Game Developers Conference - Das G steht für Respekt

Was bringt Michael Graf von der GDC zurück? Eine Erkältung – und eine neue Perspektive.

Obwohl ich schon seit gefühlten 100 Jahren (okay, es sind zwölf) bei GameStar bin, war ich dieses Jahr zum ersten Mal auf der Games Developers Conference, kurz GDC, in San Francisco. Die weltgrößte Entwicklermesse hat mir - neben vielen spannenden Vorträgen und Gesprächen - vor allem eines beschert: eine andere Sichtweise auf Spiele.

Was ich damit meine - okay, wer hier kennt den Monolog des Kritikers aus Ratatouille? Also aus dem Pixarfilm, nicht dem Gemüsegericht. Wer sein Essen sprechen hört, sollte dringend professionelle Hilfe suchen. Ich meine diesen Monolog (leider nur auf Englisch verfügbar):

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Die Arbeit eines Kritikers, heißt es da, sei leicht - weil man über die Werke anderer urteilt, manchmal vernichtend, ohne selbst etwas zu riskieren. Das Negative liegt uns häufig näher als das Lob. Was im Grunde okay ist. Natürlich darf man sagen, dass das Interface von Fallout 4 fingerunfreundlich, die Story von The Division dünn wie Butterbrotpapier und die Charakterentwicklung von The Witcher 3 (zumindest für mich) unbefriedigend ist. Völlig okay.

Insgesamt 27.000 Menschen besuchten die GDC 2016. (Foto: GDC) Insgesamt 27.000 Menschen besuchten die GDC 2016. (Foto: GDC)

Bemerkenswert ist aber, wie viel Hirnschmalz in den Dingen steckt, die funktionieren. Und wie wenig man normalerweise darüber nachdenkt. Selbst hinter den unscheinbarsten Details kann ein komplexer Designprozess stehen, eine akribische Planung, eine knallharte Herausforderung für Programmierer, Animatoren & Co. Fehler, die geschehen sind, sieht man auf den ersten Blick. Fehler, die vermieden wurden, bemerkt man womöglich nie. Auf der GDC geht es jedoch um beides.

Nur ein Beispiel: Bei seinem Virtual-Reality-Shooter Bullet Train - eigentlich einer simplen Schießbude - hat sich Epic das Hirn zermartert über die richtige Waffenhaltung und Kugelgeschwindigkeit. Merkt man das? Nein, die Roboterballerei funktioniert, fühlt sich aber nicht wirklich besonders an, zumindest nicht in Bezug auf Waffenhaltung und Kugelphysik. Merken würde man, wenn's anders wäre, hakelig, unrund.

Die GDC hat mir also nicht nur eine Erkältung beschert (diese Amerikaner und ihre Klimaanlagen!), sondern auch eine etwas andere Perspektive auf die Arbeit vieler Spieleentwickler. Man könnte sagen: eine respektvollere Perspektive.

Der Autor

Michael Graf leitet bei GameStar und GamePro die Ressorts Meinung und Hintergrund, betreut also Kolumnen und Reports, Letztere sowohl auf GameStar Plus als auch in den Heften. Hin und wieder testet er auch Spiele, etwa Fallout 4 und The Witcher 3. Kleine Spiele für Zwischendurch eben. Ähem. Derzeit experimentiert er zudem mit Skyrim-Mods. Davon gibt's ja inzwischen mehr als genug.

Hätte ich nie gedacht

Auf der GDC werden nicht nur Vorträge gehalten: In den Ausstellungshallen präsentieren sich Soft- und Hardware-Entwickler. (Foto: GDC) Auf der GDC werden nicht nur Vorträge gehalten: In den Ausstellungshallen präsentieren sich Soft- und Hardware-Entwickler. (Foto: GDC)

Die GDC macht sichtbar, was hinter den Kulissen passiert, und wie schlau die Menschen sind, die es ermöglichen. Ich konnte selbst nur einen Bruchteil der Vorträge sehen - viele fanden gleichzeitig statt, und Klontanks sind bedauerlicherweise immer noch nicht marktreif -, doch selbst das reicht, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie viel in dieser Branche eigentlich nachgedacht wird.

Nicht nur über Offensichtliches wie Vermarktung und Geschäftsmodelle, sondern über die kleinsten Details. Da präsentieren Indie-Entwickler ausgefeilte Excel-Formeln, mit denen sich selbst aus kleinen Testgruppen sinnvolle Erkenntnisse errechnen lassen. Da zeigen Leveldesigner (in diesem Fall die von Fallout 4) neue Ideen für den Aufbau von Editoren, da wird viel über Spielermotivation sowie Spiele für unterschiedliche Altersgruppen gesprochen, und David Brevik verrät, welche Lehren junge Teams aus seinen Fehlern beim ersten Diablo ziehen können (»Laut Vertrag bekamen wir 300.000 Dollar. Für drei Jahre Arbeit mit 15 Mann. Was habe ich mir dabei gedacht?«).

Gewohnt investigativ: unser GDC-Team, bestehend aus Michael Graf und Sebastian Stange. Gewohnt investigativ: unser GDC-Team, bestehend aus Michael Graf und Sebastian Stange.

