Seite 3: Was steckt hinter dem Abkommen? - Attacke auf ACTA

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Der aktuelle Stand von ACTA

Die Unterstützer von ACTA führen an, dass der Vertragstext keine rechtswidrigen Klauseln mehr enthält. Die umstrittene »Three Strikes«-Regel, die beim dritten Urheberrechtsverstoß eine automatische Sperrung des Internet-Zugangs bewirkt hätte, wurde gestrichen.

ACTA entspricht damit weitestgehend einer Absichtserklärung, die wenigen konkreten Maßnahmen spiegeln sowieso die derzeitige Gesetzeslage wider. Beispielsweise verpflichten sich die Vertragsparteien »einen hinreichenden Rechtsschutz und wirksame Rechtsbehelfe gegen die Umgehung wirksamer technischer Vorkehrungen« zu leisten, also die Umgehung von Kopierschutz-Maßnahmen zu verbieten. In Deutschland ist das bereits seit Jahren gesetzlich festgeschrieben.

Den Urheberrechtsschutz begreifen die ACTA-Befürworter als hohes Gut: Wer Zeit und Geld in kreative Arbeit investiert, solle dafür auch seinen gerechten Lohn bekommen - sonst werden Innovation und Schöpfungskraft bestraft statt gefördert. Zwar verlangen Aktivisten und auch die deutsche Piratenpartei immer wieder, dass ein »Umdenken« in Bezug auf geistiges Eigentum stattfinden muss. Es gibt allerdings keinen Konsens, wie dieses Umdenken aussehen soll.

Im Oktober 2011 haben die ersten acht Nationen das ACTA-Abkommen unterzeichnet (USA, Australien, Kanada, Japan, Marokko, Neuseeland, Singapur, Südkorea). Im Januar 2012 unterschrieb der Europarat stellvertretend für die EU-Mitgliedstaaten. Nach den großen öffentlichen Protesten haben allerdings Tschechien, die Slowakei, Lettland, Slowenien und auch Deutschland die Unterzeichnung vorerst auf Eis gelegt, zumindest bis zur Abstimmung im EU-Parlament im Juli 2012.

Wie stehen die deutschen Parteien zu ACTA?

Auf unsere Anfrage hin erklären alle Bundestagsparteien, dass sie ACTA in seiner momentanen Form ablehnen, auch wenn die CDU das Abkommen als grundsätzlich »hilfreich« und nur die mangelnde Transparenz als Problem sieht. Hinter der Ablehnung steckt auch politisches Kalkül: Die Parteien haben erkannt, dass Fragen der Internet-Freiheit im Wählerinteresse immer wichtiger werden.

Das zeigt nicht zuletzt der Erfolg der Piratenpartei, die bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im September 2011 mit 8,9 Prozent erstmals den Einzug in ein Landesparlament geschafft hat. Bei bundesweiten Meinungsumfragen liegen die Piraten derzeit zudem einen bis drei Prozentpunkte vor der kriselnden FDP. Kein Wunder, dass sich die CDU/CSU-FDP-Regierung vorsichtig gibt, sie will keine Wählerstimmen verlieren.

CDU Michael Kretschmer, MdB, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Bildung, Forschung, Kunst, Kultur und Medien und Vorsitzender des »Arbeitskreises Netzpolitik« der CDU Deutschlands: »Es ist ein richtiger Schritt, dass die Staaten nicht länger versuchen, isoliert Regeln für das Internet aufzustellen. Das Internet braucht internationale Abkommen. Allerdings schafft es kein Vertrauen in der Bevölkerung, wenn solche Verträge wie ein Geheimabkommen zustande kommen. Ich wünsche mir eine breite Debatte über den vorgeschlagenen Vertrag. Viel Aufregung wäre vermieden worden, hätte es bei den Verhandlungen mehr Transparenz gegeben. Durch das Abkommen werden weder die Haftung von Internet-Service-Providern verschärft noch führt es zu Netzsperren. Ein Manko ist natürlich, dass viele Staaten, die für Produktpiraterie bekannt sind, nicht zu den Unterzeichnern gehören. Trotzdem kann das Abkommen hilfreich sein, um zu einer globalen Verständigung über den Schutz von Urheberrechten zu kommen.«

