Seite 2: US-Urteil über Videospiele - Schwarzenegger gegen die Spielebranche

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Amerikas andere Kultur

Die Unterschiede erklären sich aus der amerikanischen Historie. Die Gründungsväter der Nation waren religiöse Flüchtlinge, ein puritanischer Geist prägt bis heute weite Teile der Gesellschaft. Der Freiheitskrieg für die Unabhängigkeit 1776 bestimmt als Gründungsmythos bis heute das Selbstverständnis, Amerika sieht sich als kampfbereite Nation.

»Im letzten Jahrhundert waren wir beinah durchgehend in bewaffnete Konflikte rund um die Erde involviert«, erläutert Josh Sawyer, Projektleiter für Fallout: New Vegasbeim US-Entwicklerstudio Obsidian (s. Interview). »Unsere Gesellschaft ergötzt sich an Militärausrüstung und verehrt Militärpersonal.«

In Deutschland werden Spiele mit USK-Logo versehen. In Deutschland werden Spiele mit USK-Logo versehen.

Laut einer Gallup-Umfrage vom Juli 2010 haben 76% der Amerikaner großes Vertrauen in die Armee, der mit Abstand meistgeschätzten Institution des Landes. Der Supreme Court folgt mit 36% erst auf Rang 7.

Diese historische Gemengelage hat sich in der Kultur niedergeschlagen. »Als ich vor 15 Jahren nach Amerika gezogen bin, sah ich im Nachtfernsehen einen miesen alten Film über eine Biker-Gang«, erinnert sich der britischstämmige Spielejournalist Julian Rignall. »Einige der Rocker begruben einen Rivalen bis zum Hals im Sand und bearbeiteten seinen Kopf mit dem Motorrad, mit allen blutigen Konsequenzen. Der Fahrer stieg schließlich ab und schrie die kopflosen Leiche an: ›Geschieht dir Recht, du Hundesohn!‹ Nur dass das Wort ›Hundesohn‹ weggepiepst war. Das ist die amerikanische Kultur in aller Kürze.«

»Wir sind eben ein Volk von verklemmten Gewalttätern«, frotzelt Sawyers Obsidian-Kollege Matt MacLean über seine Landsleute. »Amerikaner sprechen gern über Gewalt, aber nicht über Sex, obwohl sie beides in gleichem Maße ausüben.«

Umgekehrt ist vielen US-Bürgern die deutsche Regulierungswut suspekt. »Amerikaner sind oft erstaunt über die deutschen Gesetze, die die Darstellung von nationalsozialistischen Symbolen verbieten«, sagt Josh Sawyer. Sie verstehen das als ungerechtfertigte Einschränkung der Meinungsfreiheit.

In Deutschland steht das Verbrennen der Bundesflagge unter Strafe, im sehr nationalstolzen Amerika wird es dagegen -- durchaus zähneknirschend -- als legitime Meinungsäußerung toleriert. In den fünf Jahren, in denen AB 1179 in Amerika inzwischen durch die Rechtsinstanzen wandert, hat Deutschland den Jugendschutz dreimal verschärft.

Das Gesetz und die Proteste

Aus dieser Perspektive wirkt das kalifornische Gesetz nachgerade sanftmütig. Gewalthaltige Computerspiele, so postuliert das Land in AB 1179, können »in Jugendlichen Aggressionsgefühle auslösen, die Aktivität im Frontalkortex des Gehirns reduzieren und Jugendliche dazu bringen, gewalttätig antisoziales oder aggressives Verhalten zu zeigen.«

Postal 3 steht seinem indizierten Vorgänger in Sachen Gewaltdarstellung in nichts nach. Postal 3 steht seinem indizierten Vorgänger in Sachen Gewaltdarstellung in nichts nach.

Die gesetzlichen Konsequenzen, die Kalifornien daraus ableitetet, sind vergleichsweise zaghaft. Wer ein 18er-Spiel an Minderjährige verkauft, wird mit einer Geldbuße von maximal 1.000 Dollar bestraft. Von einem generellen Spielverbot für Jugendliche kann keine Rede sein, es geht nur um den Handel. Eltern dürfen ihren Kindern weiterhin kaufen, was sie für richtig halten. Gefährdend gilt nur Gewalt gegen Menschen oder Wesen mit »genügend menschlichen Eigenschaften«. Weil das Gesetz explizit von Verpackungen spricht, ist zudem fraglich, ob es für Internet-Angebote überhaupt gilt.

Die Kläger EMA und ESA samt des später dazu gestoßenen Verbraucherverbands ECA bemühen sich trotzdem nach Kräften um ein mediales Donnerwetter. In bissigen Worten wettern sie gegen »Kaliforniens gefährlichen Vorschlag«, »die jüngste in einer langen Geschichte von Überreaktionen gegen neue Medien«.

Sie halten es weder für belegt, dass Computerspiele überhaupt negativen Einfluss auf Jugendliche hätten, noch gebe es Grund zur Annahme, das die kalifornischen Eltern die Unterstützung des Staats bei der Medienerziehung ihrer Kinder benötigten. »Es gibt keinen Beleg für ein Problem, das das Handeln der Regierung erfordern würde«, folgern die Kläger in ihrer Stellungnahme bündig. AB 1179 sei nichts anderes als »inhaltliche Zensur«.

Nicht noch ein Siegel!

Was die Spieleindustrie an Kaliforniens Vorstoß wirklich in Sorge versetzt, ist nicht das Verkaufsverbot. »Wenn Kalifornien einfach nur Händlern Geldstrafen für den Verkauf von Erwachsenentiteln an Jugendliche aufbrummen wollte, dann sähen wir jetzt sehr viel weniger Widerstand von Spieleherstellern, wenn überhaupt«, sagt der Obsidian-Mann Josh Sawyer.

Tatsächlich sorgt sich die Branche vor allem über Vorgabe, Erwachsenenspiele mit einem 18er-Siegel zu versehen. Denn diese Kennzeichnung sollen die Spielehersteller selbst vornehmen. Entsprechend wären sie auch für die Konsequenzen verantwortlich.

Das löst bei der Branche schon deshalb allergische Reaktionen aus, weil sie jede Erschütterung ihres vergleichsweise unbürokratischen ESRB-Modells fürchtet. Als abschreckendes Vorbild dient die Filmbranche.

»Das Kontrollsystem dort ist ziemlich undurchsichtig und herrisch«, erklärt Matt MacLean von Obsidian. »Filmschaffende müssen viel Zeit damit verbringen, um seine Prozesse und Reglementierungen herumzutanzen. Es ist ein klassischer Fall von ›Geld schlägt Können‹: Große Studios haben es in der Regel leichter als kleine, die länger warten und strengere Alterseinstufungen in Kauf nehmen müssen.«

Ein solches Ungleichgewicht fürchtet MacLean auch für die Spielbranche. »Die Kosten steigen, die Entwicklung dauert länger, Indie-Studios leiden, während große Publisher durch das System segeln.« Nur: Dazu braucht es kein AB 1179, es braucht noch nicht mal eine staatliche Vorgabe. Die amerikanische Filmkontrolle ist eine private Organisation.

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