Erzählen oder Inszenieren? - Das BioWare-Dilemma

Bioware hat sich vom Geschichten-Guru zur Inszenierungs-Institution gewandelt. Benjamin Danneberg, freier Autor und Co-Tester von Dragon Age: Inquisition, fragt: Ist das Verrat an der eigenen Vergangenheit oder eine notwendige Entwicklung?

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Als Co-Tester von Dragon Age: Inquisition schrieb ich in meinem Fazit, dass die alten Tugenden der von mir mit beinahe religiöser Inbrunst verehrten Rollenspielhelden von Bioware kaum noch zu spüren sind: konsequente und widerspruchsfreie Geschichten, Charaktere mit Ecken und Kanten sowie eine emotionale Bindung an das Geschehen.

Stattdessen serviert mir in Inquisition eine austauschbare Story sowie stromlinienförmige Charaktere mit wenig Erinnerungswert, dafür aber eine grandiose Inszenierung und wundervolles Weltdesign. Ich wurde von Lesern gefragt, ob ich diese Entwicklung mit den abschließenden Worten meines Fazits (»Das alte BioWare ist tot! Lang lebe das neue BioWare!«) gutheißen würde. Das möchte ich - nach meiner Antwort in den Artikel-Kommentaren - auch an dieser Stelle noch mal ausführlicher erklären.

Das alte Bioware hat mit der Baldur's Gate-Saga zeitlose Klassiker geschaffen, an die (meiner bescheidenen Meinung nach) seitdem kein Rollenspiel mehr herangekommen ist. Auch nicht Dragon Age: Origins – obwohl es ein würdiger Nachfolger war. Mit Dragon Age 2 hingegen handelte sich Bioware von Seiten der Spielerschaft heftige Prügel ein.

Der düstere, dreckige Fantasy-Stil aus Origins war einer comichaften Visualisierung gewichen. Gebiete wurden schamlos recycelt und die Charaktere blieben weitgehend blass. Talente waren auf eine konsolentaugliche Anzahl zusammengestaucht und die Taktikansicht – die Draufsicht von oben, die Origins so gut umgesetzt hatte – tja, die hatte Bioware mal eben ganz gestrichen. So nicht, Freunde!

Inspiration aus Himmelsrand

Mit Inquisition wollte Bioware diese Scharte auswetzen, versprach taktische Gefechte und eine liebevolle PC-Umsetzung. Zudem sollten eine epische Story samt tiefgreifender Entscheidungen den wackelnden Thron der kanadischen Rollenspielmeister wieder festigen. Das ist ihnen sowohl ge- als auch misslungen. Um das zu verstehen, müssen wir analysieren, wie Bioware sich verändert hat, und nach welchen Maßstäben es heute Spiele entwickelt.

Dazu möchte ich Mark Darrah zitieren, den Executive Producer von Dragon Age: Inquisition: »Skyrim hat die Landschaft der Rollenspiele radikal verändert. Ich meine, [dessen Vorgänger] Oblivion hat sich vielleicht sechs Millionen Mal verkauft, Skyrim kommt auf 20 Millionen verkaufte Spiele. Das verändert zu einem gewissen Grad einfach alles.«

Dragon Age: Inquisition - Screenshots ansehen

»Nun hat man plötzlich 15 Millionen Leute, die ihre ersten Rollenspiel-Erfahrungen mit Skyrim gemacht haben. Die haben völlig andere Erwartungen an das Storytelling, an die Erkundung der Welt - und ich denke, dass es das Element der Erkundung ist, das sich am meisten verändert hat«, erklärt Darrah. » Ich weiß nicht, ob Rollenspiele zwangsläufig das dominierende Genre [der neuen Konsolengeneration] werden, aber ich denke, dass die Open-World-Erkundung diese Konsolengeneration dominieren wird.«

Die Inspiration für Inquisition kommt also aus Himmelsrand. Alle haben Skyrim in den Himmel gelobt: Hach, was für ein tolles Spiel! Die Wertungen knallten unter die Decke und jeder musste es spielen – ich natürlich auch.

Groß ja, emotional nein

Die Schauplätze von Inquisition sind sehr atmosphärisch. Die Schauplätze von Inquisition sind sehr atmosphärisch.

Aber jetzt spiele ich mal den Ketzer: War Skyrim denn wirklich so gut? Ich persönlich denke nicht. Ich habe es nicht ganz durchgespielt, obwohl ich viele Stunden darin verbracht habe. Die Story war kaum vorhanden und teilweise bloß eine Aneinanderreihung von »Hol mir diesen oder jenen Gegenstand von da oder dort«-Versatzstücken.

