Abends schart sich die Sippe ums Lagerfeuer, um bei Far Cry Primal ihre Jäger-und-Sammler-Bedürfnisse zu stillen. Eine gelungene Berglöwen-Zähmung erregt die Aufmerksamkeit der besten aller Lebensabschnittsgefährtinnen: Das sieht ja alles sehr interessant aus, sie will das Spiel selber ausprobieren werden.
Schon ist die Option »Neues Spiel« gewählt, und wir sind nur noch einen Klick von einer Katastrophe entfernt: Dem Überschreiben meines Spielstands (es sind schon Beziehungen aus weitaus weniger gravierenden Gründen gescheitert). Denn Far Cry Primal gehört zur wachsenden Gruppe der Neuveröffentlichungen, die ein elementares Grundrecht des Anwenders mit den Füßen treten: die Freiheit, verschiedene Spielstände anzulegen. Warum eigentlich?
Festplatten-Kapazitäten werden in Terabyte gezählt, links und rechts gibt's üppigen Cloud-Speicher - aber viele moderne Spiele tun so, als müssten wir noch um jedes Kilobyte kämpfen. In der Heimcomputer-Frühsteinzeit, als man seinen Zwischenstand allen möglichen dubiosen Medien anvertraute, wurde anstandslos geladen, was ins Laufwerk kam.
Doch heutzutage nerven Titel wie Far Cry Primal mit idiotischen Einschränkungen: Ich habe 60 Euro für Software hingelegt, die es mir möglichst schwer macht, mit verschiedenen Zwischenständen zu experimentieren? Die zu verhindern versucht, dass andere Haushaltsmitglieder das Spiel mal ausprobieren können, ohne den Fortschritt (und die geistige Gesundheit) des Haupt-Users zu gefährden? Diese »Du sollst nur einen Spielstand haben«-Unsitte irritiert mich spätestens seit Bioshock: Infinite - und in letzter Zeit greift die Seuche verstärkt um sich.
Wenn die Kulisse zum Kaufgrund wird: Far Cry Primal im PC-Test
Der Autor
Heinrich Lenhardt (50) ist seit 1984 als Spieleberichterstatter tätig und war schon bei der GameStar-Erstausgabe im Autorenteam. Er konzipierte und leitete eine Reihe von Spiele-Zeitschriften, darunter Power Play (1987), PC Player (1992) und Buffed-Magazin (2007). In seiner Freizeit schreibt er E-Books wie »Lenhardts Spielejahr 1984« und plaudert beim Spieleveteranen-Podcast mit. Schon vor drei Jahrzehnten durfte er verschiedene Spielstände auf Bändern, Disketten oder Modul-Batterien sichern. Umso geringer ist sein Verständnis für Neuerscheinungen, welche die Verwaltung von Save-Files unnötig erschweren.
Rätselhafter Spielstand-Abbau
Was haben Metal Gear Solid 5, Just Cause 3 und die neue PC-Version von Dragon's Dogma gemeinsam? Es sind Open-World-Spiele, deren Entwickler die Verwaltung mehrerer Spielstände nicht auf die Reihe gekriegt haben. Ubisoft fällt besonders unangenehm auf, weil sich in der Hinsicht einige Serien des Publishers über die Jahre verschlechtert haben. Frühere Versionen von Assassin's Creed und Far Cry erlaubten sehr wohl das Speichern mehrerer Files, doch bei den jüngsten Ausgaben gibt's nur einen Save pro Installation.
Ein klarer Rückschritt, passend zum prähistorischen Primal-Szenario? Das wäre zumindest besser als gar keine Ausrede, denn einen sachlichen Grund für diese Verweigerung gibt es nicht. Wir reden hier ja nicht von einem aufwendigen Mega-Feature, das die Entwicklungskosten um Millionen in die Höhe schrauben würde.
Der gesunde Menschenverstand gibt angesichts solcher Zustände auf: Hunderte von Profis arbeiten in internationalen Studios an der Produktion verschwenderisch schöner Riesenspielwelten, aber niemand ist in der Lage, mal eben ein Menü zum Verwalten verschiedener Spielstände coden? So schwierig kann das nicht sein. Man schaue sich nur erfolgreiche Genrevertreter wie The Witcher 3 oder Fallout 4 an, wo ich gänzlich unreglementiert lustig speichern darf, soweit die Festplatte reicht (oder, auf den Konsolen, die Speicherslot-Begrenzung - noch so eine Unsitte).
