Nachgereichte Mikrotransaktionen - Gezahlt wird später

Vermehrt bauen Spielehersteller nachträglich Mikrotransaktionen in Vollpreisspiele ein. Das zerstört Vertrauen, sagt Michael Graf.

Mikrotransaktionen in Vollpreisspielen, so haben's die GameStar- und GamePro-Leser entschieden, waren der größte Aufreger des Spielejahres 2015. Ich kann das verstehen, sehr gut sogar: Wer für ein Spiel 50 oder 60 Euro hingelegt hat, möchte auch gerne alles bekommen, was drinsteckt - und nicht noch durchs Shop-Hintertürchen zu weiteren Zahlungen verlockt werden. Inzwischen dürften selbst viele Publisher verstanden haben, dass diese Praxis Presse und Spieler verärgert, am Image kratzt und so im Endeffekt die Verkaufszahlen drückt.

Also probieren sie's vermehrt mit einer neuen Masche: den nachträglich per Patch eingebauten Mikrotransaktionen. Denn, so das mögliche Kalkül, wenn einige Wochen oder Monate nach Release urplötzlich ein Echtgeld-Shop im Hauptmenü auftaucht, ist der Aufschrei deutlich kleiner, die Aufmerksamkeit der wütenden Massen schon wieder auf aktuellere Titel gerichtet. Dennoch zerstört der nachträgliche Einbau etwas sehr Wichtiges: das Vertrauen der Spieler.

Der Autor
Michael Graf leitet als Mitglied der Chefredaktion das Report- und Kolumnenressort von GameStar und GamePro. Und er hat in seiner langen Spielerlaufbahn nur zwei Mikrotransaktionskäufe getätigt: eine zusätzliche Waffe in einem Tower-Defense-Spielchen füs Smartphone – und einen Schlüssel für eine Loot-Kiste in Dota 2. In Free2Play-Spielen findet er Mikrotransaktionen ja auch gar nicht verwerflich, so lange sie nicht auf Pay2Win, also auf unfaire Vorteile im Kampf gegen andere Spieler hinauslaufen. Bei einem Vollpreisspiel würde er aber wirklich niemals, niemals zusätzliches Geld für Kleinkram ausgeben. Sondern nur für DLCs, die's wert sind.

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Durch die Hintertür

Beispiele dafür gibt's einige, eines der prominentesten ist Payday 2. Die Entwickler des Koop-Shooters schworen zum Release 2013, es werde im Koop-Shooter niemals Mikrotransaktionen geben - nur, um zwei Jahre später dann doch welche einzubauen. Und hinterher sind sie sich nicht mal zu schade, die Aufregung über das gebrochene Versprechen auf »reißerische« Medienberichte zu schieben. Während man dem Payday-Team immerhin glauben kann, dass die Mikrotransaktions-Nachreichung erst lange nach dem Release des Shooters ersonnen wurde, dürfte sie bei Forza 6 von Anfang an eingeplant gewesen sein.

Payday 2 ist das prominenteste Beispiel für nachgereichte Mikrotransaktionen. Payday 2 ist das prominenteste Beispiel für nachgereichte Mikrotransaktionen.

Beim Xbox-One-Rennspiel dauerte es nicht mal zwei Monate, bis plötzlich ein Shop mit kaufbaren »Tokens« auftauchten, die man gegen neue Autos eintauschen kann. Eingeführt wurden die in aller Stille, offiziell »angekündigt« wurde der Mikrotransaktions-Einbau nur in einem unscheinbaren Blog-Beitrag.

Activision hingegen hat zuletzt nicht nur dem MMO-Shooter Destiny Mikrotransaktionen hinzugefügt, sondern auch Call of Duty: Black Ops 3, Letzteres nur fünf Wochen nach Release. Und in die Konsolenversionen von Electronic Arts' Multiplayer-Shooter Plants vs. Zombies: Garden Warfare sickerte der Echtgeld-Shop zwei Monate nach Release, nachdem die Designer zuvor ganz clever gesagt hatten, es werde »zum Launch« keinen geben. Bei Battlefield 4 genau das Gleiche.

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Vertrauen verspielt

Ich kann ja nachvollziehen, warum Publisher glauben, dass Mikrotransaktionen in Vollpreisspielen eine gute Idee seien. Der immer schnellere Preisverfall durch Steam- und andere Sales zwingt sie dazu, neue Verdienstwege zu erschließen, sei's durch DLCs und Season-Pässe, oder eben durch Echtgeld-Shops. Irgendwie wollen die Designer ja auch ihre Mieten bezahlen. So lange sich die Mikrotransaktionen vornehm im Hintergrund halten, nicht aus jedem Menü blinken und vor allem nicht notwendig sind, ist das für mich auch kein Problem: ein Echtgeld-Shop, den ich getrost ignorieren kann, ist ein hinnehmbarer Echtgeld-Shop (siehe Rise of the Tomb Raider). Spieler mit sehr wenig Zeit können ja dann immer noch Booster und Autos kaufen, wenn sie möchten.

Kritisch wird's erst dann, wenn die Designer die Spielmechanik ihres Vollpreistitels absichtlich so zäh machen, dass ich entweder endlos grinden »darf«, um ein Ziel zu erreichen - oder eben zwangsläufig Booster kaufen muss, um überhaupt noch Spaß zu haben. Wenn ich sowas will, spiele ich Free2Play-Titel. Ganz so krass habe ich das allerdings noch in keinem Spiel erlebt - außer vielleicht ansatzweise beim Auktionshaus von Diablo 3. Wofür wir das Action-Rollenspiel seinerzeit ja auch um fünf Punkte abgewertet haben.

Wird The Division wirklich keine Mikrotransaktionen haben, wie die Entwickler versprechen? Wird The Division wirklich keine Mikrotransaktionen haben, wie die Entwickler versprechen?

Wichtig ist aber auch, dass Entwickler offen mit Mikrotransaktionen umgehen. Wenn sie welche in ihrem Spiel haben, sollen sie das vorab sagen und erklären, was dadurch beeinflusst wird - und was nicht. Etwas unter den Tisch zu kehren, erzeugt im Internet-Zeitalter einen umso größeren Aufschrei. Das gilt erst recht, wenn die Mikrotransaktionen nachgereicht werden: Wie soll ich künftig Entwicklern vertrauen, wenn sie schwören, ihr Spiel habe »keine Mikrotransaktionen«?

Kann ich Ubisoft wirklich glauben, dass The Divisionkeinen Echtgeld-Shop bekommen wird? Gleiches gilt für Star Wars: Battlefront: Wird's da wirklich keine kaufbaren Items und Booster geben - oder mal wieder nur nicht »zum Launch«? Das Vertrauen der Kunden ist für ein Unternehmen das höchste Gut. Und wenn das möglichst stille Nachreichen von Mikrotransaktionen so weitergeht, werden es die Spielehersteller verspielen.

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