Jan Theysen, Geschäftsführer von King Art: »Wir waren euphorisch. Unser erstes großes eigenes Spiel, das Adventure »The Book of Unwritten Tales«, erhielt Traumwertungen von der Presse und verkaufte sich noch Wochen nach dem Release hervorragend. Es zeichnete sich ab, dass wir – im bescheidenen Rahmen des Genres – einen Hit gelandet hatten. Und nicht nur das: Wir waren Co-Publisher, hatten eigenes Geld in das Projekt investiert und konnten uns daher auf einen ordentlichen Gewinn freuen.
Außerdem gab es bei unserem Publisher HMH optimale Bedingungen für eine weitere Zusammenarbeit. Wir hatten ein sehr engagiertes Team, viel künstlerische Freiheit und den Willen, gemeinsam zu wachsen. Das nächste gemeinsame Projekt sollte ein Rollenspiel werden. Viel größer als ein Adventure, der nächste logische Schritt für uns. Unser Konzept kam gut an, das Projekt sollte starten. Es mussten nur noch einige Fragen zur Finanzierung geklärt werden …
Lesson learned #1 – Hörst du es, ist es bereits zu spät
Plötzlich tauchten Gerüchte auf. Rechnungen würden unpünktlich bezahlt, also selbst für Publisher-Verhältnisse… Aufträge würden nicht erteilt, Zulieferer wollten nur noch per Vorkasse arbeiten. War das möglich? HMH war eine Tochter von Langenscheidt! Ein grundsolides, vertrauenswürdiges Unternehmen. »Noch NIE ist eine Langenscheidt-Tochter in Insolvenz gegangen. Wenn es Probleme gibt, wird eine Langenscheidt-Tochter heimlich, still und leise abgewickelt. Eine Insolvenz würde viel zu viel Aufmerksamkeit erregen.« Denkste! Wenn bei dir als Entwickler ankommt, dass es bei einem Publisher rauchen könnte, brennt schon längst die Hütte.
Lesson learned #2 – Vergiss es
»So 50-80 Prozent Quote wird am Ende rauskommen. Wenn’s gut läuft auch 100 Prozent. Eigentlich ist das nur so etwas wie ein Cashflow-Problem. Das Unternehmen wird natürlich fortgeführt!«
Zu dem Zeitpunkt, als wir solche Sätze aus Richtung der HMH-Chefetage und des Insolvenzverwalters hörten, betrug die »Quote« (der Anteil der Schulden, die das insolvente Unternehmen seinen Gläubigern zurückzahlen kann) rund 30 Prozent. Und es gab noch eine Reihe offener Forderungen und werthaltiger Marken. Wir dachten, vielleicht bekämen wir zumindest die Hälfte des Geldes zurück, das HMH uns schuldete...
Vergiss es! Egal, wie viel Geld das insolvente Unternehmen noch hat, dein Geld ist weg.
Unser Anwalt, der schon mehrere Insolvenzen begleitet hatte, riet uns, mit zwei bis drei Prozent Quote zu rechnen. Es sei davon auszugehen, dass sich, sobald die Insolvenz erst einmal eröffnet sei, schreckliche Probleme ergeben würden und sich sehr viele einfache Dinge plötzlich nicht mehr klären ließen; bis sich dann, kurz bevor die Reserven des insolventen Unternehmens aufgebraucht seien, alle Probleme in Luft auflösten und sich plötzlich wie von Geisterhand Lösungen ergäben. Er sollte Recht behalten.
Lesson learned #3 – Wir sind in der falschen Branche
Ein Insolvenzverwalter soll versuchen, ein angeschlagenes Unternehmen weiterzuführen und Arbeitsplätze zu sichern. Dafür muss er mit den Gläubigern schwierige Verhandlungen führen, denn die müssen auf einen Teil ihres Geldes verzichten. Hunderte Verträge, dutzende Gläubiger, Millionen von Euro. Um diese schwierige Aufgabe meistern zu können, wird der Insolvenzverwalter vom Gesetz mit allen nur erdenklichen Möglichkeiten ausgestattet. Und so lange er sich nicht grob fahrlässig verhält, kann man ihn kaum für Fehlentscheidungen belangen. Man kann ihn auch fast nicht mehr loswerden oder austauschen, egal wie ungeschickt er sich anstellt. Und gleich nach dem Staat (Steuern) erhält als allererstes der Insolvenzverwalter sein Geld aus der Masse.
Man kann sich als Gläubiger nicht des Gefühls erwehren, dass man indirekt vor allem Anwälte, sinnlose Prozesse und Gutachten bezahlt. Ebenso fließt Geld an Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und vermeintliche »Brachenexperten«, die dann auch gerne mal diejenigen sind, die das insolvente Unternehmen gegen die Wand gefahren haben (die wissen schließlich, wie man’s macht). Währenddessen schmilzt die Quote für uns Gläubiger zusammen. Es scheint ein Systemfehler zu sein: Der Insolvenzverwalter will Geld verdienen. Und je länger seine Mitarbeiter mit einer Insolvenz beschäftigt sind, desto mehr Stunden kann er in Rechnung stellen.
Wir haben also ein gewinnorientiertes Unternehmen mit Narrenfreiheit, das mehr Geld verdient, je mehr es ein Verfahren in die Länge zieht. Na, liebe Game Designer: Wer entdeckt den Exploit?
In der Praxis heißt das: Probleme werden nicht gelöst, Abmachungen gebrochen, Verträge nicht eingehalten, es wird sich nicht gekümmert, es wird auf die Bremse getreten – alles so lange man dem Insolvenzverwalter nur Inkompetenz und einfache Fahrlässigkeit, nicht aber Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit unterstellen kann.
Wenn ihr es moralisch vertreten könnt, werdet Insolvenzverwalter. Es ist einer der wenigen Jobs auf der Welt, bei dem man mehr verdient, je unfähiger man sich anstellt. Aber ganz ehrlich, man wünscht nicht einmal seinem größten Feind, einmal auf der anderen Seite stehen zu müssen.«
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Dieser Artikel erschien in Ausgabe 06/2011 des Making Games Magazins.
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