Da erzählt ein KI-Designer von Evolve, wie er fast seine Kollegen erwürgt hätte. Kurz vor Release habe er sich gewundert, dass computergesteuerte Monster an bestimmten Engstellen festhängen. Das sei vorher nicht so gewesen. Die (stark vereinfachte) Erklärung: Ein Jahr (!) zuvor haben seine Kollegen bestimmte Formeln der Levelgeometrie geändert, aber vergessen, der KI-Abteilung Bescheid zu sagen. Was letztlich die Wegfindung zerschoss und dazu führte, dass die Designer unter enormem Zeitdruck eine Lösung suche mussten. Die fanden sie auch (wohl sogar eine ziemlich schlaue), aber nicht für alle Stellen. Deshalb gibt es in Evolve nun ein paar unsichtbare Mauern, an denen die KI nicht vorbeikommt.

Die Witcher-3-Entwickler wiederum verraten, wie sie mit einem relativ kleinen Team filmhafte Dialoge basteln konnten, in denen die Charaktere nicht wie in The Witcher 2 stocksteif herumstehen, sondern sich bewegen, gestikulieren und aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen sind. Kurze, ebenfalls vereinfachte Antwort: Weil man im internen Dialogeditor nur die Stimmung eines Charakters (wütend, fröhlich, etc.) angeben muss, woraufhin der Editor die Sequenz automatisch mit zufälligen, passenden Animationen, Gesten und Kameraperspektiven füllt. Das Ganze wird mehrfach ausgewürfelt, bis das Ergebnis dem Designer gefällt, am Schluss wird poliert, fertig. Was für ein cleveres Tool.

GameStar TV: Live von der Game Developers Conference - Folge 212016 - Sebastian und Michael Graf berichten aus San Francisco Video starten PLUS 23:27 GameStar TV: Live von der Game Developers Conference - Folge 21/2016 - Sebastian und Michael Graf berichten aus San Francisco

Spiele sind schwierig!

All das hat mir nicht nur haufenweise Artikelideen beschert, sondern auch eine neue Perspektive. Und nein, ich war bisher niemand, der durch die Weltgeschichte spaziert ist und behauptet hat, es sei einfach, Spiele zu entwickeln und zu veröffentlichen.- herrje, ich bekomme ja schon Kopfweh, wenn ich Codezeilen nur anschaue. Außerdem habe ich lange genug - Achtung: schamlose Eigenwerbung - unser Entwicklermagazin Making Games gelesen, um zu wissen, worüber sich Designer Gedanken machen. Ich weiß, wie viele Überstunden manche Entwickler schieben müssen, wie viel Herzblut sie in ihre Spiele stecken.

David Brevik sprach auf der GDC über die Entstehung von Diablo. (Foto: GDC) David Brevik sprach auf der GDC über die Entstehung von Diablo. (Foto: GDC)

Das alles in Vorträgen und persönlichen Gesprächen zu hören, ist aber noch mal etwas Anderes. Vor allem, weil auf der GDC der sonst übliche Puffer fehlt: das Marketing. Die Entwickler reden frei von der Leber weg, weil sie mir nichts verkaufen müssen. Ihre Spiele sind fertig, die meisten blicken zurück. Ein Designer (der anonym bleiben soll) seufzt sogar, wie schlecht er die Steuerung seines eigenen Spiels findet. Das möchte ich mal auf einem klassischen Presse-Event erleben.

Auf der GDC herrscht eine entspannte Atomsphäre, es ist eine Messe, auf der junge Designer von den alten lernen, aber auch eine, die Platz bietet für Gedankenspiele und neue, sogar wirre Idee. Was es da alleine an bizarren Virtual-Reality-Gerätschaften gibt – beispielsweise ein Gebläse, das Spielern Wind vorgaukelt! Nicht alle diese Ideen werden zünden (beispielsweise das Gebläse, das Spielern Wind vorgaukelt), aber es macht Spaß, zu sehen, wie innovativ und experimentierfreudig die Spielebranche immer noch sein kann.

Virtual Reality war natürlich das große Thema der GDC, hier probiert Sebastian PlayStation VR aus. Virtual Reality war natürlich das große Thema der GDC, hier probiert Sebastian PlayStation VR aus.

Noch mal: Kritik ist wichtig, das wissen wir alle. Denn ohne Kritik kann sich niemand verbessern, und darum geht's uns ja allen: (noch) bessere Spiele. Dabei kann es aber auch helfen, nicht nur das Negative zu zerlegen, sondern auch das Positive zu loben. Ja, selbst im Kommentarbereich von GameStar.de. ;)

Und wie Anton Ego aus Ratatouille noch sagt: Die wahre Herausforderung für einen Kritiker besteht darin, das Neue zu entdecken und gegen Skepsis zu verteidigen - denn Neues hat es in den Augen der Mitmenschen meist schwer. Wer wissen will, was das in der Praxis bedeutet, muss nur mal mit dem Kollegen Stange über Virtual Reality sprechen. Oder seinen Artikel darüber lesen.

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