Was bleibt also als Ausrede für die Einzelsave-Nötigung außer künstlerischem Quatsch à la »Die Vision des Designers kann die Existenz mehrerer Spielstände nicht dulden«? Im Zweifelsfalle tippt man auf finanzielle Interessen, aber irgendwie macht auch das keinen Sinn. Glaubt wirklich jemand, dass sich mehr Einheiten verkaufen lassen, wenn man seinen zahlenden Kunden das Leben möglichst schwer macht?
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Gute und böse Speicher-Behinderungen
Einschränkungen beim Speichern können durchaus sinnvoll sein. Bei einem Titel wie Dark Souls 2 ist es für Spannung und Motivation wichtig, wenn ich nicht nach jedem überstandenen Kampf quicksaven und mich so langsam nach vorne sterben kann. Die Endorphin-Freisetzung bei Erreichen des nächsten Lagers ist auch dieser Strenge zu verdanken, die Verweigerung des freien Speicherns wird zum wichtigen Bestandteil des Gesamtspielerlebnisses. Aber auch die hammerharten Souls-Titel erlauben das Anlegen mehrerer Spielstände, zwischen denen man wechseln kann, um verschiedene Charaktere auszuprobieren und andere Haushaltsmitglieder spielen zu lassen.
Selbst die Nintendo-Serie Fire Emblem, die wesentlichen Anteil an der Permadeath-Renaissance hat, bietet eine Auswahl an Slots, um Spielstand-Alternativen zu archivieren. Spiele dürfen schwer sein und einschränken, wann ich speichern darf Aber dass sie mir vorschreiben wollen, wie viele Spielstände ich anlegen kann, mag ich gar nicht einsehen.
Das Umgehen des Save-Notstands ist nicht unmöglich, aber mit Aufwand und Risiken verbunden. Bei Spiele-Downloads können Ordner der relevanten Files identifiziert und manuell kopiert werden, bevor man das Programm startet. Aber Obacht mit der Cloud-Synchronisation, da kann schon mal etwas überschrieben werden, was man eigentlich bewahren wollte. Einige Anbieter machen die Suche nach dem richtigen Ordner zu einem regelrechten Puzzlespiel. Dann bedarf es der Lektüre von Forumsdiskussionen, um beispielsweise sachdienliche Hinweise zum Spielstands-Aufenthaltsort von Far Cry 4 zu entdecken (»cb1b896a-3422-4711-a09f-ef3177e85688/856« ist ja auch naheliegend).
Ein anderer Workaround könnte das Anlegen verschiedener User-Profile sein, zwischen denen man hin und her wechselt - sofern der zur Spiellizenz gehörige Online-Dienst das Einrichten von Sub-Accounts erlaubt. Das klingt für mich alles ebenso mühsam wie gefährlich - und vor allem überflüssig: Warum soll ich durch solche brennende Reifen springen müssen, um einen zweiten Spielstand zu verwalten? Dafür, dass die Branche so gerne von »Spielen als Service« schwadroniert, wirkt das erstaunlich kundenverachtend.
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Plädoyer für den Backup-Save
Liebe Leute, das Leben ist linear und folgenschwer genug - lasst uns doch in Spielen den Spaß und die Freiheit, verschiedene Parallelexistenzen zu pflegen. Mehrere Save-Slots geben mir ein Gefühl der Sicherheit, nicht nur in Bezug auf die Konsequenzen von Story-Entscheidungen. Es könnte ja auch ein technisches Problem auftreten, das mir einen bestimmten Spielstand vermasselt; an Bugs herrscht in Open-World-Titeln wahrlich kein Mangel. Da schlafe (und spiele) ich erheblich ruhiger, wenn ich zur Not auf ein anderes File ausweichen kann.
Am ärgerlichsten ist das Spielstand-Gezicke aber wegen der Sozialfeindlichkeit: Da will man die Freude an einer Neuanschaffung im sozialen Umfeld teilen, doch die Umstandskrämerei bei der Save-Ablage dämpft die Ausprobierlust. Falls es tatsächlich einen guten Grund für diese Ein-Spielstand-Politik geben sollte, würde er mich brennend interessieren - mein Verdacht: Es gibt keinen. Meinen guten Rat für die Verantwortlichen darf ich passendweise in Primal-Grammatik packen: Du machen mehr Save, sonst mächtig Keule!
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