Ich glaube an den Fortschritt. Ich glaube daran, dass die Welt von Morgen eine bessere ist, weil sie uns fast magische Möglichkeiten eröffnet. Dann wird beispielsweise das »Internet der Dinge« dafür sorgen, dass das Hundehalsband selbst merkt, wann der beste Freund zum Tierarzt muss, sich flugs mit Herrchens Online-Terminkalender abstimmen und automatisch einen Termin vereinbaren. Und dank Mixed-Reality-Brille sehen wir bald durch die Wand, wo der Autoschlüssel liegt, weil er einen Ortungschip implantiert hat.
Wie meinen? Es ist der Albtraum aller Datenschützer, dass alles um uns herum immer und überall mit allem verbunden ist, sodass ein Hacker nur den kleinen Finger heben muss, um unser komplettes Privatleben zu durchleuchten? Nun, stimmt. Deshalb muss auch die schöne, neue Welt klaren Regeln gehorchen. Ihre Gefahren dürfen nicht kleingeredet, sondern müssen offen diskutiert und bekämpft werden.
Fortschritt darf niemals Zwang und Bedrohung sein, sondern eine Chance. Dafür muss man den Menschen die Angst vor der Veränderung nehmen. Indem man ihre Sorgen ernst nimmt, und auch, indem man nie zu viel auf einmal verändert, um niemanden zu verschrecken. Diese Verantwortung trägt jeder, der an der Welt von Morgen arbeitet.
Der Autor
Michael Graf hält sich nicht für konservativ, findet es aber nie verkehrt, Menschen mitzunehmen. Also nicht um Mitternacht den Kuttenträger mit der Hakenhand, der starr an der nebligen Tankstelle herumsteht. Sondern Menschen, die das lieben, was man selbst macht, sei's ein Spiel wie Anno oder ein Magazin wie GameStar. Für diese Menschen, diese Fans müssen Veränderungen nachvollziehbar sein. Und ihnen zeigen, dass man das respektiert, was sie lieben.
Oder eben an den Spielen von Morgen. Wer altgediente Serien fortsetzt, mag schnell in Versuchung kommen, zu viel zu wollen. Die schöne, neue Welt mit der Brechstange durchzusetzen. So geschehen - zumindest in meinen Augen - bei Anno 2205. Militärsystem? Ach, das kann man auf separate Maps auslagern, weil's noch nie gut funktioniert hat.
Rivalisierende Inselnachbarn? Ach, unnötig, es geht doch vor allem ums geruhsame Bauen. Frachtschiffe? Ach, die werden durch ein Handelsroutenmenü ersetzt. Und plötzlich hat man ein Spiel, das an sich durchaus gut ist - aber kein echtes Anno. Die Quittung: Laut Steamspy hat Anno 2205 nur 13 Prozent der Verkäufe von Anno 2070 erreicht (115.000 gegen 860.000).
Die Annomalie:Anno 2205 im Test
Okay, das sind ungenaue Zahlen, man kann die Spiele auch bei Uplay kaufen und so weiter. Die Tendenz ist dennoch klar. Anno 2205 hat zu viel gewollt. Und es ist nur eines von vielen Beispielen. Das letzte SimCity mit seinen Online-Regionen und Winzstädten. Das überkomplexe Master of Orion 3, das vereinfachte Command & Conquer 4, das Dungeons recycelnde Dragon Age 2. Oh, und erinnert sich noch jemand ans eingestampfte Die Siedler 8?
Eine Serie fortzusetzen, muss stets bedeuten, zu schielen: Mit einem Auge auf die Zukunft, mit dem anderen auf die Vergangenheit. Neues zu wagen, Bewährtes zu verändern ist grundsätzlich wichtig und lobenswert, weil neue Technologien coole Dinge erlauben. Online-Modi, plattformübergreifendes Spielen, weltweite Communitys (etwa fürs Modding).
Aber all diese neuen Ideen dürfen niemals die Identität einer Serie gefährden; das, was die Fans an ihr geliebt haben. Und das zeigt der Blick zurück. Der Kern einer Marke muss bestehen bleiben - man darf ihn sanft modernisieren, aber nicht mit dem Holzhammer ins Morgen prügeln.
Ich kann nur hoffen, dass sich Ubisoft beim nächsten Anno auf alte Tugenden besinnt und sie sinnvoll, aber eben nicht übertrieben um moderne Gimmicks ergänzt. Denn ich glaube an den Fortschritt. Aber der Hund überlebt auch noch eine Weile mit einem normalen Halsband.
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