Würdiger Nachfolger mit sinnvollen Neuerungen

Shepard ist tot, lange lebe Shepard. Nach einem vorläufigen Happy End in Teil 1 muss der Allround-Commander zuerst tot sein, um wiederbelebt zu werden und im...

von TheVG am: 10.03.2012

Shepard ist tot, lange lebe Shepard. Nach einem vorläufigen Happy End in Teil 1 muss der Allround-Commander zuerst tot sein, um wiederbelebt zu werden und im Sequel weiter gegen eine drohende Reaperinvasion zu kämpfen. Zu verdanken hat er seinen weiteren Einsatz aber einer Geheimorganisation, die fragwürdige Motive vertritt, und auch das Team besteht nicht nur aus alten Bekannten. Grund genug, die Fortsetzung neu anzugehen und Shepard durch die Tiefen der Galaxie zu manövrieren. Doch lohnt sich diese Geschichte mit veränderter Spielmechanik überhaupt, oder ist das Spiel nur mehr vom Gleichen zu bieten hat.

+++ Tot oder lebendig? +++

Das Spiel beginnt sofort mit einem Schock: Shepard wird von einem fremden und mächtigen Schlachtschiff angegriffen, er kann seine Crew retten, wird aber ins All hinausgeschleudert, nachdem die „Normandy“ mit Totalschaden im Raum driftet. Doch haben seine damaligen Heldentaten Eindruck hinterlassen, und so entschließt sich die Geheimorganisation Cerberus, Shepard wieder herzustellen und eine neue, verbesserte Normandy zu bauen. Im Auftrag des sogenannten Unbekannten soll der Commander nun eine neue Bedrohung bekämpfen. Die Kollektoren, Insektenwesen im Auftrag der Reaper agierend, überfallen menschliche Außenposten und sind zu einer weiteren Gefahr für den jüngst errungenen Sieg geworden.

„Neues Spiel, neues Glück“ mag sich Bioware gedacht haben, als sie mit dem zweiten Teil der geplanten Trilogie in Angriff nahmen. Dort hingehend wieder das aufzugreifen, was so erfolgreich und spannend im Serienauftakt erzählt worden war, dürfte keine leichte Sache gewesen sein. Dass sie dann schließlich mit einem Paukenschlag beginnen, indem sie den Hauptcharakter zu einem Fleischklumpen schießen lassen, nur um ihn dann wieder zum Leben erwecken zu lassen, mag oberflächlich betrachtet als unnötig erachtet werden können, aber für ein Spiel dieser Art ein durchaus gewählter Kniff. Den Wiederherstellungsprozess verknüpfen wir mit der Charaktererstellung. Wer also seinen alten Charakter aus Teil 1 mitnehmen, aber am Aussehen etwas verändern möchte, hat hier die Möglichkeit, was erzählerisch eben mit einem halbtoten Shepard gut funktioniert. Auch die (gezwungene) Zugehörigkeit zu Cerberus hat so seine guten Gründe, denn nachdem wir den galaktischen Rat mit all seinen Lügen kennenlernen durften, haben wir dieses Mal eine Geheimorganisation im Rücken, die auf brachiale Weise die Interessen der Menschen vertritt.

Um auch hier eine Monsteraufgabe lösen zu können, tun wir auch hier das, was Teil 1 so zeitintensiv gemacht hatte. Teammitglieder müssen rekrutiert und deren persönliche Geschichten abgearbeitet werden. Im Sequel wurden diese aber gestaffelt. Das heißt, dass wir zuerst die ersten drei Kameraden ausfindig machen müssen und anschließend eine wichtige Storymission gegen die Kollektoren absolvieren (und dabei eine alte Bekannte wieder treffen), bevor uns das Spiel die nächsten Möglichkeiten eröffnet. So bleibt die Kontinuität erhalten, die Story baut sich darüber etwas sinnvoller auf. Diesbezüglich ist Mass Effect 2 folglich etwas linearer geworden.

