Da jubelt der Twitch-Finanzchef - Meinung: Bei den Cheers geht's nur ums Geld!

Mit den »Cheers« führt Twitch animierte Jubel-Icons für Chat-Benutzer ein – und zwar nur gegen bare Münze. Sebastian Stange ist nach etwas Rechenarbeit allerdings nicht zum Jubeln zumute.

Twitch hat mit den Cheers kürzlich ein neues Feature eingeführt, das derzeit im Beta-Betrieb erprobt wird. Und ich brauchte eine ganze Weile, um zu verstehen, was das eigentlich sein soll. Im hippen Trailer zum neuen Feature verkauft die Twitch-Programmmanagerin Anna Prosser Robinson die Sache als neue Ausdrucksform für Zuschauer. »Es lässt euch Hype, Gemeinschaft und Liebe zeigen«, sagt sie da etwa und: » Am allerbesten: es lässt euch Unterstützung für eure Liebingsbroadcaster ausdrücken.« Was die Dame meint und was die offiziellen Informationen nur sehr widerwillig preisgeben: Es geht eigentlich nur ums Geld.

Das Cheers-System umfasst fünf verschiedene, animierte Chat-Symbole. Das Cheers-System umfasst fünf verschiedene, animierte Chat-Symbole.

Die Cheers sind ein Bezahlsystem. Wer eine dieser Animationen im Chat verwenden will, muss dafür jedes Mal so genannte Bits bezahlen. Mindestens einen, so viele, wie man besitzt oder jede Zahl dazwischen. Diese Bits sind eine Art Premiumwährung, die in diversen Paketen mit gestaffelten Preisen verkauft wird. Ab 100 Bits etwa lockt eine farbige Cheers-Animation anstatt des tanzenden, grauen Dreiecks, das bei weniger Bit-Einsatz im Chat herumzuckt.

100 Bits kann man sich für 1,40 Dollar kaufen. Wer 308 Dollar für 25.000 Bits ausgibt darf sich drüber freuen, nur etwa 1,23 Dollar pro 100 Bits bezahlt zu haben. Ach hübsch, da hat sich Twitch eine Scheibe von Free2Play-Spielen abgeschnitten. Und Twitch hat es offensichtlich drauf abgesehen, endlich ein Stück des fetten Spendenkuchens zu ergattern. Denn die Bezahl-Animationen sind nix weiter als eine Transaktion von Geld - vom User an Twitch und an den Streamer. Mehr dazu später.

Die Preisstaffelung der Bits, mit denen Cheer-Animationen bezahlt werden. Die Preisstaffelung der Bits, mit denen Cheer-Animationen bezahlt werden.

Sebastian Stange

Der Autor
Sebastian Stange spielt, seit er im Elternhaus die Anschaffung eines PCs erquängelte. Mittlerweile ist das mehr als 20 Jahre her und nach wie vor üben Spiele eine große Faszination auf Sebastian aus. Er spielt nicht nur gern, er interessiert sich für den Entwicklungsprozess, die bewegte Geschichte einzelner Unternehmen und die Branche an sich. Er staunt darüber, wie facettenreich Gaming heutzutage ist und auf welch vielfältige Art und Weise sich Menschen mit Spielen beschäftigen. Sebastian schämt sich nicht zuzugeben, die bockschweren Souls-Spiele aus dem Hause From Software lieber als Let's Play zu genießen anstatt sie selbst zu spielen. Und er staunt, wie Live-Streaming im Spielebereich an Fahrt gewinnt. Sebastian nörgelt also nicht über die sich wandelnden Spiele- und Medienlandschaft. Er begrüßt diesen Wandel, so lange Fairness und Transparenz nicht auf der Strecke bleiben.

Ein Stück von Spendenkuchen

Der Streamingdienst sowie die aktiven Streamer bei Twitch haben diverse, gemeinsame Einahmequellen.Wer einen Kanal fest abonniert zahlt etwa 5 Dollar pro Monat, die zwischen Twitch und Streamer geteilt werden. Ebenso teilen sich beide Parteien die Einnahmen durch Werbeeinblendungen.

Obendrein bietet Twitch auch noch eine Turbo-Mitgliedschaft an, die mit Werbefreiheit, bevorzugtem Kundensupport und mehr Chat-Funktioneneinhergeht. Pro Monat kostet der Spaß 9 oder 7,50 Dollar - je nach Paket. Hier verdient Twitch freilich den Löwenanteil, auch wenn die Streamer immerhin auch von den Turbo-Zuschauern Werbeeinahmen kassieren, auch wenn die keine Werbung zu sehen bekommen. Doch dann gibt es noch die Spenden.

Über Spendenlinks im Chat oder den Beschreibungstexten der Streams können die Zuschauer ihren Lieblingsstreamern direkt Geld überweisen.Von jeder Spende kassiert Paypal 2,2 Prozent plus 30 Cent, der Rest geht aber allein an den Streamer. Während sich viele Streamer beim Thema Subscriber-Zahlen sehr bedeckt halten, da die schließlich ein berechenbares, monatliches Einkommen darstellen, werden Spenden meist sehr öffentlich gefeiert.

