Seite 2: Symbolzensur in Deutschland - Geolock – muss das sein?

GameStar Plus Logo
Weiter mit GameStar Plus

Wenn dir gute Spiele wichtig sind.

Besondere Reportagen, Analysen und Hintergründe für Rollenspiel-Helden, Hobbygeneräle und Singleplayer-Fans – von Experten, die wissen, was gespielt wird. Deine Vorteile:

Alle Artikel, Videos & Podcasts von GameStar
Frei von Banner- und Video-Werbung
Einfach online kündbar

Sind Spiele Kunst - rechtlich gesehen?

GameStar: Man liest immer wieder, dass verfassungswidrige Symbole in Filmen erlaubt seien, weil diese nach der Rechtsprechung als Kunst gelten, Spiele aber nicht. Was ist da dran?

Sebastian Schwiddessen: Auch das ist in dieser Pauschalität nicht richtig. Leider hält sich dieses Gerücht hartnäckig. Zwar hat die Rechtsprechung schon früh entschieden, dass Filme als Kunst gelten, diese Entscheidung fiel aber in einem ganz anderen Zusammenhang und hatte mit der Problematik verfassungswidriger Symbole nichts zu tun. Zu Computerspielen wiederum existiert keine Entscheidung, in der ein Gericht zu dem Ergebnis gekommen ist, Videospiele seien keine Kunst. Ein entsprechendes negatives Grundsatzurteil zur Kunstqualität von Videospielen gibt es also nicht. Tatsächlich hat die Rechtsprechung den Kunstcharakter von Spielen sogar schon in mehreren Verfahren anerkannt. So etwa das Verwaltungsgericht Köln im Rahmen der Anfechtung der Indizierung von Medal of Honor (2010). Auch die Zivilgerichte haben im Rahmen von urheberrechtlichen Streitigkeiten bereits mehrfach die Kunstqualität von Spielen anerkannt. Wenn man dann noch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kunstbegriff zugrunde legt, besteht eigentlich kaum ein Zweifel, dass auch Spiele von der Rechtsprechung als Kunst eingestuft werden. Die weit verbreitete Auffassung, dass dem nicht so sei, ist also nicht richtig. Es gibt nur noch kein Grundsatzurteil, das die Kunstqualität von Videospielen wie bei Filmen positiv festgestellt hat. Das bedeutet aber nicht, dass Videospiele nach der Rechtsprechung keine Kunst sind. Die Tendenz geht sogar in die andere Richtung.

Die EU-Version von Medal of Honor wurde in Deutschland indiziert. Die EU-Version von Medal of Honor wurde in Deutschland indiziert.

GameStar: Woher kommt dieser Irrtum?

Sebastian Schwiddessen: Die Ursache findet sich wohl in der Einzelfallentscheidung zu Wolfenstein 3D. Das Gericht hat dort nicht geprüft, ob das Spiel möglicherweise als Kunst anzusehen ist und daher einer Ausnahme unterfällt. Zwar ist gerade dieses Manko einer der Gründe, warum das Urteil heute ganz überwiegend in seiner Pauschalität abgelehnt wird und als veraltet gilt, dennoch kann auch daraus nicht geschlossen werden, dass Videospiele nach der Rechtsprechung nicht als Kunst gelten. Das Gericht hat sich zu der Frage schlichtweg überhaupt nicht geäußert, weder positiv noch negativ.

GameStar: Man liest auch immer wieder, dass Computerspiele von der Rechtsprechung als Kinderspielzeug eingestuft werden und dass deswegen andere Anforderungen als bei Filmen gelten. Stimmt das?

Sebastian Schwiddessen: Auch das ist zumindest in dieser Pauschalität nicht richtig. Mir ist keine Entscheidung bekannt, in dem ein Gericht zu dem Ergebnis kam, dass Computerspiele Kinderspielzeug sind. Im Gegenteil: Gerade erst hat das höchste Berliner Zivilgericht bei der Frage, ob sich die Werbung für ein Online-Fantasyspiel automatisch an Kinder richtet, entschieden, dass dem nicht so ist, sondern Videospiele nach den Erfahrungen des Senats sogar häufiger von Erwachsenen als von Kindern gespielt werden. Marktkenner wissen, dass diese Feststellung auch der Wahrheit entspricht.

GameStar: Und woher kommt dann dieser Irrtum?