Das gelackte Universum aus dem Auftakt ist übrigens passé. Das minimalistische Design wurde nun dreckigem Look geopfert, da gerät man auch mal auf Schiffswracks, die auf einer Klippe kurz vor dem Zerfall sind oder begegnet den Kroganer-Klans in zerfallenen Gebäuden. Bioware bezweckte ein etwas erdigeres Aussehen, was durchaus gefällt und auch realitätsnäher wirkt. Auch bei den Figuren ist nicht alles Gold, was glänzt. Neben den alten Teamkameraden sind etliche neue mit an Bord, und die haben es teilweise in sich. So rekrutieren wir die glatzköpfige Jack in einem Hochsicherheitsgefängnis, und es stellt sich in Gesprächen heraus, dass sie selbst als Kind in einem abgeschlossenen Raum aufgewachsen ist. Ob man sie nun als „verstört“ ansieht, kann man gerne für sich selbst entscheiden, denn auch die Cerberus-Protagonisten haben einiges auf dem Kerbholz. Letztlich kommt es auch mal zu Spannungen zwischen den Personen. So fällt auf, dass Bioware keine Vorzeigelebensläufe mehr zu bieten, sondern auch gebrochene Figuren und schlechte Stimmungen mit eingebaut hat – auch die aus Teil 1 bekannten Figuren haben dieses Mal so ihre Macken, so ist Garrus in den letzten zwei Jahren zum Söldner verkommen.

+++ Abziehbilder +++

Ihr müsst aber beim Wort „linearer“ keine Angst haben, denn linear ist ME 2 wahrlich nicht. Zwar sind Nebenaufträge etwas rarer gesät, aber man hat im Spiel so viel zu tun, dass das weniger ins Gewicht fallen dürfte. Dabei wurde auf erhöhte Komplexität in der Spielmechanik geachtet. Die Planeten sind jetzt nicht mehr locker durch Mausklicks zu erreichen, sondern erfordern Anflugaktionen, die gar Sprit verbrauchen. Man kann also nicht mehr alle Sonnensysteme einfach so abklappern, es wird ein wenig planerische Weitsicht erwartet. An Treibstoffdepots müssen Sprit oder Sonden gekauft werden. Die Sonden wiederum sind ebenfalls eine Neuerung, die wir benötigen, um Rohstoffe auf den Planeten abzubauen. Ebenso neu: Wir fahren nun nicht mehr ausgesuchte Welten mit dem Mako ab, sondern scannen die Oberflächen nach wertvollen Rohstoffen oder gelangen an ein paar kleine Aufgaben.

Die Aufgaben sind dieses Mal etwas abwechslungsreicher gestaltet worden. Natürlich wird wieder geballert, was das Zeug hält, aber auch hier ist einfach alles besser und direkter spürbar. Deckungen muss man nun mit Tastendruck nutzen, was noch im Vorgänger für etwas Ärger gesorgt hatte. Auch das Zielen ist nun actionlastiger – ebenfalls eine sinnvolle Verbesserung. An sich machen die Kämpfe einfach mehr Spaß, da die Dynamik in Sachen Zielsystem, Talentenutzung oder Gegnerverhalten weitaus flüssiger wirkt. Hier hat Bioware sinnvoll angesetzt und sich einfach mehr Gedanken darüber gemacht. Das nervige Sammeln und Verwerten von Items wurde nun entschlackt, so dass man nur noch Upgrades als spürbare Verbesserungen anwenden kann. Das spielt den Sammlern nicht gerade in die Hände, ist aber durch die vielen Fundorte motivierend geblieben.

Letztlich hat Bioware auch noch das Talentsystem umgebaut. Während man im Vorgänger noch fast willenlos seine Talentpunkte verteilt hatte, wurden hier weniger Talente und Spezialfähigkeiten zur Verfügung gestellt. Neue Optionen erfordern nun überlegteres Hochleveln, um schließlich noch ein paar Extras bereit zu halten. Das motiviert durchaus, da man sich anfangs in die gewählten Fähigkeiten einarbeitet und, wenn sie allmählich Routine werden, neue verwenden kann, bis es rein gefühlsmäßig mal Zeit für was Besseres wird - auch das erscheint linearer und etwas durchdachter.