SPD Björn Böhning, Chef der Senatskanzlei Berlin, und Lars Klingbeil, MdB, Sprecher des »Gesprächskreises Netzpolitik und digitale Gesellschaft« des SPD-Parteivorstandes: »Die Notwendigkeit, Produktpiraterie zu bekämpfen und Urheberrechte zu schützen, ist unbestritten. Allerdings dürfen entsprechende Regelungen nicht dazu führen, dass Grund- und Freiheitsrechte eingeschränkt werden oder der Datenschutz aufgeweicht wird. Die Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen darf nicht so weit gehen, dass letztlich jede Bewegung und Kommunikation im Internet überwachbar wird und jeder Nutzer von Musik- oder Videodateien grundsätzlich unter einem Generalverdacht steht. Auch kann und darf es nicht darum gehen, die Rechtsdurchsetzung im Internet zu privatisieren und die Internetprovider zu Hilfssheriffs der Rechteinhaber zu machen. Der Gesprächskreis Netzpolitik und digitale Gesellschaft des SPD-Parteivorstandes lehnt das Abkommen in seiner jetzigen Form ab und fordert transparente Verhandlungen. Wir unterstützen die zahlreichen Protestaktionen und rufen zur Teilnahme auf. Wir wollen ein modernes Urheberrecht und werden die Debatte in den nächsten Monaten offen führen.«

Bündnis 90/Die Grüne Erklärung des Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grüne: »BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnen das ACTA-Abkommen, das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ab, weil es für Intransparenz, möglichen Strafverschärfungen bei Urheberrechtsverletzungen und weitere Einschränkungen von Informationsfreiheit im Internet steht. Außerdem wird mit ACTA der Zugang zu Generika - günstige, aber wirkungsgleiche Medikamente - in Entwicklungsländern gefährdet. Ausgehandelt in Hinterzimmerrunden und zwischen den einzelnen Staaten sowie diversen Wirt- schaftsvertretern, war Transparenz bezüglich des Entstehungsprozesses genauso Fehlanzeige, wie bei der Beteiligung der nationalen Parlamente oder gar der Zivilgesellschaft. Wir Grüne finden es fatal, dass hier losgelöst von den international legitimierten Institutionen, allen voran den Vereinten Nationen, Verhandlungen vorangetrieben werden, die einzelne Staaten bewusst ausgrenzen und demokratische Prozesse unterlaufen. Wir Grüne streiten vielmehr für einen fairen Interessenausgleich zwischen UrheberInnen, VerwerterInnen sowie den Interessen der NutzerInnen und der Allgemeinheit bei der Reform und Modernisierung des Urheberrechts.Wir wollen gemeinsam neue Wege mit allen Beteiligten erarbeiten, um unser Ziel ,Vergütung statt Verfolgung‘zu erreichen. ACTA widerspricht diesem Ziel, es manifestiert einen antiquierten, überholten und am Ende auch erfolglosen Politikansatz und verweigert sich konsequent einer Debatte zur Zukunft des internationalen Urheberrechts.«

