»Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.« So beginnt Franz Kafkas wohl berühmtester (unvollendeter) Roman »Der Prozess«. Ein bisschen ähnlich startet auch The Franz Kafka Videogame, nur dass der Landarzt K. im Spiel nach Amerika verschleppt wird. Wenn man furchtbar böse wäre, könnte man durchaus behaupten, dass sich damit der Kafka-Bezug des Spiels auch schon erschöpft hätte, denn was folgt, ist hauptsächlich eine Sammlung von Minispielen, die in eine - zugegeben - recht surreale Geschichte verpackt sind.
Unser K. wird von einem Mann, der aussieht wie ein Fallschirmspringer und scheinbar zwischen Häuserdächern hängen geblieben ist, unter vorgehaltener Waffe dazu aufgefordert, nach Amerika zu reisen. Man hätte sich um alles gekümmert, die Verlobte wäre versorgt, der Hund könne mit. Man brauche K. für einen speziellen Job. Im Folgenden geht's via Zug und Schiff in den Wilden Westen, um dort nach dem Auftraggeber zu suchen.
Vor dem Gesetz
Natürlich wird Kafka hier und da zitiert. Oder besser: paraphrasiert. Wir stehen beispielsweise später im Spiel vor einer Art Torwächter, der uns nicht einfach vorbeiziehen lassen möchte, ein entscheidender Moment in »Vor dem Gesetz«. Und natürlich finden wir auch Insekten im Spiel. Kein Kafka ohne Insekten! Aber wer sich »Franz Kafka« auf die Fahnen pinselt, der sollte mehr als Insekten liefern. Entwickler mif2000 hat sich aber wahrscheinlich gedacht, dass die Geschichte nur absurd und ohne tiefere Logik sein muss, um beim unbedarften Spieler dieses berühmte Kafka-Gefühl zu hinterlassen. Soll der Spieler doch ruhig in The Franz Kafka Videogame wahllos aneinander gereihte Rätsel lösen, während er einen Kafka-Verschnitt verkörpert und einer hanebüchenen Geschichte folgt. Immerhin wird Gregor Samsa in »Die Verwandlung« auch ohne Vorwarnung oder irgendwelche Begründungen zum Käfer.
Vor Gericht
Die Knobelaufgaben finden mal in Traumwelten statt, mal in der vermeintlichen Wirklichkeit. Wir sollen ein Monster mit einer Haubitze beschießen. Aber erst, wenn wir in einer Maschine die richtige Zeichen- bzw. Buchstabenkombination eingegeben haben, gibt's Munition für uns. Anschließend stellen wir Weichen so ein, dass unser Zug weiterfahren kann - bis er vor einer Kuh auf den Gleisen stoppt, die wir mit Hilfe eines Adlers entfernen müssen. Keines der Rätsel wird tatsächlich eingeführt. Wir bekommen keine Vorgeschichte, die Knobeleien sind teilnahmslose Versatzstücke. Selbst als wir in Amerika an einer Pforte stehen und der Wächter von uns eine Antwort verlangt, ohne vorher eine Frage gestellt zu haben, bleibt das anschließende Puzzle ohne Bezug zur Handlung.
Manche Rätsel erfordern ein wenig Denkarbeit, andere wiederum scheinen stumpf auf Herumklicken ausgelegt zu sein. Wer nicht selbst auf die Lösung kommt, kann die Tipps zu Rate ziehen, die automatisch nach einiger Zeit zur Verfügung gestellt werden. Und immer wieder fragen wir uns, weshalb das Spiel The Franz Kafka Videogame heißt und nicht einfach »Rätsel-Sammlung mit absurden Bildern«. Das hätte genauso gut funktioniert, wenn nicht sogar besser, was unsere Erwartungshaltung anbelangt.
Das Urteil
The Franz Kafka Game sieht ganz freundlich aus. Die einzelnen Stationen sind allesamt liebevoll gezeichnet. Dabei wird der Spieler nicht gerade Zeuge aufwändiger Animationen, aber der Stil ist in jedem Fall charmant. Außerdem unterscheiden sich die Rätsel sehr voneinander und präsentieren ganz unterschiedliche Welten, ganz egal ob sie nun real sind oder eben nur eingebildet. Aber wo Kafkas Erzählungen häufig schmerzlich sind, an die Substanz des Lesers gehen, bleibt die Handlung und das Design von The Franz Kafka Videogame erstaunlich lieb. Es ist irgendwie ganz süß, wenn der verlorene Hase eines Mädchens am Ende eine Schattenfigur ist, die man in der Dunkelheit konstruiert, aber es gewinnt keinen Originalitätspreis. Genau so wenig ist es total abgedreht oder gar kafkaesk, also auf unergründliche Weise bedrohlich oder unheimlich.
Im Gegensatz zum schrecklichen Vater in »Das Urteil« würde ich das Spiel nicht gleich zum Tode verurteilen. Ich würde aber empfehlen den Spielpreis durch zwei zu teilen und mit einer Freundin am Rechner zu sitzen, um gemeinsam zu knobeln. Der Preis-Leistung zu Liebe. The Franz Kafka Videogame macht mich schlussendlich leider ein wenig traurig, weil der Titel eine unfassbare Bandbreite an visuellen und narrativen Möglichkeiten in Aussicht stellt, aber die Umsetzung nicht passt.
Die Hauptfeatures laut Steam sind Skurrilität und Surrealismus. Skurril ist höchstens, dass der Name »Franz Kafka« nicht geschützt ist und man scheinbar wahllos ein Spiel damit verzieren kann, solange es nur ein bisschen abgedreht ist - wobei abgedreht ja auch höchst subjektiv ist. Kurz: Wer mit dem Werk Kafkas nicht vertraut ist, der wird nach dem Spiel auch nicht mehr darüber wissen.
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