Sandbox-MMOs: Der Preis der Freiheit - Zeitfressende Augenwischerei

Sandbox-MMOs fressen Zeit und sind in ihren Mechaniken trotzdem unglaublich limitiert, findet Petra Schmitz.

Hätte man mich noch vor ein paar Jahren gefragt, wäre ich beim Thema Sandbox-MMO in verzücktes Schwärmen verfallen. Ich hätte in glühenden Farben ein Bild von der Freiheit, den Möglichkeiten, dem Gemeinschaftsgefühl und den großen Momenten gemalt, hätte behauptet, es gäbe nichts Besseres im Bereich Online-Rollenspiel - wenn man sich nicht scheut, mit anderen und für andere zu spielen.

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Tief unter meiner Ratio steckt sie immer noch, die Begeisterung für dieses Untergenre. Immerhin bekomme ich selbst nach zigfachem Schauen des fantastischen Eve-Online-Trailers von Anfang 2015 noch immer eine Gänsehaut bei den mit Spielerstimmen unterlegten Szenen. Weil ich aus eigener Erfahrung weiß, dass die Begeisterung, die man da hören kann, nicht gemogelt ist. Ich weiß das sogar, obwohl ich Eve Online selbst nie angefasst habe, aber ich habe im wahrsten Sinne des Wortes fast zwei Jahre meines Lebens in Pirates of the Burning Sea versenkt. Und das ist von Eve Online gar nicht so weit entfernt. Man ersetze Raum- durch Segelschiffe, dann hat man's auch schon fast.

Die Autorin
Petra Schmitz spielt MMOs schon gefühlt seit Anbeginn aller Zeiten und hat so ziemlich jeden Genretypen mal ausprobiert. Mit Pirates of the Burning Sea verbrachte sie eine wahnsinnig intensive Zeit, so intensiv, dass sie nach den zweisprachig gehaltenen Hafenschlachten, bei denen sie als Dolmetscherin zwischen den deutschen und amerikanischen Spielern fungierte, stets rasende Kopfschmerzen hatte.

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Zwei Leben


Zwei Jahre? Lächerlich! Das mögen jetzt sicherlich viele denken, die wissen, dass man auch locker ein ganzes Jahrzehnt mit ein und demselben Online-Rollenspiel verbringen kann. Aber zwei Jahre mit einem Sandbox-MMO - das ist anders als etwa zwei Jahre mit World of Warcraft. Zumindest wenn man nicht einfach nur so mitschwimmen, sondern wirklich was für sich und andere reißen möchte.

Denke ich an die Zeit mit Pirates of the Burning Sea zurück, dann kommen mir zunächst die fantastischen Seeschlachten in den Sinn - oder etwa der Gänsehaut-Moment, als ich das erste Mal mit einem eigenen und mit Gildenunterstützung gebauten Linienschiff (es war eine Wenden) durch die Karibik pflügte. Aber ich denke auch an die Arbeit, die Planung, das Diskutieren mit den anderen Spielern, die dauernden Anstrengungen. Ich habe zu PotBS-Zeiten meine Tage nicht nach meinen Echtwelt-Bedürfnissen, sondern nach denen meines Avatars, nach denen der Gilde und denen meiner Fraktion angelegt.


Pirates of the Burning Sea ist eigentlich eine gute Mischung aus Sandbox- und Vergnügungspark-MMO, nur spielen will es kaum jemand. Pirates of the Burning Sea ist eigentlich eine gute Mischung aus Sandbox- und Vergnügungspark-MMO, nur spielen will es kaum jemand.

Sandbox-MMOs sind immer Mühe, sind immer Anstrengung (Michael nennt in seiner Kolumne etwa konkret den Grind und die Fleißarbeit), darüber muss man sich im Klaren sein, wenn man sich richtig darauf einlassen möchte. Ein großer Teil der Mühen findet jedoch nicht im Spiel, sondern außerhalb statt - auch weil kaum ein Sandbox-MMO die eigentlich nötigen Kommunikationstools bereitstellt. Man plant, man diskutiert, man streitet. Ja, das alles gibt's natürlich auch in »Vergnügungspark«-MMOs. Sobald man sich auf andere Menschen einlässt und Teil einer Gemeinschaft wird, wird der Faktor Frust immer zu einer größeren Maßeinheit, als wenn man alleine vor sich hinwurschteln würde.

Sandbox-MMOs jedoch potenzieren diese Maßeinheit noch mal um ein Vielfaches. Schaue ich mir beispielsweise Camelot Unchained an, dann weiß ich, dass den sicher saumäßig spannenden Kloppereien unendliche Stunden fürs Organisieren und Planen der Bauphasen und Schlachten vorausgehen werden. Und wenn die lange und akribisch geplante Klopperei dann in die Hose geht, ist der Frust umso größer. Unter Kurzweil, Spaß und Unterhaltung verstehe ich jedenfalls anderes. Das habe ich inzwischen für mich entschieden.

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Augenwischerei


Wenn schon Sandbox, dann eine Mischunge mit einer guten Portion Vergnügungspark-MMO. So wie Pirates of the Burning Sea es macht, ist es im Ansatz schon gar nicht verkehrt. Quests für die, die auch gerne mal alleine oder mit einer überschaubaren Anzahl Freunde unterwegs sind, und Sandbox mit freier Wirtschaft, selbstgebauten Schiffen sowie planungsintensiven Großschlachten für die, die bereit sind, ihr Echtwelt-Leben auf ein Minimum zu reduzieren.


Klassische »Vergnügungspark«-MMOs wie World of Warcraft oder Guild Wars 2 bieten inzwischen so viele unterschiedliche Inhalte, dass man sich für Jahre nicht langweilen muss. Wer will, kann aber darin auch grinden. Klassische »Vergnügungspark«-MMOs wie World of Warcraft oder Guild Wars 2 bieten inzwischen so viele unterschiedliche Inhalte, dass man sich für Jahre nicht langweilen muss. Wer will, kann aber darin auch grinden.

Sich in ein Sandbox-MMO reinzuknien, kann zweifelsohne Freude sowie eine tiefe Befriedigung schenken. Bis man vielleicht wie ich an den Punkt gelangt, an dem die Luft raus ist, weil man bewusst oder unbewusst festgestellt hat, dass Sandbox-MMOs in Wahrheit Augenwischerei sind. Sie suggerieren Freiheit und Größe, in Wahrheit sind sie jedoch schrecklich limitiert in ihren Möglichkeiten, Angeboten und Mechaniken. Vielmehr ist vieles in seine kleinsten Teile dividiert, um Fülle, Größe, Masse zu suggerieren - und um Zeit zu verschlingen.

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Sich ein gescheites Schiff in Eve Online zu bauen, gleicht einer komplizierten, ewige Zeit andauernden Tabellenkalkulation, wo jede Zahl für Stunden des Rohstoff-Grinds steht. Ich hingegen mache seit langer Zeit einen großen Bogen um Sandbox-MMOs und vergnüge mich mit der Vergnügungspark-Verwandtschaft. Da kann ich vieles von dem, was mir die Sandbox-MMOs madig machen (Diskussionen, Planungen, Streits, Grind), auch erleben, aber ich muss es nicht.

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