Wo ist der Witz? - Warum gibt es so wenig humorvolle Spiele?

Es gibt unzählige witzige Filme, es gibt viele komische TV-Serien, aber humorvolle Spiele sind selten. Warum eigentlich? Christian Schmidt reist ins staubige Lacharchiv der Spielebranche und plädiert für eine neue Form von Humor.

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Spiele wie Grand Theft Auto 4 sind Fundgruben interaktiven Humors: Ständig passieren ungeplante, vom Spieler selbst provozierte Kuriositäten. Spiele wie Grand Theft Auto 4 sind Fundgruben interaktiven Humors: Ständig passieren ungeplante, vom Spieler selbst provozierte Kuriositäten.

Das letzte Mal, dass ich bei einem Spiel lauthals aufgelacht habe, war in Grand Theft Auto 4: Ein riskantes Ausweichmanöver entpuppte sich in letzter Sekunde als schlechte Idee, mein Motorrad prallte frontal auf ein entgegenkommendes Fahrzeug, Nico Bellic wurde aus dem Sattel gerissen, schlug einen Salto über das Dach und landete mitten in einer Gruppe Passanten, die er umriss wie Bowling-Pins. Das sah urkomisch aus, aber es war nicht beabsichtigt. GTA 4 ist kein witziges Spiel.

Das letzte Mal, dass ich in einem Spiel lange auf den ersten Lacher warten musste, war in Simon the Sorcerer: Chaos ist das halbe Leben. Ich erlebte gelangweilt eine aufgesetzte Intro-Kabbelei zwischen Simon und seinem Bruder, klickte mich durch vorhersehbare Beschreibungen in Simons Zimmer und verfolgte teilnahmslos, wie eine fremde Frau mit mir Schluss machte. Erst nach einer halben Stunde schob mir ein rotzfreches Rotkäppchen das erste Grinsen ins Gesicht. Auch das war so nicht beabsichtigt: Ich hätte mich viel besser amüsieren müssen. Simon the Sorcerer ist ein witziges Spiel.
Es ist so eine Sache mit Wollen und Schaffen, gerade beim Witzigsein, und insbesondere bei Spielen. Die wenigsten schaffen es. Und die meisten wollen es erst gar nicht. Beides hat seine Gründe.

Eine riesige Lücke

Simon the Sorcerer 4 ist ein Beispiel für ein klassisches Comedy-Adventure voll linearem Erzählhumor Simon the Sorcerer 4 ist ein Beispiel für ein klassisches Comedy-Adventure voll linearem Erzählhumor

Wir leben in einer Ära, in der Videospiele auf dem besten Weg sind, zum wichtigsten Unterhaltungsgut der Digitalgesellschaft zu werden. Kein anderes Entertainment-Segment wächst in einem solchen Tempo, weder Musik noch Film noch TV. Die klassischen Unterhaltungsgüter haben ihren Markt seit langem in jeden erdenklichen gesellschaftlichen Winkel getragen, sie erreichen jede Zielgruppe, vom Kind bis zum Großvater, vom Klassik-Fan bis zum Metal-Rocker, vom Straßenmädchen bis zur Bundeskanzlerin. Spiele stehen vor einer weißen Landkarte. Ihr Marktpotenzial ist nicht mal ansatzweise ausgeschöpft. Sie werden -- das sieht man an Casual Games, an Nintendos Wii und DS, an Gehirn-Jogging und Balance Board, Mobile Gaming und Free2Play -- in den nächsten Jahren massiv in neue Regionen hineinwachsen, sie werden in einer Diversifikations-Explosion unzählige neue Nischen füllen.
Eines dieser Segmente ist die Comedy. Lassen Sie mich zwei grundsätzliche Urteile fällen. Erstens: Das Potenzial des Comedy-Segments ist gewaltig. Zweitens: Auf die Art und Weise, wie bislang humorvolle Spiele produziert werden, wird es niemals gefüllt werden.

»Wie Monkey Island!«

Im Fernsehen gehören Comedy-Programme wie die Sitcom Friends zu den größten Quotenhits. Im Fernsehen gehören Comedy-Programme wie die Sitcom Friends zu den größten Quotenhits.

Humor als Unterhaltungsträger ist in anderen Medien eine Selbstverständlichkeit. TV-Sitcoms wie Friends, Scrubs, King of Queens oder The Office sind nicht nur ausgesprochen populär, sondern finanzielle Goldgruben; Comedy gehört zu den erfolgreichsten TV-Sparten überhaupt. Das Kino kennt eine ausgeprägte Parodie-Kultur, die sich in letzter Zeit vor allem in Popkultur-Kalauern wie den Scary Movie-Klonen niederschlägt und produziert regelmäßig Lachgut von schmalziger romantic comedy bis hin zur feingeistigen Woody-Allen-Satire.

Und bei den Spielen? Gibt es seit mehr als mehr als 20 Jahren eigentlich nur einen standhaften Bannerträger des Humors, und das ist das Comedy-Adventure. Bekannt seit Hitchhiker’s Guide to the Galaxy, populär seit Maniac Mansion, bringt das angestaubte Genre mit Husten und Keuchen regelmäßig neue Vertreter hervor, deren Qualität daran gemessen wird, wie ähnlich sie Monkey Island sind, einem 17 Jahre alten Spiel. Es ist, als würde man Call of Duty danach beurteilen, ob es die Klasse von Doom erreicht.

Vor allem die hiesige Branche wird es nicht gerne hören, auch wenn sie es sehr wohl ahnt: Aus dem Genre des Adventures ist kein Heil für Comedy-Games zu erwarten. Was bislang eine Nische war, wird auch weiterhin eine Nische bleiben. Denn das Rezept des Comedy-Adventures ist anachronistisch -- und ich meine nicht mal das Spielprinzip, sondern die Machart des Humors. Wir kommen in Kürze darauf zurück.

Humor als Beigabe

Youtube ist voll von Spieler-Videos mit originellen und witzigen Szenen. Youtube ist voll von Spieler-Videos mit originellen und witzigen Szenen.

Es lässt sich noch ein zweiter, weit weniger reiner Strang von Comedy-Spielen herauslesen, und das sind humorvolle Action-Adventures, vor allem auf den Konsolen. Neben dem großen Klassiker Conker’s Bad Fur Day fallen darunter so populäre Serien wie Ratchet & Clank, aber auch vom Publikum verkannte Perlen wie Psychonauts. Es ist kein rechter Grund erkennbar, warum ausgerechnet dieses Genre traditionelle Comedy-Elemente wie Slapstick, den trotteligen Sidekick und satirische Welten in seinen Wertekanon aufgenommen hat, andere Spielsparten aber nicht. Möglicherweise liegt es daran, dass die Verfolgeransicht (anders als die Ego-Perspektive von Shootern oder die Draufsicht von Strategiespielen) den Film- und Fernsehvorbilder am nähsten kommt.

Doch auch diese Spiele beziehen ihren Massenmarkt-Appeal weniger aus der Tatsache, dass sie den einen oder anderen Lacher versprechen, als aus der Faszination und Perfektion ihres Spielprinzips. Adventures sind immer noch Adventures, hier werden Rätsel gelöst. Actionspiele sind immer noch Actionspiele, ohne schnelle Reaktionen und gemeisterte Herausforderungen passiert hier gar nichts. Es gibt keine Spiele, deren einziger Zweck und Inhalt es ist, den Spieler zum Lachen zu bringen.
Warum eigentlich nicht? Ist diese Vorstellung absurd?

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