Tower Defense-Special - Turm und Drang

Die Idee klingt so spannend wie Angeln im Aquarium: Tower Defense heißt, Abwehrtürme zubauen, um anstürmende Gegner abzuschießen. Dennoch ist das Genre beliebter denn je. Wir durchleuchten die Gründe.

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Wo liegt der Reiz eines Spiels, dessen Gegner so lebensbejahend sind wie Lemminge? Stumpfsinnig stapfen sie ins Verderben, Mann um Mann, Welle um Welle, vorbei an Geschütztürmen, die sie verbrennen, vereisen, zerstrahlen, zerreißen. Diese Soldaten (oder Panzer, Aliens, Zombies, sonstiges Gekröse) verdienen allenfalls Mitleid. Oder einen besseren KI-Programmierer. Doch ausgerechnet Sie (ja, Sie!) betätigen sich als Architekten ihres Untergangs. Die Kanonen am Wegesrand - von Ihnen erbaut! Die hirnlosen Horden - von Ihnen gemetzelt! Und zwar in immer neuen Ablegern der Gattung Tower Defense, deren Erfolgsprinzip sich in den letzten Jahren zum Strategiespiel-Phänomen, zum Suchtgaranten erster Güte gemausert hat.

Wer Microsofts Suchmaschine Bing nach »Tower Defense« befragt, findet 161 Millionen Treffer. Zum Vergleich: Starcraftkommt auf 33, Call of Duty auf 97 Millionen. Gut, diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, bei Google liegt Tower Defense mit 17,2 Millionen Treffern klar hinter Call of Duty (236 Millionen) und Starcraft (86 Millionen). Dennoch sind die Bing-Ergebnisse ein Indiz für die Größe des Turmbau-Genres, im Internet kursieren Hunderte Tower-Defense-Titel, meist in Form flashbasierter Browserspiele. Ein bekannter Vertreter dieser Trendsparte ist Desktop Tower Defense, das Erstlingswerk des britischen Hobbyentwicklers Paul Preece. Innerhalb von fünf Monaten nach der Veröffentlichung im März 2007 hatte das technisch simple Flash-Progamm bereits 15,7 Millionen Spieler angelockt. Werbeanzeigen auf der gut besuchten Homepage bescherten Preece nach eigener Aussage ein vierstelliges Monatseinkommen, weshalb selbst das renommierte Wall Street Journal über den Erfolg berichtete.

Der Londoner Independent und die New York Times widmeten sich im Jahr 2009 einem weiteren Tower-Defense-Phänomen, dem Indie-Hit Plants vs. Zombies. Obwohl er anfangs ausschließlich als Download erhältlich war, verkaufte sich der »Pflanze Blumen, die Zombies abschießen«-Titel hervorragend und wurde von der Presse mit Preisen überhäuft. Die Webseite Metacritic.com verzeichnet für die PC-Version von Plants vs. Zombies einen internationalen Wertungsdurchschnitt von 87 Punkten, einen Zähler mehr als für Modern Warfare 2. Später veröffentlichte der Entwickler PopCap seine Zombiejagd auch für die Xbox 360, die Playstation 3 und das Nintendo DS. Im Februar 2010 erschien zudem eine Version für das iPhone, die binnen neun Tagen über 300.000 Käufer fand und eine Million Dollar einspielte.

Spätestens nach dem Plants vs. Zombies-Triumph hatte selbst der begriffsstutzigste Entwickler kapiert, dass Turmbau-Titel die Kassen klingeln lassen. Insbesondere für unabhängige Studios stellt das Genre eine brauchbare Verdienstquelle dar, Tower Defense ist auch ein Indie-Phänomen. So gibt’s neben den werbefinanzierten Flash-Spielchen viele kostenpflichtige Ableger von stark schwankender Qualität, aber meist großer Innovationsfreude, die über Download-Plattformen wie Valves Steam vertrieben werden. Einige dieser Titel stellen wir auf den Folgeseiten vor. Auch für Apples iPhone und Android-Handys existieren Dutzende Tower-Defense-Klone, Tendenz steigend.

Umgekehrte Lemmings

Der koreanische Hersteller Com2Us hatte diesen Trend bereits im Jahr 2007 vorausgeahnt und sich flugs die Markenrechte am Begriff »Tower Defense« gesichert. Das hält andere Entwickler nicht davon ab, Tower-Defense-Klone zu entwickeln -- diese müssen eben nur anders heißen. So forderte Com2Us Anfang 2010 mehrere Handyspiel-Entwickler auf, ihre Spiele umzubenennen. Im Mai 2011 veröffentlichten die Koreaner dann ihre eigenes Werk, Tower Defense: Lost Earth für das iPhone. Das Spiel an sich ist kein Meilenstein, dennoch zeigt der Rechtekauf, dass das Genre eine beachtliche Strahlkraft entwickelt hat. Tower Defense ist keine Eintagsfliege, sondern eine beliebte und etablierte Marke.

Nicht schlecht für ein umgekehrtes Lemmings. Wo Sie im Puzzlespiel-Klassiker von 1991 selbstmörderisch veranlagte Männchen sicher von einem Levelende zum anderen bugsierten, müssen Sie sie in Tower Defense eben ausschalten: Wellenweise marschieren, rollen oder fliegen tumbe KI-Feinde vom Startpunkt zum Ziel, das sie natürlich nicht erreichen dürfen. Also errichten Sie Abwehrtürme, um die hirnlosen Horden zu dezimieren. Meist folgen die Feinde einer mehr oder minder verschlungenen Straße, an deren Rand Sie die Geschütze platziert. Manchmal gabelt sich der Weg auch in Alternativpfade, manchmal starten die Feinde an mehreren Stellen oder visieren mehrere Ziele an, sodass Sie an mehren Fronten kämpfen. Und manchmal überqueren die Angreifer eine offene Ebene, also müssen Sie Turmlabyrinthe errichten, um die Gegnerschar in möglichst enge und tödliche Bahnen zu zwingen.

Das Arsenal umfasst für gewöhnlich mehrere Turmvarianten, von Standard-Kanonen über flinke, aber schwache Gatling-Geschütze bis hin zu ebenso tödlichen wie trägen Riesenwummen. Hinzu kommen Spezialwaffen, beispielsweise Eisstrahlen, die Angreifer verlangsamen. Oder Verstärker, die den Schaden benachbarter Türme erhöhen. Die erste Pflicht jedes Tower-Defense-Spielers lautet, die Stärken sowie Schwächen seiner Bauten zu kennen und zu nutzen. Dass sich Flak-Türme vorrangig gegen Flieger eignen, liegt auf der Hand. Aber was bringen Artilleriekanonen mit Flächenschaden, was Flammenwerfer, was Elektroschocker? Gleichzeitig reagieren die Gegnertypen unterschiedlich empfindlich auf die Waffenarten. Schneeriesen bekommen bei Eisbeschuss nicht mal Gänsehaut, werden von Flammenwerfern aber im Nu eingeschmolzen.

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