Entscheidungen? Ein Spiel, dass sich damals mit seiner spielerischen Freiheit brüstete, erlaubt mir nicht mal, mit den arroganten, radikalen Dominion-Spitzohren kurzen Prozess zu machen. Nein, ich als Nord, der die Thalmor leidenschaftlich hasst und Himmelsrand seine Heimat nennt, ich musste mir von diesen abscheulichen Typen sogar Befehle erteilen lassen! Skyrim hat mir nie wirklich erlaubt, Stellung zu beziehen. Ich zu sein. Eigentlich war ich bloß ein ziemlich persönlichkeitsbefreiter Spielball von Skriptvorgaben.

Schürte keine großen Emotionen, hatte aber eine großartige Atmosphäre: Skyrim. Schürte keine großen Emotionen, hatte aber eine großartige Atmosphäre: Skyrim.

Was hat Skyrim so toll gemacht? Die offene Welt (in der sich aber auch ziemlich schnell alles wiederholt hat). Die Atmosphäre (düster und dreckig). Die Dynamik (Drachenangriffe und andere, unvorhergesehene Ereignisse). Die actiongeladenen Kämpfe (Auch wenn die ebenfalls irgendwann Routine wurden). An diese Dinge kann ich mich gut erinnern. Emotional und narrativ bot es aber nichts. Gar nichts, wenn man von den sehr guten Hintergrundgeschichten in den vielen Büchern absieht.

Mark Darrahs Aussagen überraschen mich daher nicht. Bioware hat sich bei Dragon Age: Inquisition von Blockbustern wie Skyrim und Assassin's Creed leiten lassen. Denn auch das lese ich aus dem obigen Zitat heraus: Die Entwickler kamen zur Einsicht, dass sich simpel zu bedienende Konsolenspiele mit fettem Inszenierungsbombast einfach viel, viel besser verkaufen.

Damals, als früher war

Früher hingegen war das Markenzeichen des alten BioWare: das Charakterdesign! Lasst mich kurz in der Zeit zurückgehen und ein Positivbeispiel für die gelungene emotionale Bindung an Geschehnisse und Personen erzählen. Ich kann mich an jede Menge große Momente in der Baldur's Gate-Saga erinnern, aber eine Sache beschert mir heute noch beim bloßen Erinnern Gänsehaut.

Viconia

Kennt ihr noch Viconia, die Drow? Drow-Dunkelelfen sind im Dungeons & Dragons-Szenario schlicht und ergreifend böse. Nun konnte ich mich entscheiden, Viconia vor dem Tode durch rachsüchtige Menschen zu retten, und ich konnte mich entscheiden, sie mitzunehmen – trotz der negativen Auswirkungen auf das Ansehen, das meine Gruppe bei anderen genoss.

Durch viele, viele Gespräche und auch abhängig von meinen Taten (Ja, damals war beides noch ausschlaggebend für mein Ansehen beim Begleiter!) gelang es mir, einen verborgenen Ton in ihrem Innersten anzuschlagen, der für Drow gelinde gesagt unüblich ist: Sie begann Liebe und Mitgefühl zu empfinden. Das hat sie derart verunsichert, dass sie irgendwann meine Gruppe verließ, um sich darüber klar zu werden, was da mit ihr passierte. Mir war nach den vielen Stunden und der dichten Atmosphäre des Spiels schlicht zum Heulen zumute.

Aber das war noch nicht dieser großartige Moment. Denn Viconia kehrte irgendwann zurück. Meine Freude war ... okay, ich will das hier nicht noch kitschiger gestalten, ihr könnt euch das sicher lebhaft vorstellen. Es entspann sich eine Beziehung zu Viconia. Diese Beziehung hatte mit ihrem Beginn auch nicht ihr Ende erreicht, die Gespräche gingen weiter und zwar auf eine andere Art, auf eine vertraute Art.

Wird immer wieder als die Genre-Referenz herangezogen: die Baldur's Gate-Saga, hier Baldur’s Gate 2. Wird immer wieder als die Genre-Referenz herangezogen: die Baldur's Gate-Saga, hier Baldur’s Gate 2.

Und irgendwann, nach vielen weiteren Gesprächen (Ja, es war damals extrem wichtig, sich gut zu überlegen, was man sagte!) und entsprechenden Handlungen war es dann soweit: Viconia hatte sich von der bösen Gesinnung zur neutralen Gesinnung gewandelt. Das ist ein absolutes Novum in der gesamten Saga und diesen Moment werde ich niemals vergessen: Ich habe durch mein Reden und Handeln die Gesinnung eines Begleiters geändert!

Dragon Age: Inquisition kennt diesen Tiefgang überhaupt nicht. Es gibt keinen solchen emotionalen Hintergrund, keine Sinnkrisen, keine richtigen Wechselwirkungen zwischen Moral und Verhalten und Ansehen. Die Charaktere sind nicht schlecht, aber sie sind völlig austauschbar und an kaum einen werde ich mich in zwei Jahren noch erinnern. Aber: Das geht mir mit Skyrim jetzt schon so.

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