Die Linke Halina Wawzyniak, MdB, stellvertretenden Vorsitzende und Obfrau der Fraktion DIE LINKE. Mitglied der Enquetekommission »Internet und digitale Gesellschaft« und netzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion: »Das Abkommen zementiert Rechtssysteme im Patent- und Urheberrecht, obwohl deren Eignung zum Schutz von Innovation und Kreativität weltweit kontrovers debattiert werden. Es hält die EU und nationale Gesetzgeber an, ihr Instrumentarium zum Vorgehen gegen Urheberrechts- und Markenschutzverletzungen auch im privaten, nichtgewerblichen Bereich auszubauen und zu verschärfen. ACTA gibt den Regierungen eine neue rechtliche Handhabe und die politische Legitimation, um den Internetverkehr überwachen, Internet-Provider in Haftung zu nehmen und einzelne Nutzerinnen und Nutzer zur Rechenschaft ziehen zu können. Damit würde auch die bereits jetzt existierende Unverhältnismäßigkeit bei der Ahndung von Urheberrechtsverletzungen (,Abmahnunwesen‘) weiter verschärft. Obwohl das Abkommen in das alltägliche Leben vieler Menschen eingreifen kann, wurde es weitgehend hinter verschlossenen Türen und ohne Einwirkungsmöglichkeit der Parlamente und zuständiger multilateraler Organisationen wie der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO) ausgehandelt. Bis heute ist lediglich der wenig aussagekräftige Vertragstext zugänglich - und das nur nach massivem Druck durch die kritische Öffentlichkeit. Weitere Begleitdokumente und Protokolle, die ebenfalls handlungsleitend für die Vertragspartner sein könnten, bleiben unter Verschluss. DIE LINKE lehnt daher das internationale ACTA-Abkommen ab. Sowohl die LINKEN-Abgeordneten im Europäischen Parlament wie auch im Deutschen Bundestag werden bei den parlamentarischen Beratungen gegen ACTA stimmen.«

FDP Jimmy Schulz, MdB, Mitglied der Enquetekommission »Internet und digitale Gesellschaft«: »Die intransparente Verhandlung des Abkommens war inakzeptabel. Da in Deutschland ohnehin kein Umsetzungsbedarf besteht, ist keine Eile geboten. Es wäre besser gewesen, die Vorstöße zur verbesserten Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie nicht mit der zu führenden Diskussion um die Probleme des Urheberrechts im Internet zu vermischen. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, die Zeichnung von ACTA aufzuschieben, bis das Europäische Parlament als demokratisch legitimierte Instanz das Abkommen geprüft hat.«

Piratenpartei Auf unsere Anfrage nach einem Statement zum ACTA-Abkommen haben wir bislang keine Antwort bekommen, auf der offiziellen Webseite der Piratenpartei heißt es aber in einer Pressemitteilung unter dem Titel "ACTA ablehnen und Debatte um modernes Urheberrecht beginnen!" unter anderem: »Internationale Verträge müssen von Beginn an rechtsstaatlich auf sicheren Füßen stehen. Geheime Verhandlungen wie bei ACTA sind des demokratischen Prozesses unwürdig. Es fehlt dennoch weiterhin eine transparente Beteiligung der Nutzer und Kreativen. Mit ACTA werden einseitig die Begehren der Content-Industrie befriedigt, veraltete Verwertungsrechte verteidigt und Pfründe gewahrt. Unsere Informationsgesellschaft braucht jedoch ein neues, modernes Urheberrecht, das Kreative und Nutzer in den Mittelpunkt stellt. Diese Diskussionen wollen wir PIRATEN jetzt europaweit führen«, erklärt Christopher Lang, Bundespressesprecher der Piratenpartei Deutschland.

Die Proteste gegen ACTA (und zuvor in den USA gegen SOPA und PIPA) haben vor allem gezeigt, dass die »Generation Twitter« die Offenheit des Internets vehement verteidigt - und sehr wohl politische Entscheidungsprozesse beeinflussen kann. Das wird sie auch weiterhin müssen: Derzeit liegt der öffentliche Fokus zwar auf ACTA, zugleich feilt aber auch die EU-Kommission an der Direktive zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechts (IPRED), die ans Internet angepasst werden soll. Und darin soll nach einem ORF-Bericht auch ein Passus auftauchen, der Netzsperren für Urheberrechts-Verletzer fordert.

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