Seite 2: Thief im Test - Everybody's darling is nobody's friend

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Kleptomanie statt Spieltiefe

Womit wir beim nächsten Problem wären: Auch im neuen Thief soll Garrett zwar ein Meisterdieb sein, fühlt sich aber selten wie ein Meisterdieb an - sondern wie ein Kleptomane. Obwohl die Bewohner der Stadt vorgeblich bettelarm sind und keine Ahnung haben, womit sie ihre Kinder ernähren sollen, blinken an jeder Straßenecke irgendwelche Kostbarkeiten: Kerzenständer, Becher, Schachfiguren, Bilderrahmen, Tintenfässer, Scheren, Haarbürsten, Spritzen, Ohrringe, Füllfederhalter, Handspiegel ... schon nach zwei Stunden haben wir im Sammelsurium des Tands hoffnungslos den Überblick verloren und stecken einfach gedankenlos alles ein, was von seinem Besitzer nicht an die Wand genagelt wurde. Stimmungs- und stilvolle Tresorknack-Episoden gibt's zwar auch, aber eben nur selten.

Zwar bekommen wir vom Hehler Basso eine ganze Reihe von Nebenaufträgen, die sich meist um besonders wertvolle Objekte drehen, bloß bestehen diese Aufträge zum überwältigenden Teil daraus, dass wir zum entsprechenden Marker auf der Karte laufen und alles einstecken, was dort blinkt. Anspruchsvoll ist das also nicht, aber einen gewissen diebischen »Das kommt auch noch mit«-Spaß macht es allemal, zumal wir uns vom Beutegeld nicht nur neue Werkzeuge wie einen Schraubendreher (erlaubt das Öffnen von Lüftungsgittern und ermöglicht so alternative Routen) oder ein Messer (zum Heraustrennen von wertvollen Bildern aus ihren Rahmen) kaufen können, sondern auch Ausrüstungsgegenstände mit passiven Bonuseffekten.

Das Inventar im Windows- 7 8-Kacheldesign wirkt ziemlich lieblos, ist aber übersichtlich und unaufdringlich. Das Inventar im Windows- 7 8-Kacheldesign wirkt ziemlich lieblos, ist aber übersichtlich und unaufdringlich.

Die sind teilweise so teuer, dass wir uns immer wieder bei optionalen Diebestouren ertappen, bloß um endlich mehr Pfeile tragen zu dürfen oder unsere Lebensenergie zu erhöhen - hier funktioniert das Langfinger-Gefühl. Allerdings involvieren diese optionalen Raubzüge häufig lange und auf Dauer auch langweilige Wege durch eine größtenteils leblose Stadt, die noch dazu in mehrere Abschnitte nebst Ladebildbildschirmen unterteilt ist. Eine offene Spielwelt wird so zwar angedeutet, findet aber tatsächlich nicht statt.

Leider spielt das Klauen innerhalb der insgesamt acht Story-Kapitel nur eine Nebenrolle. Zwar gibt's auch darin haufenweise Schubladen, Schränke, Safes und Kisten, aber die gibt's in einem Bioshock oder Deus Ex ebenfalls. Damit wir uns wirklich wie ein Meisterdieb fühlen, muss das Missionsdesign dieser Rolle auch spielerisch Rechnung tragen, und das tut es bei Thief nur bedingt. Wenn wir in einem Kapitel beispielsweise ein überraschend kniffliges Schiebe-Puzzle lösen oder in einer Nebenmission die Kombination eines Safes anhand von gefundenen Dokumenten tatsächlich ausknobeln müssen, dann fühlt sich das so befriedigend an, dass wir uns unweigerlich fragen, warum das Spiel solche Mittel nicht konsequenter und vor allem öfter einsetzt.

In diesen Momenten blitzt das potenzielle Genie von Thief auf: Wie viel mehr, fragen wir uns, wäre möglich gewesen, wenn Eidos Montreal den Mut gehabt hätte, mit den ausgetretenen Action-Adventure-Strukturen zu brechen. Vielfach nämlich schleichen wir in den Missionen einfach von Zielpunkt zu Zielpunkt, die meisten Einsätze könnten haargenau so auch aus Dishonored stammen.

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Lineares Dishonored in der Light-Variante

Tatsächlich fühlt sich Thief phasenweise wie eine um viele Spezialfähigkeiten erleichterte Variante von Dishonored an. Das muss dem Spiel freilich nicht zum Nachteil gereichen, denn Dishonored entfaltete einen schönen Spielfluss, den Thief in seinen besten Momenten ebenfalls erreicht. Gerade das schlangenhafte Huschen von Schatten zu Schatten gefällt uns ausgezeichnet, weil es einen wunderbaren, beinahe melodiösen »Flow« entwickelt. Wenn wir mit einem Druck auf die Leertaste elegant aus dem Dunkeln huschen, einer ahnungslosen Wache den Knüppel über den Schädel ziehen und ebenso elegant wieder hinter einer Kiste verschwinden, bevor ihr Kollege um die Ecke biegt, dann ist das zwar streng genommen kein klassisches Thief-Element, setzt das Konzept vom »lautlosen Geist« aber trotzdem wunderbar um.

Ähnlich wie die Teleportieren-Fähigkeit von Dishonored macht dieses Husch-Manöver allerdings viele vermeintlich knifflige Situationen auch erheblich zu einfach, denn wir können hell erleuchtete Bereiche - etwa zwischen zwei Säulen - so schnell »überhuschen«, dass uns die Wachen nicht mal auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad bemerken. Ergebnis: Wir können sie in der Regel nacheinander ausknipsen.