Link zum YouTube-Inhalt

Spendenticker zeigen die großzügigsten Zuschauer des Tages oder Monats, mit animierten Einblendungen und Soundeffekten werden Spenden live zelebriert. Ich weiß nicht, ob ich das gut finde, doch darum geht es hier nicht. Es geht hier darum, dass dabei große Summen zusammen kommen - vor den Augen von Twitch. Kein Wunder, dass mit den Cheers jetzt ein Gegenvorschlag zur klassischen Spende angeboten wird. Twitch gibt für jedes Bit eiens Cheers einen US-Cent an den Streamer weiter. Da haben wir es, das liebe Geld!

Twitch ist ein wirtschaftlich arbeitendes Unternehmen, seit 2013 fährt es Gewinne ein. Doch neue Umsatzströme sind für Unternehmer immer gut, und ich nehme es Twitch am Ende auch nicht übel, hier nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Doch ich mag nicht, wie sie hier das Thema »Spende« anpacken und wie sie es verkaufen. Man schaue sich nur dieses offizielle Infovideo zum Cheers-System an:

Denn seien wir ehrlich: Die Cheers sind ein Trinkgeld, eine Spende, finanzielle Vergütung. Dieser Aspekt stellt klar das Fundament des neuen Features dar. Daher empfinde ich es als scheinheilig, uns die Sache als neue Ausdrucksform zu verkaufen und das Thema Geld bei der Kommunikation immer nur am Rande zu erwähnen. Immerhin gelobte Twitch in einem Blog-Update, dass die Cheers nicht das Ende von Spendenlinks unc Co. bedeuten.

Warum der Umweg?

Aber warum muss die Spenden-Sache dann auch noch so unnötig kompliziert und undurchsichtig sein? Wieso muss diese Bits-Währung zwischen User und Spende stehen? Okay, ich kann mir vorstellen, warum. Damit man eben nicht sofort weiß, wie viel Kohle man gerade mit nem Blinke-Icon verballert und damit Twitch diese Pakete verkaufen kann.

Link zum Gfycat-Inhalt

Dieses Geschäftsmodell sorgt schließlich sofort für dicke Umsätze bei Twitch, während der versprochene Cent pro Bit erst allmählich an die Streamer ausgeschüttet wird. Zumal eine solche Premium-Währung generell etwas sorgloser ausgegeben wird als Echtgeld. Die Kohle ist schließlich eh schon weg. Das Cheers-System ist also eine ausgeklügelte, rein auf den Geldverdienst ausgelegte Sache. Und sie erscheint mir als gierig, denn die Spendenkultur auf Twitch ist aus der Community heraus entstanden. Sie stellt eine Interaktion zwischen Zuschauer und Streamer dar.

Ich kann nachvollziehen, dass Twitch da mitspielen will, doch wo bleibt der Gegenwert? Blinkende Icons im Chat? Freilich sind die mit Programmieraufwand und Support verbunden. Und klar, sie zeigen deutlich sichtbar eine Spende an. Und es ist sicher schlau, ein solches Sysem direkt in Twitch zu integrieren und obendrein auch Minispenden ab 1 Bit zuzulassen. Das könnte sich am Ende für die Streamer lohnen. Aber spielen wir die Sache doch mal durch.

Wenn ich ein Superfan bin, der sich für Monate der Unterhaltung bedanken will, dann kann ich die 10.000 Bits für einen rot wirbelnden Stern ausgeben. Aber zum einen landet der im Chat und damit an einem Ort, wo er potenziell rasch untergeht, sofern der Streamer keine entsprechenden Alerts für das neue Bit-System in seiner Software integriert.

So stellt sich Twitch die Zukunft des Cheering vor. Jeder Zahl steht für gespendete Cent. Nicht im Bild: Die fette Provision für Twitch. So stellt sich Twitch die Zukunft des Cheering vor. Jeder Zahl steht für gespendete Cent. Nicht im Bild: Die fette Provision für Twitch.

Zum anderen muss ich damit leben, dass ich meinem Lieblings-Streamer gerade 100 Dollar gespendet habe, mich der Spaß aber mindestens 123 Dollar gekostet hat. Das halte ich für verdammt dreist. Twitch mag die Infrakstruktur und Plattform für jeden einzelnen Streamer zur Verfügung stellen und hat selbstverständlich ein Recht darauf, dafür in irgendeiner Form Geld zu verlangen.

Während mir aber die restlichen Umsatzquellen als durchaus fair erscheinen, geht Twitch bei den Cheers meiner Meinung nach zu weit. Wenn Twitch schon bei einer Spende eines Zuschauers an einen Streamer den Mittelsmann spielen will, dann bitte nicht zu solchen Konditionen.

Nur mal zum Vergleich, wenn ich mit einem bekannten Geldtransferdienstleister 100 Euro in bar an eine beliebige Person in den USA senden will, kostet mich das 5,90 Euro - macht eine Gebühr von ca. 5,5 Prozent. Twitch verlangt 19 Prozent oder mehr. Und das ist eine Frechheit!

Übrigens: Zum 1. April hatten wir noch darüber gescherzt, dass Youtube bald Beleidigungen kostenpflichtig macht. So weit weg waren wir damit gar nicht.

zu den Kommentaren (44)

Kommentare(44)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.