Sebastian Schwiddessen: Erneut dürfte die Ursache in der Wolfenstein-3D-Entscheidung zu finden sein. Dort hat das Gericht die Auffassung vertreten, dass Computerspiele für Kinder und Jugendliche besonders attraktiv sind und die Verwendung von NS-Kennzeichen in Spielen zu einem Gewöhnungseffekt führen könnte. Um diese Auffassung zu begründen, hat das Gericht eine Entscheidung des BGH zitiert, in der dieser die Verwendung von Hakenkreuzen auf Kinderspielzeug in Form von Modelflugzeugen untersagt hatte. Das Zitat bezog sich aber nur auf den Gewöhnungseffekt im Allgemeinen und wollte nicht sagen, dass Videospiele per se als Kinderspielzeug gelten.

Wolfenstein: The Old Blood - Test-Video: »Oldschool« heißt nicht automatisch »veraltet« Video starten 4:37 Wolfenstein: The Old Blood - Test-Video: »Oldschool« heißt nicht automatisch »veraltet«

Sind Geolocks notwendig?

GameStar: Hearts of Iron 4 wird auch mit einem Geolock versehen, in ausländischen Stores gekaufte oder importierte Versionen lassen sich aus Deutschland nicht aktivieren. Deutsche Spieler monieren immer wieder, es gebe kein Gesetz, das Geolocks vorschreibt - ist das richtig?

Sebastian Schwiddessen: Auch wenn man den Unmut der Spieler nachvollziehen kann, ist das so leider nicht richtig. Zwar gibt es tatsächlich kein Gesetz und auch keine Rechtsprechung, wonach Geolocks eingesetzt werden müssen, um zu verhindern, dass jugendschutz- oder strafrechtlich relevante Inhalte verbreitet werden. Das ist aber nicht der Ausgangspunkt für die Frage, ob Geolocks notwendig sind. Der Ausgangspunkt ist, dass ein bestimmtes Verhalten verboten ist. In diesem Fall der Verkauf von Spielen mit verfassungsfeindlichen Symbolen. Ein anderes Beispiel ist der öffentliche Verkauf von indizierten Spielen. Halten die Unternehmen sich nicht daran, machen sie sich strafbar oder begehen eine Ordnungswidrigkeit. Die Unternehmen müssen selbst dafür Sorge tragen, dass es nicht dazu kommt. So wie jeder Einzelne dafür Sorge zu tragen hat, dass er nicht betrunken Auto fährt.

GameStar: Wie genau die Spielehersteller das tun, schreibt das Gesetz aber nicht vor?

Sebastian Schwiddessen: Nein. Es gibt aber auch kein Gesetz, das besagt, dass vor dem Eingang einer Diskothek Türsteher postiert werden müssen. Dennoch setzen Diskotheken Türsteher ein, weil es ein Gesetz gibt, das Kindern und Jugendlichen den Zutritt erst ab einem bestimmten Alter erlaubt. Genauso verhält es sich mit dem Geoblocking. Die Unternehmen nutzen es, um einem in Deutschland geltenden Verbotsgesetz zu entsprechen. Zu Geoblocks existiert zwar noch keine Rechtsprechung in Bezug auf verfassungsfeindliche Symbole oder indizierte Spiele, allerdings gibt es zahlreiche Entscheidungen aus dem Glückspiel- und Jugendschutzrecht, in denen unterschiedliche Gerichte die Verwendung von Geolokalisierung als ausreichend bewertet haben, um einem Verbotsgesetz zu entsprechen. Das ist zwar auch in der Rechtsprechung umstritten, es gibt aber sehr gute Argumente dafür, dass ein Unternehmen durch den Einsatz eines Geolocks seiner Verpflichtung nachkommen kann, keine verbotenen Inhalte zu verbreiten.

Auch die Steam-Version von Sleeping Dogs ist mit einem Geolock versehen: In Deutschland kann an nur die entschärfte Fassung kaufen und aktivieren. Auch die Steam-Version von Sleeping Dogs ist mit einem Geolock versehen: In Deutschland kann an nur die entschärfte Fassung kaufen und aktivieren.

GameStar: Square Enix hat das Geolock der indizierten EU-Version von Sleeping Dogs damit begründet, dass Steam das Alter seiner Kunden nicht überprüfe und man als Publisher verpflichtet sei, dafür zu sorgen, dass Minderjährige das Spiel nicht kaufen können. Dabei ging es zwar nicht um verfassungsfeindliche Symbole, der Fall ist aber ähnlich. Dienen Geolocks also dem Schutz der Spielehersteller?

