Open-World-Spiele - Eskapismus im Korsett

»Die Welt ist klein«, sagt der Volksmund. Die »Open World« ist eine große Lüge, sagt Gastkolumnist Fabu.

Ungehinderte Bewegungsfreiheit in einer frei erforschbaren Spielwelt: Gemessen an diesen Merkmalen könnte man Ultima 1: The First Age of Darkness (1980) als eines der ersten Open-World-Spiele bezeichnen. 35 Jahre später dürfen wir zwar in Minecraft Traumschlösser bauen, in GTA 5 Passanten über den Haufen fahren und in The Witcher 3 ist der Weg zum Greifen nahe, aber letztendlich befinden wir uns noch immer in einer virtuellen Sackgasse.

Darüber täuschen auch nicht komplexere Handlungsstränge, überzüchtete Talentbäume und orchestral untermalte Enthauptungen in 1080p und 60 FPS hinweg. Wer sprichwörtlich seinen Kopf in den Sand stecken möchte, ist in Open-World-Spielen bestens aufgehoben. Doch möchte man dieser Tätigkeit wortwörtlich nachgehen, bedarf es dem Einverständnis des Spieleentwicklers.

»Triff Entscheidungen jenseits von Gut und Böse und trage deren weitreichende Konsequenzen«, wird der jüngste Spross der Witcher-Trilogie beworben. Was uns als vermeintliche Willensfreiheit innerhalb einer Spielwelt aufgetischt wird, beschränkt sich auf die Freiheiten, die auf interaktiver Ebene den Vorstellungen der Schöpfer entsprechen. Es geht also nie darum, dem Spieler wahre Freiheit zu ermöglichen, sondern lediglich die vorhandenen Grenzen möglichst gekonnt zu kaschieren.

Sei es durch geografische Gegebenheiten oder unbesiegbare Monster, die als Wächter existenter oder nichtexistenter Tore ihren Zweck erfüllen. Das war vor 35 Jahren so, das ist heute so und das wird voraussichtlich auch in 35 Jahren der Fall sein. Die »Open World« ist eine große Lüge. (Und, hey, seid doch mal ehrlich: Eigentlich wollt ihr doch auch belogen werden.)

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Der Autor
Nachdem Fabu (39) die Schule abbrach, entschied er sich spontan für eine Karriere als Pommesbuden-Besitzer. Doch das langweilte ihn schnell, ein Jahr später folgte der Zivildienst. Fabu arbeitete dann knapp zehn Jahre als Erzieher in einer geschlossenen Einrichtung für Erwachsene mit Behinderungen, bevor er ausbrach und als Betreiber von Superlevel.de, freier Journalist und PR-Berater kreativen Irrsinn im Netz verbreitete.

Auf die Plätze, fertig, konsequenzlos!

Konsequenzen bestimmen unser Leben. Müssten wir keine Konsequenzen befürchten, sänke die Hemmschwelle ins Bodenlose. Könnte ich beispielsweise problemlos die Behausung eines Fremden aufsuchen und mich ungestraft seines Hab und Guts bemächtigen, so täte ich dies womöglich. In der realen Welt zum Preis von anderthalb Gewissensbissen und in der virtuellen Welt auf Kosten der Immersion.

Während uns im Alltag Gesetzgebung und Moral dazu nötigen, ähm, bewegen, Regelverstöße zu meiden, zelebrieren wir sie im Spiel, düsen über rote Ampeln, versenken Stahl und Blei in Gedärm und … vergessen dabei, wie in sich geschlossen und irreal besagte Open World ist. Nicht wahr, Truman?

Spieleentwickler können zahlreiche Eventualitäten abdecken, doch Konsumenten mit ausgeprägtem Freiheits- und Forscherdrang lassen sich nicht bändigen. Deswegen werden Bugs und Glitches für Reisen fernab des geplanten Pfades genutzt. Spiele offenbaren in diesen Momenten eine mehr oder weniger unfreiwillige Komik, zugleich aber auch ihr wackeliges Gerüst, dessen in Szene gesetzten Einsturz findige Spielerinnen und Spieler zu ihrer Aufgabe gemacht haben.

Versteht mich nicht falsch, ich mag Open-World-Spiele. Ich erfreue mich am Eskapismus und an Gesetzen, die konsequenzlos gebrochen werden können. Aber, liebes Marketing, höre bitte auf, mir eine Tiefe vorzugaukeln, die in Wahrheit nur von hier bis zur nächsten (unsichtbaren) Wand oder Dialogoption reicht. Und, werte Leserschaft, generell rufe ich dazu auf, Spielwelten öfter mal auf den Kopf zu stellen.

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Danke, das war schon gar nicht so schlecht.

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