Seite 4: Von Fans und Fanatikern - Die Macht der Community

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Wut macht mobil

Tatsächlich scheint die Hemmschwelle, sich bei einem Problem oder Missfallen aktiv zu werden, geringer zu sein als bei positivem Feedback. Das mag das Meinungsbild in Foren verzerren, entwertet es deshalb aber längst noch nicht. »Man kann das nicht als Randmeinungen abtun«, sagt Paletta, »sondern muss sich bewusst sein, dass es meist Meinungsführer sind, die eine Community beeinflussen und repräsentieren« – also Menschen, die mit ihrem Urteil andere Leute in ihrem Umfeld beeinflussen.

Viele Spieler hatten Ubisoft-Spiele für die Verwendung des "Game Launcher"-Kopierschutzes abgestraft. Viele Spieler hatten Ubisoft-Spiele für die Verwendung des "Game Launcher"-Kopierschutzes abgestraft.

Ganz besonders bekam dies Ubisoft zu spüren, als sie mit Assassin’s Creed 2den umstrittenen Ubisoft Game Launcher als Kopierschutz einführten, der eine ununterbrochene Internet-Verbindung zum Ubisoft-Gameserver Voraussetzung zum Spielen macht. Anderenfalls verweigert der jeweilige Titel seinen Dienst, was auch passieren kann, wenn die Ubisoft-Server ihrerseits aus technischen Gründen ausfallen.

Daraufhin quollen die Foren über vor Wut und Boykottaufrufen. Auch in den User-Kommentaren auf GameStar.de kam fortan kein Ubisoft-Spiel mit Launcher-Kopierschutz mehr gut weg. Die durchschnittliche User-Wertung von Assassin’s Creed 2 liegt bei 38, die von Splinter Cell: Convictionbei 56 und die von Die Siedler 7gar bei 36 Punkten.

Ganz ähnlich sehen die User-Bewertungen auf den großen Einkaufsportalen wie Amazon aus. Und das, obwohl alle genannten Titel rein spieltechnisch zu überzeugen wussten. Inzwischen ruderte Ubisoft insoweit ein Stück zurück, als dass der Spieler jetzt nicht mehr permanent online sein muss, sondern lediglich zum Spielstart.

Ein Sieg der Community?

Stimmt also wenigstens Prämisse, dass eine aufmerksame Öffentlichkeit alleine schon genügend Druckpotenzial erzeugen kann, um die Politik von Firmen zu beeinflussen? Die bekannteste Definition von Macht stammt vom Soziologen Max Weber: »Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.«

Nur wenn sich die Hersteller um ihre Community kümmern, entstehen dabei umfangreiche Fan-Mods wie Nehrim für Oblivion. Nur wenn sich die Hersteller um ihre Community kümmern, entstehen dabei umfangreiche Fan-Mods wie Nehrim für Oblivion.

Betrachtet man den Fall Game Launcher genauer, sind daran Zweifel angebracht. In seinen bisherigen Statements hat Ubisoft keinen Hehl daraus gemacht, dass sie den Game Launcher als legitimes Mittel im Kampf gegen Raubkopien ansehen und dass er trotz einiger gelungener Hacks wirkt. Den Verkaufszahlen scheint der Aufschrei der Community jedenfalls keinen signifikanten Abbruch getan zu haben, wobei PC-Verkäufe für Ubisoft sowieso nur einen geringen Teil des Gesamtumsatzes ausmachen.

Womit wir den Kern des Wirksamkeitsproblems erreicht hätten: das Geld. Community-User Don-Esteban bemerkt dazu treffend: »Proteste nutzen nichts, wenn es um finanzielle Entscheidungen des Publishers geht. So was geht immer vor. Da kann sich die Community auf den Kopf stellen. Das ist völlig schnurz.« Kleinere Publisher, die sich wie Paradox (Strategie) oder Deadalic (Adventures) bewusst Nischen-Communitys zuwenden, sind in diesem Punkt natürlich mehr auf das Wohlwollen der aktiven User angewiesen als die breit aufgestellten und meist börsennotierten Großpublisher mit Umsätzen im Milliardenbereich. Hier herrscht nach den Mechanismen des Marktes ein knallharter Renditedruck, geschäftliche Entscheidungen werden nach kaufmännischen Maßstäben getroffen, nicht nach den Wünschen der Community. Zumal es für weltweit operierende Publisher »die« Community gar nicht gibt, sondern bestenfalls eine Vielzahl von nationalen, plattform- und serienspezifischen Gemeinschaften. Es allen recht zu machen geht nicht, daher zählt bei den Entscheidungsträgern meist nur ein verlässliches Argument: die Verkaufszahlen.