Das liegt zum Teil auch am sehr modularen und kleinteiligen Aufbau der Levels - und dem Umstand, dass wir nur an vorgegebenen Stellen klettern oder Seilpfeile verschießen dürfen. Besonders die Seilpfeile bleiben in den Story-Missionen sträflich ungenutzt, denn ganz freie Sandbox-Abschnitte sind selten, meist schalten wir einfach alle Gegner aus und plündern anschließend gefahrlos die Umgebung, bevor wir ins nächste Stockwerk oder den nächsten Abschnitt wechseln, wo das gleiche Spiel von vorne beginnt.

Was wurde aus ...? Die frühen Teile der Thief-Reihe genießen Kultstatus. Und zwar deshalb, weil sie atmosphärisch grandios inszeniert und für damalige Verhältnisse geradezu unverschämt komplex waren. Die folgenden fünf Thief-Elemente fehlen uns im Remake deshalb besonders schmerzhaft.

Bodenbeläge Früher machte es einen erheblichen Unterschied, ob wir über Teppich (leise) oder Stein (laut) liefen. Jetzt ist es einfach egal.

Moospfeile War ein Bodenbelag mal zu laut, dann durften (ja mussten!) wir ihn mit seltenen Moospfeilen leisetreter-tauglich machen.

Sandbox-Level Die weitläufigen Sandbox-Level der frühen Thief-Spiele sind weitgehend linearen, modular aufgebauten Missionen gewichen.

Diebesgefühl Dicke Klunker waren tatsächlich selten. Und wenn wir sie gefunden haben, dann fühlten wir uns wirklich wie ein Meisterdieb.

Stephen Russell Die englische Originalstimme von Garrett fehlt. Grund: Stephen Russell sei für Motion- Capturing-Stunts nicht geeignet gewesen.

Wer die ersten beiden Serienteile gespielt hat, kann da nur müde lächeln. Denn darin konnte und musste sich Garrett fast immer seinen eigenen Weg durch die wunderbar offenen Sandkasten-Levels suchen, hier mal einen Seilpfeil in einen Holzbalken jagen, da mal einen schmalen Schattenstreifen entlang pirschen, dort mal per Wasserpfeil eine ungünstig platzierte Fackel löschen.

Wir erinnern nur an die Kathedrale und die Ruinenstadt aus dem ersten Dark Project oder den Mechanisten-Turm aus dem zweiten, Levels, in denen uns schon allein die Suche nach dem perfekten Schleichpfad zahlreiche graue Haare gekostet hat. An diese Schauplatz-Klassiker reicht das neue Thief mit seinem weitgehend linearen Design nicht mal ansatzweise heran. Beispielsweise haben wir im Test selbst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad keinen einzigen Wasserpfeil verbraucht, weil der Weg durch die Schatten immer offensichtlich und das Leertasten-Huschen zu nützlich war.

Der Mainstream-Garrett schlägt zu

Immerhin ist die KI schön aggressiv, sucht nach einem Alarm recht lange nach uns und haut Garrett mit wenigen Schlägen aus den Stiefeln - jedenfalls im Rudel, gegen einen einzigen Gegner hat Garrett dank Ausweichfunktion leichtes Spiel. Thief-Profis sollten deshalb unbedingt auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad loslegen oder - besser noch - in den umfangreichen Optionen ihren eigenen Schwierigkeitsgrad definieren. HUD-Elemente ausschalten? Kein Problem. Das unter Fans umstrittene Fokus-System deaktivieren? Kleinigkeit. Kostspieligere Upgrades? Selbstredend. Individuelle Parameter wie »Wenn wir entdeckt werden, ist die Mission gescheitert« festlegen? Geht ebenfalls - und motiviert Schleichfreunde sehr.

Fackeln lassen sich mit Wasserpfeilen aus der Distanz ausknipsen. Haben wir aber auch auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad nie wirklich benötigt. Fackeln lassen sich mit Wasserpfeilen aus der Distanz ausknipsen. Haben wir aber auch auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad nie wirklich benötigt.

Einerseits sind so viele Einstellungsmöglichkeiten sehr löblich und dürften gerne Schule machen. Andererseits können sie nicht kaschieren, dass das Spiel alleine durch sein modulares Leveldesign und seine Checkpoint-Natur fundamental auf ein Mainstream-Publikum zugeschnitten ist. Viele der verfügbaren Optionen machen Thief nicht wirklich schwieriger - bloß unkomfortabler. Unverständlich übrigens: Der Schwierigkeitsgrad lässt sich ausschließlich vor Spielbeginn einstellen, im laufenden Spiel dürfen wir ihn also nicht mehr ändern.

Im Gegensatz zu den ersten Serienteilen regelt der Schwierigkeitsgrad zudem nicht mehr, wie viel Goldbeute Garrett anhäufen und welche besonderen Artefakte er sich schnappen soll. Letztere gibt's zwar noch, sie bringen aber nur eine höhere Goldbelohnung und stehen anschließend als hübsche, aber spielerisch nutzlose Vitrinenware in Garretts Glockenturm-Unterschlupf herum. Damit entfällt auch ein Teil der Motivation, wirklich auch noch den letzten Level-Winkel zu durchstöbern, nachdem man das eigentliche Missionsziel erfüllt hat.

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