder ab. Wobei »zielsuchend« wirklich zielsuchend heißt, denn im Gegensatz zu Railgun, Panzerkanone und Co. treffen die Luft-Boden-Raketen nahezu immer ihr Ziel und durchschneiden Panzerung wie Papier.
Und selbst wenn der KI-Gegner Flugabwehr-Einheiten mitführt, verlieren wir kaum Flieger, weil ihre Hit-and-Run-Taktik schlicht keine Zeit zur Gegenwehr lässt. Aber es kommt noch schlimmer: Feindeinheiten lassen sich immer wieder regungslos aus der Luft zusammenschießen. Wir haben das in verschiedenen Einsätzen ausprobiert; selbst nach drei, vier Luftschlägen und einem Dutzend verlorener Kumpel wartet der Rest wie eine Herde Kühe auf den Metzger, statt sich wenigstens mal zurückzuziehen. Und Rohstoff-Ernter bleiben gerne mal regungslos neben abgebauten Vorkommen stehen - selbst unter Beschuss.
Tödlicher Träger
Die Rohstoffe gibt's in den Varianten Rot und Blau, wobei Rot öfter vorkommt, und das seltenere Blau für hochwertige Einheiten wie Kampfkreuzer und Flieger draufgeht. Meist haben wir zwar genug davon. Aber wenn wir doch unsere Flieger versehentlich verheizen, weil wir feindliche Flak übersehen haben, und neue bauen müssen, ist das Rohstofflager ratzfatz erschöpft. Neben gelangweilt herumliegenden Ressourcen verstecken sich zudem vor allem die blauen in großen Wracks, die an vorgegebenen Kartenpositionen aus dem Sand ragen.
Unsere Heldin Rachel kann diese Trümmer aufsprengen, dann purzeln die Rohstoffe heraus - falls wir sie erreichen. Denn die Wracks liegen gerne hinter den feindlichen Linien und generell überhaupt nicht da, wo wir eigentlich hinmüssten. Also müssen wir Umwege in Kauf nehmen, spannende Sache. Freigesprengte und herumliegende Ressourcen lassen sich mit Erntern in Versorgungskreuzer oder unser Träger-Flaggschiff schleppen. Was im Vergleich zu den hektischen Gefechten unglaublich lahm vonstattengeht, hier hätte dringend eine Zeitbeschleunigung hergemusst.
Auch die Einheiten bewegen sich überaus gemächlich, sodass zwischen einzelnen Gefechten immer mal wieder Leerlauf entsteht, und wir unseren Panzern und Erntern beim Herumschnecken zuschauen müssen. Und nicht nur eine Beschleunigungstaste fehlt, auch die restliche Tastenbelegung lässt sich zum Release noch nicht ändern. Das kann nerven.
Beispielsweise müssen wir umständlich »F« drücken um die Kamera an eine Einheit zu heften, statt wie in den alten Homeworlds einfach die mittlere Maustaste. Und den Kartenausschnitt verschieben wir nicht mit WASD, sondern mit den Pfeiltasten. Die Entwickler überlegen, eine Änderungsoption einzubauen, falls es sich als »wichtig« herausstellt. Wir würden sagen: Ja.
Immerhin finden wir in gesprengten Wracks immer wieder mal Artefakte, die wir in unseren Träger packen können. Das bringt uns Instant-Boni wie Rabatte beim Kreuzerbau, aber auch Boosts für unseren Träger. Zum Beispiel eine verbesserte Kühlung, mit der wir mehr aus unserem Flaggschiff rausholen.
Wir dürfen nämlich dessen Energie auf vier Systeme verteilen: reaktive Panzerung, automatische Reparatur naher Einheiten, Feuerkraft und Waffenreichweite. Mit jeder Mission wird unser Träger somit stärker, aber eben auch überstark, vor allem mit Reparaturkreuzern im Geleit. Das fett gepanzerte Kriegsschiff mit überlegener Bewaffnung und Reichweite reißt im Alleingang ganze Panzerkolonnen und Geschützbatterien ins Verderben.
Rettender Mehrfrontenkampf
Kurzum: Die Kapisi ist auf allen drei Schwierigkeitsgraden schlichtweg übermächtig. Viele Missionen kann sie im Alleingang schaffen: Statt uns umständlich mit Rachel in eine Feindbasis zu stehlen und per EMP-Schlag Geschützturm-Kontrollsysteme auszuknipsen, können wir genauso gut mit dem Träger außenrum fahren und die Kanonen mit Raketen ausknipsen. Das Argument »dann macht das halt nicht!« lassen wir dabei nicht gelten. Denn der gefährliche Weg mit Rachel ist dann ungefähr so reizvoll, wie auf den Mount Everest zu klettern - um oben festzustellen, dass auf der anderen Seite eine Rolltreppe hochführt.
Noch krasser: Zum Kampagnenende hin kann das Mutterschiff sogar einen Marschflugkörper abschießen. Der lädt zwar sehr, sehr lange nach, zerlegt beim Einschlag aber komplette Truppenverbände. Und zwar auch, wenn wir ihn auf der Sensorkarte aufs Geratewohl dorthin schießen, wo rote Kringel Feindverbände andeuten. Falls wir verfehlen, laden wir einfach den Spielstand und schießen woanders hin. Unsere normalen Einheiten brauchen wir so nur noch für Notfälle.
Oder eben für diejenigen Missionen, in denen der Träger keine tragende Rolle spielt. Etwa, weil er hinter einer schmalen Schlucht parken muss, die zu eng für ihn ist. Oder weil es an mehreren Fronten brennt, an denen er nicht gleichzeitig sein kann. Dann fährt Deserts of Kharak seine Stärken auf, ständig müssen wir Ernter beschützen, Stellungen halten, angeschlagene Schlachtkreuzer retten, an mehreren Fronten aufpassen.
In seinen besten Momenten entwickelt Deserts of Kharak eine wundervolle Hektik, alles passiert gleichzeitig, wir verlieren Railguns an flinke Angriffsbuggys, die Krezer geraten unter Artilleriebeschuss, die Bomber sind beim Anflug ins Flakfeuer geraten. Dann zwingt uns das neue Homeworld auch zu Fehlern - und das ist klasse! Beispielsweise müssen wir blitzschnell entscheiden, ob die Sensoren-Kringel jetzt eine harmlose Zweimann-Patrouille verpetzen oder ob da unser Untergang anrollt. Wohin schicken wir Truppen? Brauchen die Ernter Schutz? Kann Rachel unbehelligt irgendwelche Wracks erreichen?
Spätestens dann müssen wir ständig auf die schematische Sensorkarte wechseln, die drei große Vorteile hat: Sie zeigt fast die ganze Map und alle sichtbaren Einheiten als taktische Symbole. Und wir dürfen weiter Befehle erteilen, können theoretisch sogar das ganze Spiel hier verbringen. Und drittens: Sie ist angenehm kühl-blau, nicht wüstenbraun!
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Dein Kommentar wurde nicht gespeichert. Dies kann folgende Ursachen haben:
1. Der Kommentar ist länger als 4000 Zeichen.
2. Du hast versucht, einen Kommentar innerhalb der 10-Sekunden-Schreibsperre zu senden.
3. Dein Kommentar wurde als Spam identifiziert. Bitte beachte unsere Richtlinien zum Erstellen von Kommentaren.
4. Du verfügst nicht über die nötigen Schreibrechte bzw. wurdest gebannt.
Bei Fragen oder Problemen nutze bitte das Kontakt-Formular.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Nur angemeldete Plus-Mitglieder können Plus-Inhalte kommentieren und bewerten.