Seite 3: Wo ist der Witz? - Warum gibt es so wenig humorvolle Spiele?

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Geschmackssache

Falls ich in Grand Theft Auto 4 absichtlich einen grotesken Unfall herbeiführe und über das Ergebnis nicht lachen kann, dann ist das nicht der Fehler des Spiels. Wenn ich mir dagegen ein Comedy-Adventure kaufe und feststelle, dass der hartcodierte Humor nicht meinen Geschmack trifft, dann richtet sich meine Enttäuschung natürlich auf das Programm. Humor ist Ansichtssache. Das macht ihn zu so einem riskanten Medieninhalt. Eine der ersten Lektionen, die jeder angehende Zeitungsredakteur lernt, ist: Triff niemals ironische Aussagen! Denn Ironie wird missverstanden. Im Adventure Edna bricht aus erzählt Edna dem depressiven Irrenhaus-Insassen Peter einen Witz: »Kommt ein Mann zum Arzt. Sagt der Arzt: ›Peter, du machst es nicht mehr lange.‹« Das ist im Kontext des Gesprächs ein großartiger Gag. Man kann darüber aber auch mit den Schultern zucken. Im schlimmsten Fall geht Humor sogar nach hinten los: Wer etwas partout nicht witzig findet, der regt sich darüber auf.

Warum immer Cartoon?

Es mag das mit ein Grund dafür sein, warum humorgetragene Spiele ein Nischendasein fristen. Dazu kommen weitere Risiken. Humor ist schwer vermittelbar. Falls Ihnen das Edna-Zitat oben nicht witzig erschien, dann kann das auch daran liegen, dass im geschriebenen Text die Gesamtsituation, die Erzählweise und die Betonung verloren gehen. Mit dem gleichen Problem kämpfen der Packungstext und statische Screenshots auf der Rückseite der Box. Humor braucht Bewegtbild und Kontext, und er braucht optische Unterstützung; nicht umsonst fallen fast alle Comedy-Spiele auf einen Cartoon-Stil bei der Grafik zurück. Der hat einen doppelten Vorteil, denn zum einen signalisieren kurios gezeichnete Figuren schon von Weitem »Hier wird’s witzig!«, zum anderen erlaubt eine gezeichnete Welt ein Maximum an kreativer Freiheit. Es hat seinen Grund, dass mit Die Simpsons ausgerechnet eine Zeichentrick-Sendung die langlebigste TV-Comedy-Serie ist. Eine virtuelle Welt -- dazu gehören Cartoons ebenso wie Spiele -- gibt ihren Schöpfern punktgenaue Kontrolle über die Gestaltung jeder Szene und das Timing jeder Aktion, in viel größerem Maße als Realaufnahmen. Dazu erlaubt sie Übersteigerungen und Verzerrungen, die in der Wirklichkeit nur mit teuersten CGI-Effekten zu machen wären. Homer den Kopf von Marge aufzusetzen, bedeutet in Die Simpsons nur einen Federstrich, im Realfilm wäre es ein Riesenakt. Bei Spielen hat Zeichengrafik zudem der Vorteil, dass sie prinzipiell alterslos ist. Ein Curse of Monkey Island von 1997 sieht auch heute noch klasse aus, die 3D-Grafik von Jedi Knight aus dem gleichen Jahr wirkt gnadenlos veraltet.

Zu wenig Slapstick

Es bleibt ein altes Paradigma von Computerspielen, dass sie emotionale Situationen ungenügend darstellen. Schuld daran ist der Ressourcenaufwand: Einen Streit zwischen zwei Personen lebensnah zu animieren, verschlingt gewaltige Mengen an Zeit und Geld. Deshalb ist die klassische Zwischensequenz nach wie vor ein Hörspiel vor einer Figurengruppe, die abwechselnd aus drei Kamerawinkeln gezeigt wird. Handlung besteht in vielen Spielen vor allem aus Sprachhandlung, und Humor entsprechend vor allem aus Sprachhumor. Das ist nicht verwerflich. Aber es stellt eine freiwillige Verarmung dar. Man muss sich nur mal eine Episode einer beliebigen TV-Sitcom ansehen und aufpassen, wie viel des Witzes durch Gesten, Blicke, Gesichtsausdrücke, durch Slapstick, Objekteinsatz und kreativen Bildschnitt erzeugt wird. Rayman Raving Rabbids zählt vor allem deshalb zu den herausragenden Vertretern der Comedy-Spiele, weil es fast komplett auf Sprache verzichtet und seine Komik aus dem Verhalten der wirren Hasen ableitet, die mit glubschäugigem Entsetzen aus der Toilette stieren oder im Knabenchor Ohrfeigen kassieren. Das Ergebnis spricht für sich. In die gleiche Kerbe schlagen die Lego-Parodien von Star Wars bis Batman, die klassische Filmszenen nur durch Slapstick und Geräusche nacherzählen.

