Fazit: Pillars of Eternity im Test - Spitzenspiel mit Seele

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Fazit der Redaktion

Benjamin Danneberg: »Die Symmetrie verlangt, dass auf solches Leid große Freude folgt!« Dieses Zitat aus Pillars of Eternity steht stellvertretend für all diejenigen, die sich - wie ich - über viele Jahre hinweg nach einem tiefen, reichhaltigen, befriedigenden Rollenspiel gesehnt haben. Und jetzt ist es da! Pillars of Eternity hat das toll inszenierte Dragon Age: Inquisition im Vorbeigehen in die Tasche gesteckt. Es hat Divinity: Original Sin mit seinen coolen Mechaniken auf die Plätze verwiesen. Es hat Dragon Age: Origins mit der düsteren Story und den liebenswerten Begleitern einfach kassiert. Es hat die Tür zu meinen persönlichen Rollenspieltempel mit einem Fingerschnippen aufgebrochen und sich mit geradezu dreister Lässigkeit neben den bisherigen Regenten, die Baldur's Gate Saga, gelümmelt. Und es schielt nicht bloß nach der Thronfolge, es meldet die Ambitionen ganz offen - und völlig zu Recht - an.

Denn es ist ein Rollenspiel vollgestopft mit Seele. Jede Kleinigkeit, jedes Detail dieses Spiels hat Seele. Es hat mich in achtzig Stunden Spielzeit so oft zum Nachdenken gebracht - ja, auch über mich selbst, im Hier und Jetzt! - wie kein anderes Spiel bisher. Es hat mich berührt, hat mir mehrfach die Tränen in die Augen getrieben, es hat mich wütend gemacht und zum Lachen gebracht. Kurz: Es hat mich begeistert!

Ganz perfekt ist es freilich nicht, auch wenn es technisch beinahe einwandfrei läuft und mich weder mit Abstürzen noch mit ernsten Bugs konfrontiert hat. Da wären zum einen die fehlenden Romanzen. Die tiefe Bindung zu meinen Begleitern hätte mit einer gut geschriebenen Liebesbeziehung das Tüpfelchen auf dem »i« ausgemacht. Eine etwas bessere visuelle Unterscheidung der Gegenstände nach Seltenheit wäre wünschenswert und die eigene Festung könnte noch besser in die Welt integriert werden.

Aber dieses Gejammer klingt schon ganz schön hohl, angesichts dessen, was das Spiel alles richtig macht. Und ganz am Ende, nach diesem furiosen Finale, das mich mitten in der Nacht sprachlos in der Dunkelheit meines Arbeitszimmers zurückließ, formte sich in meiner Seele nur eine einzige Überzeugung: Pillars of Eternity ist nur ein einziges Addon davon entfernt, sich die Krone für das vielleicht beste Rollenspiel überhaupt aufzusetzen.

Heiko Klinge: Es ist erstaunlich: Da schaue ich aus der Vogelperspektive auf ein paar zentimetergroße Winzfiguren und fiebere trotzdem mehr mit ihnen mit, als mit allen anderen Rollenspielhelden seit 1998. Wie schafft Pillars of Eternity das? Zum einen, weil es mir die volle Kontrolle darüber gibt, was aus meinen Zöglingen wird. Mit jedem händischen Anlegen einer neuen Rüstung, jedem verteilten Fähigkeitenpunkt wachsen mir Aloth, Kana oder meine selbstgebaute Ronja (samt Hirsch Röhrer!) mehr ans Herz. Zum anderen sind es ihre besonderen Geschichten, die so nur komplexe Party-Rollenspiele erzählen können. Wie das eine Mal, als wir beim Infiltrieren einer Burg ums Verrecken nicht unseren Kontaktmann finden konnten und dann »aus Versehen« die komplette Wachmannschaft erst aufgeschreckt und dann … nun ja … todgeschreckt gehaben. Vom Spiel war das so eigentlich nicht vorgesehen. Funktioniert hat es trotzdem.

Obsidian hat mit Pillars of Eternity nicht nur ihr Crowdfunding-Versprechen zu 100% erfüllt, sondern darüber hinaus eine wundervolle Brücke zwischen Vergangenheit und Moderne geschlagen. Vom ersten Moment fühle ich mich, als hätte jemand eine kuschelige Baldur's-Gate-Decke um mich gelegt. Trotzdem habe ich nie das Gefühl, in der Vergangenheit zu abenteuern - Pillars of Eternity gehört auch nach aktuellen Maßstäben sowohl spielerisch als auch erzählerisch zur absoluten Genrespitze. Endlich kann ich den jüngeren Kollegen vermitteln, wie es möglich war, dass ich damals über 300 Stunden in Baldur's Gate 2 versenkt habe. Sobald sie Pillars of Eternity ausprobieren, werden sie verstehen.

Michael Graf: Endlich darf Obsidian mal zeigen, was es kann. Abgesehen vom (unterschätzten!) Alpha Protocol haben die Kalifornier bislang nur Auftragsarbeiten geklopft: Knights of the Old Republic 2, Neverwinter Nights 2, Dungeon Siege 3, Fallout: New Vegas, South Park. Klar, all das waren gute Spiele. Aber zugleich war's schade, dass ein derart hochkarätig besetztes Studio, ein Studio, das immerhin von ehemaligen Fallout- und Icewind-Dale-Designern gegründet wurde - dass ein solches Studio bislang kaum die Gelegenheit bekommen hat, eigene Universen zu erschaffen. Nun kann man über Crowdfunding denken, was man will - niemand wird gezwungen, Geld in ungewisse Spieleträume zu stecken -, aber ich bin dankbar, dass Kickstarter & Co. genau das ermöglichen: Sie geben Teams die Chance, sich zu beweisen. Und Pillars of Eternity beweist vor allem eines: Altmodische Rollenspiele können immer noch super sein!

Damit liefert Obsidian auch den Gegenentwurf zu seinem ehemaligen Auftraggeber: Während Bioware auf den Massenmarkt schielt und in Dragon Age: Inquisition vermehrt auf Inszenierung, Action sowie Sammelaufgaben setzt, besinnt sich Obsidian just auf die früheren Bioware-Tugenden: denkwürdige Geschichten, packende Entscheidungen. Bitte nicht falsch verstehen, Dragon Age: Inquisition ist kein schlechtes Spiel, nicht umsonst haben es die GameStar-Leser zum besten Rollenspiel des Jahres 2014 gewählt. Aber Pillars of Eternity ist eben sein genaues Gegenteil, das Anti-Inquisition, dem ich auch gerne seine Ecken, seine Kanten, seine fehlenden Romanzen verzeihe. Weil ich's schön finde, dass es solche Rollenspiele noch gibt. Beziehungsweise wieder gibt. Denn gerade diese Vielfalt lieben wir doch an unserem Hobby. Eine Zukunft, in der es nur noch Sammelactionbombastrollenspiele gibt, wäre ja auch nicht wirklich spannend.

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