Sebastian Schwiddessen: Richtig. An dieser Stelle sollte auch immer etwas Verständnis für die Hersteller und Publisher aufgebracht werden. Wer möchte schon für den Verkauf eines Unterhaltungsspiels am Ende wegen der Verbreitung von verbotenen Kennzeichen strafrechtlich belangt werden? Da dürften wohl die meisten Menschen dankend abwinken. Zudem sind die Haftungsfragen bei Verkaufsplattformen wie Steam ein schwieriges Terrain. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass bei Straftaten konstruktiv immer auch eine Beihilfe möglich ist. Die Spielehersteller versuchen daher, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu schützen. Die Händler könnten den Vertrieb problematischer Inhalte auch auf der ganzen Welt einstellen. Dann würde man aber den Umsatz in sämtlichen Ländern verlieren, in denen das Verbot nicht existiert und letztendlich hätte keiner etwas gewonnen. Viele Händler passen ihre Spiele daher aufgrund der deutschen Gesetzeslage schon während der Produktionsphase an und entfernen Symbole gleich aus allen weltweiten Spielversionen. Händler, die Geolock einsetzen, gehen einen anderen Weg und bieten zumindest dem Rest der Welt die Originalversion an. Geolocks sind weltweit gesehen daher sogar noch die mildere Methode. Natürlich ist das kein Trost für deutsche Spieler. Auch hier muss aber betont werden, dass die Unternehmen an der deutschen Gesetzeslage keine Schuld trifft.

GameStar: Häufig wird behauptet, dass Geolocks gegen EU-Recht verstoßen. Ist das richtig?

Sebastian Schwiddessen: Nein. Das ist so nicht richtig. Zwar untersucht die EU-Kommission Geoblocking derzeit im Rahmen ihrer Strategie für den digitalen Binnenmarkt mit dem Ziel, den ungerechtfertigten Einsatz in der EU zu unterbinden, hierbei geht es jedoch vornehmlich um E-Commerce- und urheberrechtliche Fragestellungen. Der Hauptgrund für den Einsatz von Geoblocking liegt lange nicht darin, jugendschutz- oder strafrechtlich relevante Gesetze durchzusetzen. Das ist nur ein sehr kleiner Nebenkriegsschauplatz.

GameStar: Worum geht es bei Geolocks hauptsächlich?

Sebastian Schwiddessen: Im E-Commerce nutzen Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen Geolocks viel eher dazu, in verschiedenen Ländern unterschiedliche Preise für bestimmte Produkte zu realisieren. Ein anderer Grund für den Einsatz sind vertragliche Regelungen, die vorsehen, dass bestimmte Inhalte wie Filme nur in gewissen Regionen angeboten werden dürfen, da in anderen Ländern ein anderes Unternehmen die Rechte an dem Produkt besitzt. Diese Praktiken waren der Hauptgegenstand einer aktuellen Untersuchung der EU-Kommission. Aber selbst in diesen Bereichen sind längst nicht alle Einsatzmöglichkeiten verboten. Die EU-Kommission hat gerade erst ihren Gesetzesvorschlag für die Regulierung von Geoblocking im E-Commerce veröffentlicht. Dieser geht deutlich weniger weit als anfangs vermutet.

Geolocks wie bei Hearts of Iron 4 verstoßen nicht gegen die EU-Richtlinie des freien Warenverkehrs. Geolocks wie bei Hearts of Iron 4 verstoßen nicht gegen die EU-Richtlinie des freien Warenverkehrs.

GameStar: Was hat die EU-Kommission entschieden?

Sebastian Schwiddessen: Aufpassen müssen nach dem Gesetzesvorschlag demnächst etwa E-Commerce-Anbieter von physischen Produkten und Dienstleistungen, die Kunden aus anderen Mitgliedsstaaten den Zugang zu ihrem Online-Portal verwehren oder diese auf eine andere Seite umleiten, um so beispielsweise höhere Preise oder andere AGB durchzusetzen. Solche Unternehmen sollten den Einsatz von Geoblocking rechtzeitig auf die Vereinbarkeit mit künftigem EU-Recht überprüfen lassen. Download-Anbieter von digitalen Inhalten wie Spielen, Filmen oder sonstigen audiovisuellen Daten sind zunächst aber nicht betroffen. Für digitale Inhalte kursiert bislang lediglich eine EU-Initiative, die es Anbietern verbieten soll, durch Geoblocks bereits gekaufte Inhalte in anderen Mitgliedsstaaten zu sperren, in denen sich die Käufer temporär aufhalten. Wer einen Film oder ein Online-Spiel in Deutschland bereits gekauft hat, soll diese Inhalte also auch bei einem Kurzaufenthalt in England noch nutzen dürfen. Abgesehen hiervon gibt es bislang noch nichts Handfestes. Gänzlich unabhängig davon ist die hier relevante Frage, ob der Einsatz von Geoblocking auch zur Durchsetzung von nationalen Straf- und Jugendschutzvorschriften gerechtfertigt ist. Bislang gibt es hierzu keine Gesetzesinitiative.

2 von 3

nächste Seite


zu den Kommentaren (81)

Kommentare(71)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.