Um das Jahr 161 nach Christus ging der griechische Arzt Galenos von Pergamon in Rom endlich dem Geheimnis der Lebenskraft nach: Irgendwo musste die doch zu finden sein im Körper! Weil in Rom Experimente an Menschen verboten waren, untersuchte Galenus im Kolosseum verwundete Gladiatoren, parallel sezierte er Schweine und Hunde bei lebendigem Leib. Schließlich stand fest: Die Lebenskraft, pneuma psychikon, musste als Substanz im Inneren der Nervenbahnen durch den Körper pulsieren. 1.400 Jahre lang blieb das der Weisheit letzter Schluss.
Die Idee der Lebenskraft ist längst entkräftet. Heutzutage hat eine heftige Suche nach einem anderen Wunderding begonnen: dem Spielspaß. Schweine und Hunde bleiben glücklicherweise verschont, aber am Menschen wird umso emsiger geforscht. Neuropsychologen schauen ihm in den Kopf, Psycho- und Soziologen studieren seine kognitiven Prozesse und sprechen über Flow-Erleben, Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Feedback-Schleifen und Immersion im virtuellen Raum.
Analysten und Statistiker spicken ihm auf die Hände, sie vermessen sein Verhalten: Wie lange spielt er, auf welcher Stufe gibt er auf, wie oft pro Stunde öffnet er den Ingame-Shop, und wie lange starrt er die Preise an, bis er das Fenster wieder schließt, ohne etwas gekauft zu haben? In der Welt des Data Mining ist Spielvergnügen quantifizierbar über Zeiten, Klicks und Datenströme.
Und dann ist da noch der Spielekritiker, der dem flüchtigen Spielspaß qua Beruf nachstellt, um ihn dann so exakt festzunageln, dass Sozialwissenschaftler nur neidisch mit dem Klemmbrett wackeln können: 85 von 100 Punkten! Da die meisten Spieletester mit Schweinen nur in Schnitzelform interagieren, noch nie irgendjemanden in die MRI-Röhre geschoben haben und den Umgang mit echten Spielern nach Möglichkeit vermeiden, darf man sich durchaus fragen: Wie machen die das? Wie erkennen sie Spielspaß, wie definieren sie ihn?
Dieser Artikel stammt aus der mehrteiligen Titel-Geschichte »Auf der Suche nach dem Spielspaß« aus der aktuellen Making-Games-Ausgabe 01/2012. Making Games ist das Branchen-Magazin des IDG-Verlags (GameStar/GamePro) und kann über den Online-Shop abonniert werden. Die Ausgabe 01/12, mit vielen weiteren Beiträgen zum Thema Spielspaß-Analyse, Unity 3D-Programmierung, Projektmanagement und Mobile Games, kann auch direkt dort nachbestellt werden.
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Das Herz des Testers
Zwar ziehen die meisten Spieletester Checklisten oder zumindest grobe Kategorien zurate, um ein Spiel in grundlegende Elemente aufzuteilen und sie dadurch vergleichbar, mithin objektivierbar zu machen -- die Qualität der Grafik, die Funktionalität der Steuerung etc.
Wobei der Idealfall für die Steuerung interessanterweise zu sein scheint, dass sie den Spielspaß nicht beeinträchtigt, ein intuitives Interface Spaß also nur ermöglicht, aber nichts zu ihm beiträgt -- ein Gedanke, der in Zeiten von Wii, Move und Kinect, aber auch der Wisch- und Tipp-Steuerung von Smartphones und Tablets veraltet ist, wo allein die Bedienung ohne jeglichen Spielinhalt bereits körperliches Vergnügen auslösen kann.
Aber in der Regel ist der wichtigste Untersuchungsgegenstand jedes Spieletesters immer noch er selbst, und sein zentrales Instrument die gute alte Introspektion. Im Mittelpunkt seiner Betrachtung steht nicht die kognitive und nicht die quantitative, sondern die emotionale Komponente des Spielspaßes -- nicht Kopf und Hand also, sondern das Herz, und Spielspaß als komplexes Konglomerat von Gefühlszuständen.
Warum macht es eigentlich Freude, bei Tetris abstrakte Blöcke zu Reihen zu sortieren?
Und ist diese Art von Spaß die Gleiche, die jemand empfindet, der bei Team Fortress 2fünf Gegner in Folge ausgeschaltet hat? »Das hat Spaß gemacht!« ist eine Bilanz, eine positive Summe aus Einzelempfindungen, die aus unterschiedlichen Quellen entspringen und in Teilen auch negativ sein können, sogar sein sollten. Wer als Spieldesigner Spaß entstehen lassen will, verfolgt ein Fernziel. Der Weg dorthin führt über verschiedene Emotionen, die zu erzeugen potenziell einfacher ist als die High-Level-Idee des Spielspaßes.
Stolz ermöglichen!
Als eines der grundlegenden Gefühle in Spielen entsteht Stolz -- also Zufriedenheit mit der eigenen Leistung -- aus einer großen Menge unterschiedlicher Situationen. Dabei ist gleichgültig, welche Art von Leistung zum Ergebnis geführt hat -- das kann ein außergewöhnlicher Skillshot in Battlefield 3(Geschicklichkeit) ebenso sein wie der im zehnten Anlauf endlich geschaffte Endboss in God of War 3(Lernprozess) oder die über 100 Stunden sorgsam aufgebaute Stadt in Anno 2070(Ausdauer).
Wichtig ist nur, dass es eine Leistung war, dass also ein Widerstand zu überwinden war, eine Anstrengung notwendig, und dass dem Ergebnis ein Wert innewohnt. Stolz bedeutet, sich selbst als kompetent zu erkennen. Jedes Spiel tut gut daran, diese Erkenntnis durch Belohnungen zu unterstützen.
Klassische Ranglisten und moderne Achievements sind dazu mächtige Hilfsmittel, aber entscheidend bleibt letztendlich, dass es Hindernisse geben muss, die man überwinden kann, indem man sich Kompetenz erwirbt; kognitiv (durch Regelbeherrschung), motorisch (durch geschickte Steuerung) oder schlicht durch Sitzfleisch.
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