Geld schlägt Gemeinschaft

Ein zu optimistisches Herangehen an die Beziehung Community-Entwickler/Publisher scheint demnach unangebracht. Die Publisher entscheiden in letzter Konsequenz nach monetären Gesichtspunkten, die Entwickler dazu nach individuellen Vorlieben und künstlerischer Freiheit.

Welches tatsächliche Maß an Einfluss Communitys auf die Spieleentwicklung nehmen können, liegt nicht bei ihnen selbst, sondern im Wohlwollen der Publisher und Entwickler. Dennoch und trotz aller Widersprüche: Überschätzen kann man den Wert der Communitys kaum. Zum einen, weil das Wohlwollen dieser Meinungsführer durchaus ein gewichtiger Faktor ist; nicht umsonst beschäftigen fast alle Publisher Community-Manager und werben mit Community-Events. Wer weiß, ob man die Spieler nicht eines Tages für einen Patch braucht! Außerdem ist eine Community einen kostenfreie Talentbörse: Einige der aktiven Mitglieder bilden Independent-Firmen, andere schaffen den Absprung ins professionelle Lager. Und letztlich sollte der Community klar sein, wer ihr eigentlicher Adressat ist, nämlich sie selbst. »Die Community soll ja ein spaßiger Treffpunkt für Spielebegeisterte sein, keine wissenschaftliche Diskussionsrunde«, führt ein Forums-User aus. Spieler versorgen andere Spieler mit Hilfe, Tipps, Mods und Meinungen, kostenlos und ohne verlangte Gegenleistung. Die meisten Publisher und Entwickler werden das wissen und schätzen.

Hört auf die Community!

Hört NICHT auf die Community!

Petra Schmitz
Redakteurin

Christian Schmidt
Stellv. Chefredakteur

Das Internet ist voll von Menschen, viele der Menschen haben eine Meinung, nur wenige der Meinungen sollte man ernst nehmen. Bildet sich eine Community um ein Spiel, dann ist das dort wie im Rest des Internets: Nur wenige Meinungen sind gehaltvoll. Aber für die wenigen sollte man dankbar sein, nach den wenigen sollte man suchen, sie horten wie einen kostbaren Schatz. Und sie nutzen! Denn oft tummeln sich in Communitys Menschen, die sich besser mit dem jeweiligen Spiel auskennen als die Entwickler selbst. In Communitys finden sich gute Ideen, gute Vorschläge. Wie man es beim nächsten Mal besser machen kann. Oder wie ein kleiner Patch eine große Wirkung haben kann.
Communitys entstehen in der Regel nur, wenn sich genug Menschen mit der gleichen Leidenschaft zusammenfinden. Leidenschaft bedeutet Liebe, Hingabe, das Auseinandersetzen mit einem bestimmten Thema. Wenn’s zu einem Spiel eine Community gibt, wird es geliebt, gepflegt und oft über Jahre, teils über Jahrzehnte am Leben gehalten. Wenn Entwickler nicht auf die Community eingehen, dann schwindet die Liebe, und das Spiel stirbt. So einfach ist das.

»Die Hölle, das sind die anderen«, sagte Jean-Paul Satre. Wer sich jemals in einer beliebigen Spieler-Community bewegt hat, der weiß, wie Recht der alte Franzose hatte. Communitys, zumal anonyme, sind allzu oft eine darwinistische Hölle: das Überleben des Lauteren. Sie befördert extreme Standpunkte, die nicht zwangsläufig Mehrheitsstandpunkte sein müssen. Die Repräsentativität von Communitys wird extrem überschätzt, wer darin aktiv ist, vertritt nicht den Durchschnittsspieler, sondern die kleine Elite der Engagierten, oft genug der Dogmatischen. Kommt »Fan« nicht von »fanatisch«? Wer als Hersteller sein Fähnlein allein in diesen Wind hängt, bedient keine breite Nutzerbasis, sondern im Gegenteil eine immer spitzere.
Doch selbst wer mit Fokusgruppen, Blindtests, offenen Betas die Masse erschließt, tut das auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Das ist kommerziell wichtig, aber aus künstlerischer Sicht ernüchternd. Die Masse hat keine Fantasie, sie hat Verharrenskraft. Sie will das, was sie schon kennt. Möchtest du Neuland betreten, dann musst du dorthin alleine gehen. Hör nicht auf die Community!

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