Vierrad statt Zweibein
Doch nicht nur an der Geschichte, auch an der Spielmechanik wird geschraubt. Appeal möchte den Konsolenspielern entgegenkommen, ohne dem Vorgänger komplett untreu zu werden. Beispielsweise sollen langatmige Laufpassagen gestrichen, das sinnlose Schleichsystem überdacht und Durststrecken zwischen den knackigen Gefechten verkürzt werden. »Der Fokus sollte stärker auf der Action liegen«, erklärt Sauer die Prämisse. »Im fertigen Spiel hätte es aber trotzdem noch viel zu Erforschen und Entdecken gegeben.«
Diese Ausrichtung zeigen auch einige Videoschnipsel, die kurz vor dem Ende des Projektes entstehen. Cutter stapft da etwa durch ein idyllisches Tal inmitten schroffer Berge, zwischen denen Dunstwolken schweben. Ein Falcon-Transportschiff surrt heran und landet spektakulär auf federnden Metallbeinen. Cutter geht in die Hocke, beobachtet die aussteigenden Soldaten. Er wird entdeckt, ein Feuergefecht bricht los. Der Held sprintet zwischen Baumstämmen hindurch, Schüsse und die Strahlen der Laserzielhilfen huschen durch die Luft.
Gut, was geschmeidig klingt, wirkt mit heutigen Augen betrachtet etwas steif. Für die damalige Zeit jedoch sieht Outcast 2 äußerst beeindruckend aus, und auch sonst soll das Abenteuer imponieren. Statt einem Twon-ha soll man beispielsweise einen Geländewagen steuern.
Ebenso planen die Entwickler, dass der Held einen Ventilopen-Flugsaurier satteln und ein Raumschiff der World Army kapern kann; allerdings nur, um daraufhin in spektakulären Filmsequenzen in neue Areale zu gelangen. Zu den Schauplätzen soll neben sakralen Tempelanlagen, Dörfern und Sumpflandschaften auch ein Hunderte Meter langes Trägerschiff gehören, das die Ausbeutung von Adelpha überwacht.
Der Anfang vom Ende
Nach fast einem Jahr geht die Entwicklung von Outcast 2 gut voran. Die Himalaya-Engine läuft weitgehend stabil, die Story ist ausgearbeitet und das zwischen 20 und 30 Mann starke Team gestaltet erste Modelle und Figuren, arbeitet an Animationen, Umgebungen, Texturen und auch Levels. »Dann begannen die Probleme«, erläutert Appeal-Mitgründer Franck Sauer. »Plötzlich ging es Schlag auf Schlag.«
Yves Grolet, Designer, Programmierer und Co-Gründer des Studios, verlässt die Firma im Juli 2000 mit einigen Kollegen. Er ist mit der actionreichen Ausrichtung von Outcast 2 und dem Gebaren von Infogrames nicht einverstanden und gründet Ende 2001 ein neues Studio, Elsewhere Entertainment. Einen Ersatz für Yves zu finden, gestaltet sich schwierig. »Wir hatten dann jemanden«, führt Sauer an. »Es stellte sich aber heraus, dass er die Entwicklung in eine Sackgasse zu führen drohte. Hilfreich war das nicht.«
Nur wenig später gerät der Studio-Anteilseigner und Geldgeber Infogrames durch den Druck von Konkurrenten wie Electronic Arts und Ubisoft sowie Turbulenzen auf dem Aktienmarkt in Finanznöte. Prompt wird das Budget von sieben auf fünf Millionen US-Dollar gekürzt. Das ist für einige Angestellte schon das Sirenenheulen, das das Ende ankündigt. Nach und nach verlassen weitere Mitarbeiter das Studio.
Und dann, erneut nur Monate später, kommt der Todesstoß für Outcast 2 und Appeal. »Nachdem wir drei Millionen ausgegeben hatten, drehte uns Infogrames den Geldhahn komplett zu«, resümiert Sauer. Die Franzosen wollen überhaupt keine Mittel für externe Studios mehr freimachen. Appeal steht am Abgrund.
Stilles Ableben
Zu diesem Zeitpunkt existiert von Outcast 2: The Lost Paradise kaum mehr als ein Grundgerüst. »Wir hatten zwei oder drei Levels in Arbeit, die allmählich mit Leben gefüllt wurden«, weiß Sauer noch. »Das Spiel war weit davon entfernt, fertig zu sein. Es war lediglich ein sogenannter ›Vertical Slice‹, eine Vorführdemo.« Im letzten Quartal 2001 blicken die Belgier damit dem Bankrott entgegen.
Die Studioleitung unternimmt einen gewagten Rettungsversuch. Sie schließen mit Infogrames einen Vertrag über den Prototyp eines Tim-und-Struppi-Spiels. Statt Geld will Infogrames hierfür seine Anteile an Appeal an die Gründer zurückgeben und damit seine Verpflichtungen dem Studio gegenüber loswerden. Appeal hingegen wäre frei, nach Tim und Struppi mit einem anderen Publisher zusammenzuarbeiten.
Jedoch muss Outcast 2 zugunsten des Lizenzspiels zunächst einmal zurückstecken. Die Arbeit an Outcast 2: The Lost Paradise kommt noch vor dem Jahreswechsel zum Erliegen. Eine Nachricht, die die Fans erst im April 2002 erreichen wird, knapp ein halbes Jahr später. Im Hintergrund wird derweil kräftig an Tim und Struppi gearbeitet. »Dann hatten wir den Prototyp fertig«, sagt Sauer, »doch danach passierte nichts.«
Der Folgeauftrag für das komplette Tim-und-Struppi-Spiel, der das Studio finanziell wiederbelebt hätte, kommt nicht. »Wir hatten nie wirklich erfahren, wieso«, gräbt Sauer in seinen Erinnerungen. Aber allen ist klar, was das bedeutet. Kein Auftrag, keine Zukunft. »Im August 2002 mussten wir Insolvenz anmelden.« Es ist schlicht kein Geld mehr da.
Statt mit einem großen Knall wird das Studio in aller Stille abgewickelt. Ein trauriges Ende für eines der ambitioniertesten europäischen Studios und ein großartiges Projekt. »Kein Zweifel, Outcast 2 hatte enormes Potenzial«, trauert der Appeal-Gründer Franck Sauer noch heute. »Es hätte etwas echt Fantastisches werden können.«
Die tote Verwandschaft
Nicht nur Outcast 2 wurde eingestellt, sondern auch zahlreiche weitere Spiele in seinem Dunstkreis.
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