2005
World of Warcraftübernimmt die Macht. Jeder, so scheint es, ist in Azeroth unterwegs. In Bussen, auf Schulhöfen und wahrscheinlich selbst in der SPD-Parteizentrale bestimmen Fachsimpeleien über Buffs, Raids und Mobs den Alltag. Wir fragen uns: Warum überhaupt noch Hefte machen, wenn sowieso niemand mehr ein anderes Spiel braucht? Unsere Bedenken zerstreuen sich, als im Juni ein weiterer Superhit folgt: Battlefield 2. Das war’s dann. Die einen spielen World of Warcraft, die anderen Battlefield 2. Wir fragen uns erneut, warum wir überhaupt noch Hefte machen.
Aber so dramatisch sieht’s dann doch nicht bei der Themenlage aus. Das ZDF sorgt für den Aufreger 2005. Frontal 21 bringt den Bericht »Gewalt ohne Grenzen - brutale Computerspiele im Kinderzimmer«, wir bringen später 51.000 Unterschriften von empörten Spielern beim ZDF vorbei. Unterschriften gegen unfaire, unsachliche und schlicht falsche Berichterstattung.
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Das Riesenspiel
In den USA startet die als Spiel getarnte Modedroge World of Warcraft am 23. November 2004, die deutsche Version folgt mit vier Monaten Verspätung am 11. Februar 2005. Weil wir das Spiel allerdings unbedingt schon vor dem deutschen Starttermin ausgiebig testen wollen, muss ein amerikanischer Account her.
Den kapert der Betatest-Veteran und Tester Michael Graf kurzerhand vom US-Korrespondenten Roland Austinat (»Aber ich wollte den Account einem Freund zum Reinschnuppern geben!« - »Bin schon eingeloggt!«) Schließlich gibt’s in GameStar 03/05 90 Punkte für eines der wichtigsten Spiele dieser Generation, einen Koloss, der das Online-Rollenspiel-Genre zwar nicht neu erfindet, aber dank seiner Zugänglichkeit dem Massenmarkt öffnet.
Bereits im April 2005 verzeichnet Azeroth weltweit über zwei Millionen Einwohner und überholt so den bisherigen Spitzenreiter Lineage aus Korea. Zeitweilig liefert Blizzard keine neuen Exemplare mehr an Händler, um die ächzenden Server nicht noch weiter zu belasten. Ein Phänomen ist geboren, das in seiner Hochzeit Ende 2010 rund 12 Millionen Menschen fesselt und den MMO-Markt bis heute prägt - auch wenn die Abonnentenzahlen inzwischen schrumpfen, derzeit sind’s noch rund neun Millionen.
Frontal daneben
Am 26. April 2005 sendet das ZDF-Magazin »Frontal 21« einen Bericht namens »Gewalt ohne Grenzen - brutale Computerspiele im Kinderzimmer«. Die reißerische Panikmache unter dem Deckmäntelchen öffentlich-rechtlicher Berichterstattung verärgert die Spielerschaft - und natürlich auch GameStar. In einem offenen Brief fordern wir den ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender auf, »in Zukunft das Themenfeld PC- und Videospiele mit Fairness zu behandeln. Eine Unterhaltungsform, die von Millionen Deutschen friedlich genutzt wird, verdiente eine differenziertere Betrachtung, keine Stammtisch-Polemik.«
Zugleich starten wir eine Petition und sammeln 51.000 Unterschriften von Spielern, die’s genauso sehen. Das ZDF zeigt sich gesprächsbereit, am 2. September übergibt unser Chefredakteur Gunnar Lott die Unterschriften an Brender, den Frontal-Autor Rainer Fromm, den Redaktionsleiter Dr. Claus Richter und den Moderator Theo Knoll. Das folgende Gespräch endet jedoch nicht im Konsens, Dr. Richter beharrt darauf, dass der Frontal-Bericht auf »anerkannte Missstände« hinweise. Wir nehmen uns vor, uns weiter gegen unsachliche Berichterstattung zu wehren und für die Spieler einzusetzen.
Das Ende des Druckers
August 2005: Schon zum zweiten Mal stapeln sich in den Redaktionsfluren die Pappkartons, wir ziehen in ein frisches Verlagsgebäude. Das prominenteste Opfer des Umzugs ist der »Drucker ganz am Ende«, dessen Auftritte bis dahin jede Episode von »Die Redaktion« krönten: Immer musste der Kollege Jörg Spormann zum Abschluss durch den langen Gang zum Drucker latschen, und nie durfte er das Druckerzeugnis mitnehmen, weil irgendwas (Fisch, Blendgranate, Drive-by-Shooting) dazwischen kam.
In den neuen Büros gibt‘s aber nur steril-moderne Druck-Fax-Kopier-Kolosse, also geht der alte Tintenspucker in den Ruhestand - und wird in der Folge »Die Quest« (Ausgabe 12/05) fachgerecht zu Klump geschlagen.
Der Kaffee-Skandal
Eigentlich sollten bei 2k Games die Sektkorken knallen: GTA: San Andreasist im Oktober 2004 für die Playstation 2 erschienen, am 7. Juni 2005 folgen die Version für den PC sowie die Xbox - und die Verkaufszahlen entwickeln sich bestens, bis 2008 werden weltweit 22 Millionen Exemplare über die Ladentheken gehen. Im Test in Ausgabe 08/95 verleihen wir dem Gangsta-Abenteuer zudem satte 90 Wertungspunkte.
Also alles gut? Denkste, im Juni 2005 sorgt eine holländische Mod mit dem unscheinbaren Namen »Hot Coffee« für Furore. Die schaltet ein Sex-Minispiel frei, das die Entwickler ursprünglich deaktiviert hatten: Wenn der Held CJ eine Freundin lange genug bezirzt hat, lädt sie ihn auf eine Tasse Kaffee ein - und die beiden hüpfen in die Kiste.
Dabei bleibt San Andreas überaus züchtig, das Liebespaar behält sogar seine Klamotten an. Was in Europa nur als kurioses Detail beschmunzelt wird (auch in unserem Test), explodiert in den prüden USA und in Australien zum Skandal. Während die Australier das Spiel gleich ganz verbieten, heben die Amerikaner die Altersempfehlung von »Mature« (ab 17) auf »Adults Only« (ab 18) an. Daraufhin weigern sich alle namhaften Handelsketten, GTA: San Andreas anzubieten - aus Angst, als Pornographie-Verkäufer gebrandmarkt zu werden.
Hastig strickt der Entwickler Rockstar eine neue Version ohne Liebes-Minispiel, ein Patch entfernt es zudem aus bereits verkauften Fassungen. Dennoch verklagen zahlreiche Spieler den Publisher 2k Games - und erringen zumindest einen Teilsieg: Jeder Käufer, der ein schriftliches Statement unterzeichnet, dass ihn die Liebesszenen verstört haben, bekommt ein sexfreies San Andreas und 35 Dollar Schadenersatz. Bis 2008 nahmen über 2.600 Spieler das Angebot an, insgesamt dürfte der Rechtsstreit 2k Games über zwei Millionen Dollar gekostet haben. Und all das wegen einer kleinen Mod.
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