+++ Kratzer im Lack +++

Wir erinnern uns 2008 an minimalistisches Leveldesign der Marke „Star Wars“ – dies wurde nun gehörig auf den Kopf gestellt. Die Abschnitte sind nun dreckiger gestaltet worden. Man sieht überall Trümmer, Gestein, dunkle Ecken oder auch wilde Vegetation. Deutlich mehr Abwechslung ist also geboten, und auch die Miniaufträge sind nun individueller anzuschauen. Bioware hat sich als die Kritiken zu Herzen genommen und hat mehr Ideenreichtum in die Umgebung gesteckt. Das passt auch zum Erscheinungsbild der Charaktere, so helfen wir Mordin bei seinem Problem und reisen auf denselben Planeten, den der Kroganerkollege Grunt besuchen muss, um als Clanmitglied anerkannt zu werden – da passt es, dass der Kroganerstützpunkt durch Kriege wie ein Wrack aussieht und Mordin einen alten Lehrling in den Ruinen vorfindet.

Da wurde auch grafisch mehr geklotzt denn gekleckert, da ist der Anblick von Detailtexturen und mehr Fülle beileibe kein schlechter. Die Effektfülle wurde ordentlich aufgestockt, so dass auch diesbezüglich mehr für´s Auge geboten wird. Auch sonst ist alles bunter und abwechslungsreicher geworden, durch schöne Licht- und Schatteneinsätze auch stimmiger. Letztlich wurde nur bei den Polygonen etwas geschludert – nicht im Aufbau, sondern in deren Programmierung, da vor allem in Gesprächen die Figuren plötzlich aus dem Bild verschwinden oder die Kameras ins Leere zeigen. Anfangs noch relativ selten auffällig, nimmt es gegen Schluss doch ziemlich zu, was noch etwas an Feinschliff hätte vertragen können.

Soundtechnisch ist soweit alles in Ordnung, und in der deutschen Version darf man sich sogar auf Verbesserung freuen. Die Qualität der Sprecher ist in der englischen Version ohne Frage eine besondere, wenn Stars wie Martin Sheen oder Keith David mit dabei sind. Aber auch im deutschen Pendant wurde ordentlich nachgezogen. Während im Vorgänger noch einige Aussetzer zu verzeichnen waren, ist im Sequel eine ganze Palette guter Sprecher eingesetzt worden. Auch die Geräuschkulisse wurde ziemlich verändert, so dass auch atmosphärische Sounds etwas mehr durchbrechen und somit zur Stimmung beitragen. Die Musik ist gewohnt gut ausgefallen, ist aber nicht mehr so catchy wie vorher, sondern greift nur alte Themen ab und zu wieder auf. Als unterstützendes Element passt sie aber wieder sehr gut.

+++ Hängt gut ab +++

Ordentlich aufgemöbelt, kann Mass Effect 2 wieder durch seine Geschichte überzeugen. Der Wow-Effekt aus dem Vorgänger dürfte dahin sein, daher kann der Hauptstrang nicht immer überzeugen. Aber die Dramatik und die persönlichen Nebengeschichten sind wieder mal das i-Tüpfelchen geworden, die alles vergessen machen. Und dass wir uns nicht nur mit den guten Seiten einer Person auseinandersetzen müssen, macht die Sache gleich doppelt motivierend. Das alles wäre nur halb so viel wert, wenn nicht auch das Gameplay gelungen wäre, aber das tut es durchaus. Das überarbeitete Kampf- und Talentsystem wirkt nun um einiges direkter, schwammige Momente sind nun fast ausgemerzt. Das, und die Tatsache, dass Bioware Mut zur Veränderung bewies, macht aus dem Nachfolger einen der würdigsten, den die Spielewelt kennt. Da halten wir uns mal an alte französische Heroldsformeln, nehmen den Beinahe-Tod Shepard locker hin und freuen uns darauf, nun endlich auch den Abschluss der Trilogie anzugehen.


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Häufiger, unregelmäßig

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



Kommentare(2)
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