Es ist zudem ein Irrtum, dass die Begrenzung auf Sprachhumor die Entwickler vom Zwang zu sorgfältiger Inszenierung befreien würde. Vor allem deutsche Comedy-Spiele muten oft wie abgelesene Drehbücher an, was sie in der Regel auch sind. Auch Sprachhumor braucht zumindest die Professionalität eines Hörspiels, nicht die eines Hörbuchs -- keine Sprecher, sondern Schauspieler, die Rollenverständnis entwickeln, die das Timing begreifen und miteinander interagieren. Bei Sitcoms wird jede Szene geprobt, analysiert, oft umgeschrieben, sie wird vor Publikum getestet und an dessen Reaktion angepasst. Man möchte sich diesen Aufwand auch für Computerspiele wünschen. 90 Prozent aller Comedy-Spiele stammen von kleinen Entwicklerteams; sobald deren Etats größer werden, hören sie auf, damit Comedy-Spiele zu produzieren. Deck 13 ist das beste Beispiel, das Großprojekt Venetica wird selbstverständlich ein ernsthaftes Spiel. Solange Humor in Spielen die Nische der Pfennigfuchser bleibt, ist er für den Massenmarkt untauglich.

Je ne comprends pas

Ein Problem, dem bei der Projektplanung oft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist die Übertragbarkeit von Humor in andere Sprachen und Kulturen. Darin kann mitunter der Teufel stecken. Humor ist nicht zwangsläufig international. Amerikaner und Japaner grinsen über Gewaltexzesse, die Europäern Stirnrunzeln ins Gesicht treibt; Wrestling gilt in den USA beispielsweise durchaus als albern-amüsante Form von inszenierter Komik, hierzulande sieht man darin eher eine seltsame Variante des Sportringens. Umgekehrt kann man in Übersee mit dem oft langgezogenen, trockenen Wortwitz europäischer Machart wenig anfangen. Dialekte und nationale Einfärbungen, im Heimatland oft ein todsicherer Quell von Heiterkeit, sind ausgesprochen schwer zu übertragen. Wenn’s doch mal versucht wird, etwa in der legendär verunglückten deutschen Version von Baldur’s Gate, ist das Ergebnis meist unpassend statt ulkig. Parodien und Anspielungen werden automatisch zum Leergut, wenn man das Original nicht kennt, und sie haben ein eingebautes Verfallsdatum. Das Atombomben-Wettwerfen Nuclear War von New World Computing war 1989 eine bitterböse Satire auf den kalten Krieg, der nachwachsenden Generation müsste man aber erst erklären, wer sich hinter Namen wie »Ronny Raygun« und »Mao the Pun« verbirgt -- und warum das mal lustig war.

Abstruse Übersetzungen

Die Lokalisation von Comedy entpuppt sich zudem als alptraumhaftes Abenteuer, das Ergebnis ist oft über weite Strecken von Sinn befreit. Eine der witzigsten Minuten in den durchweg grandiosen Episoden von Telltales Adventure-Serie Sam & Max schickt den Hasen Max in eine langgezogene Sterbeszene, in der er unter anderem theatralisch lamentiert: »Death, where is that guy, Sting?« Wer die Anspielung auf den 1. Korintherbrief versteht (Death, where is thy sting?), dem dürfte sich zumindest ein Grinsen auf die Lippen stehlen. In der deutschen Version bleibt das ziemlich sicher aus. Hier klagt Max: »Wo ist, oh Tod, dein Lied? Von diesem Typ da -- Sting?«

Wortspiele gehen in der Übersetzung meistens verloren, wenn es in der Zielsprache kein passendes Äquivalent gibt. Das gilt auch für kulturelle Spezialitäten. Dass in Curse of Monkey Island eine Sängergruppe aus Friseuren auftritt, halten hiesige Spieler höchstens für skurril. Amerikaner verstehen dagegen die Anspielung auf ein Barbershop Quartett, vierstimmigen A-Capella-Gesang, der dem US-Kulturkreis entstammt. Die Piraten-Barbiere sangen im dritten Monkey Island-Spiel übrigens ein launiges Liedchen namens »A Pirate I Was Meant To Be«. Deutsche Spieler haben davon nie etwas gehört: In der hiesigen Fassung fehlt der Song komplett. Er war zu schwer zu lokalisieren.

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