Serpent in the Staglands - Einfach mal Dreck fressen

Zu viele Rollenspiele machen den Spieler zum Auserwählten, zum Mittelpunkt des Universums. Serpent in the Staglands behandelt Sascha Penzhorn wie die Made, die er ist.

Es gibt Tage, da hat man reichlich Zeit und Lust zum Zocken, aber in der prall gefüllten Steam-Bibliothek macht einfach nichts an. Es folgt der obligatorische Blick in den Store - der Stapel der Schande ist ja noch nicht groß genug. So klickte ich mich neulich durch die Steam-Vorschläge für party-basierte Rollenspiele.

Nach Final Fantasy, dem mittlerweile bald 30 Jahre alten Wizardry 6 und seitenweise Rotz aus dem RPG-Maker ploppte ein pixeliger Indie-Titel auf. Noch keine 100 Userwertungen, rund ein Viertel davon negativ, weil brutal schwer, benutzerfeindlich und absolut nicht intuitiv.

Vor Schreck kippte ich mir fast meinen Soja-Latte über das Flanellhemd oder was auch immer Hipster machen, wenn sie freudig überrascht sind. Das Teil war gerade im Angebot und kostete nur 8 Euro. Eine Minute später war Serpent in the Staglands auch schon installiert.

Der Autor
Sascha Penzhorn (34) ist freier GameStar-Redakteur und spielt Rollenspiele seit Bard's Tale auf dem C64 und Phantasy Star auf dem Sega Master System. Von Faerûn bis Aventurien erforscht er fantastische Welten am PC und in der Tabletop-Runde mit Freunden. Charaktersysteme können ihm überhaupt nicht komplex und vielseitig genug sein. Die sind in massentauglichen Rollenspielen inzwischen aber eher die Ausnahme. Als Rollenspieler der alten Schule ist Kickstarter für ihn ein Segen.

Zerbrechliche Gottheit

Serpent in the Staglands beginnt mit einer Art Pop-Quiz. Eine Dame mit wallender Robe und leuchtend grünen Augen stellt ein paar Fragen über meine Vergangenheit. Das erinnert ein wenig an die Wahrsagerin aus Ultima. Dann schlüpfe ich in die Rolle eines Gottes, dem Fürsten des Mondes, der in einem sterblichen Körper gefangen ist. Was soll das, wer war das und wie behebe ich das?

Das herauszufinden, ist meine Aufgabe im Spiel. Vorher passe ich noch fix meinen Körper an und wähle aus diversen spielbaren Rassen, passe meine Attribute an, wähle ein paar Fähigkeiten und freue mich über die detaillierte PDF-Anleitung, die mir erklärt, was zum Geier ich hier eigentlich mache.

Vier Gefährten bastle ich auch noch. Alternativ kann ich eine Truppe aus den zahlreichen NPCs und Söldnern im Spiel anheuern, aber ich mag es lieber maßgeschneidert. Startwährung gibt es fast keine, also rüste ich meine Abenteurer notdürftig mit Bratpfannen und Küchenmessern aus.

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Serpent in the Staglands ist kein Hingucker, selbst wenn man auf Pixel-Art steht. Serpent in the Staglands ist kein Hingucker, selbst wenn man auf Pixel-Art steht.

Wie eine Horde marodierender Gordon Ramsays ziehen meine Helden durch die Wälder und watschen Füchse, Wölfe und auf Hühnern (!) reitende Goblins mit ihren Bratpfannen über den Haufen. Alles in Echtzeit, pausierbar per Leertaste. Im Forum habe ich zig Heulthreads von Usern gesehen, die von Füchsen getötet wurden.

Das sind halt Noobs, die keine anständige Party erschaffen können, denke ich mir und freue mich darüber, dass ich es voll draufhabe. Dann begegne ich meinem ersten Räuber und bin in Sekundenschnelle tot. Ich starre eine Minute auf den Ladebildschirm, greife den Räuber erneut an und segne direkt wieder das Zeitliche.

Dabei stelle ich einerseits fest, dass Serpent längere Ladezeiten als GTA 5 hat. Zum anderen merke ich, dass der Räuber mit seinem Schwert, seiner Rüstung und seiner Armbrust quasi Gott ist. Mit einer Pfanne kann ich hier nichts ausrichten. Aber aufgeben will ich auch nicht.

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Charakterwerte wie im Tabletop. Hier ist nichts intuitiv. Super! Charakterwerte wie im Tabletop. Hier ist nichts intuitiv. Super!

Für Masochisten

Mit einem Zauberspruch erhitze ich die Armbrust des Räubers, bis er kaum noch damit hantieren kann. Er greift zum Schwert und rutscht in der Ölfalle aus, die einer meiner Chefköche für ihn gelegt hat. Jetzt hagelt es Gruppenkloppe und eine Minute später gehört seine Ausrüstung mir.

Sein Schwert ist abgenutzt und schartig, aber es ist eine richtige Waffe! Meine erste Lederrüstung fühlt sich an wie ein mächtiger Schatz! Jetzt bin ich der Gott! Ich klatsche noch ein Dutzend Wölfe weg und meine Welt ist in Ordnung. Zumindest, bis mir das Spiel die nächste Breitseite verpasst: Zwei Räuber.

Die große Spielwelt bietet locker 20 Spielstunden. Die große Spielwelt bietet locker 20 Spielstunden.

Über die nächsten Spielstunden und unzählige Tode hinweg spezialisiere ich meine Gruppe immer mehr. Meine Hauptfigur verwandelt sich in einen Wolf und reißt Gegner in Stücke. Einer meiner Tanks entwaffnet Feinde mit einer magischen Kettenpeitsche, der andere Tank beschwört Hühnergoblins. Meine Fernkämpfer bombardieren Monster mit Geschossen und Gruppenmitglieder mit Heilzaubern.

Auch abseits der Kämpfe wird Kreativität belohnt. In einem hohlen Baumstamm versteckt sich ein Gegenstand, an den niemand herankommt. Darum verwandelt sich einer meiner Zauberer in eine Katze, schlüpft in den Baumstamm und findet ein Tagebuch, das mir später beim Lösen eines Rätsels hilft. An anderer Stelle kommuniziere ich mit Ratten oder gebe mich als Edelmann aus, um Informationen für meine Hauptquest zu erlangen.

Serpent in the Staglands spielt in einer düsteren Fantasy-Welt voller Hexen, Räuber und Kinderfresser, die sich nicht um den Spieler schert. Man ist kein Auserwählter, kein Held in strahlender Rüstung. Statt Questmarkierungen und einem komfortablen Tagebuch gibt's Permadeath für Gruppenmitglieder und die Funktion, selbst Notizen aufzuschreiben. Nach ein paar Stunden in diesem Spiel wirft man zur Entspannung Dark Souls an. Wer es extrem old school mag - und das ist bekanntermaßen nicht jeder -, findet das Teil im Steam Store oder DRM-frei bei GoG.

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