In einem Nachtclub in Tokio bahnen sich zwei grobschlächtige Männer ihren Weg durch die dichtgepackte Menge der Körper, die im Stroboskoplicht pulsieren. »Wohin jetzt?«, schreit der eine. »Die Treppe rauf. Und halt’s Maul«, bellt der andere. Die beiden rempeln sich zu einer Tür durch, verschwinden, tauchen wieder auf: Der eine trägt eine leblose Frau, der andere eine Waffe. Einige Besucher wollen Schüsse gehört haben, Taschenlampenstrahlen der Sicherheitsleute tasten sich suchend durch die Tanzenden. Einer entdeckt die beiden Männer und eröffnet das Feuer. Der Saal bricht in Panik aus, Menschen stieben auseinander, rennen in die Schusslinie und stürzen getroffen nieder. Scheiben bersten im Kugelhagel, Säulen splittern, eine Bar geht zu Bruch. Die beiden Männer flüchten aufs Dach, hinterlassen eine Spur aus Leichen wie Hänsel und Gretel Brotkrumen im Wald. Am Ende sind Dutzende von Menschen tot, Wachleute wie Clubgäste, aber Kane und Lynch haben ihre Geisel. Zumindest für ein paar Stunden – bis der nächste Plan schiefgeht.
Tango & Cash
Das Nachtclub-Drama ist eine der stärksten Szenen des an filmreifen Momenten reichen Actionspiels Kane & Lynch: Dead Men. Ob die beiden eine Bank ausnehmen und dann von der Polizei durch die Stadt gehetzt werden, eine Gefängnisrevolte vom Zaun brechen oder im Bürgerkrieg in Havanna Hind-Helikopter abschießen – in Sachen coole Schauplätze und krachig-abwechslungsreiche Inszenierung kann derzeit kaum ein Spiel Kane & Lynch das Wasser reichen. Die Handlung setzt im Inneren eines Gefängnistransporters zur Todeszelle ein und hetzt in 16 rund halbstündigen Abschnitten bis in den Dschungel von Kolumbien.
Kane, Ex-Söldner und Hinrichtungskandidat, wird von einer Gruppe ehemaliger Kollegen namens The7 befreit. Die wollen gestohlenes Geld von ihm zurück. Was da in der Vergangenheit passiert ist, welche Geschichte die Clique verbindet, warum Kane im Knast sitzt, wieso seine Familie ihn hasst – keine Ahnung; klärt das Spiel auch nicht auf, sondern streut nur Andeutungen und Geschichtsfetzen. Die werden nicht verknüpft, sondern führen (abhängig von einer Entscheidung, vor die Sie das Spiel am Schluss stellt) zu verschiedenen ebenso abrupten wie unbefriedigenden Enden. The 7 stellt Kane jedenfalls den Mit-Knasti Lynch als Aufpasser zur Seite – fertig ist das Helden-Duo, das sich ab dann wie im klassischen »Buddy Movie « (Lethal Weapon-Reihe, Stirb langsam 3 etc.) für den Rest des Spiels gegenseitig anschreit. Nur deutlich derber und düsterer als in den Kino-Vorbildern.
Jekyll & Hyde
Dass Kane & Lynch ein Erwachsenenspiel ohne Jugendfreigabe ist, liegt nicht nur an der expliziten Gewaltdarstellung samt Kopf schüssen in Nahaufnahme. Rabenschwarze Stimmung verbreiten vor allem die beiden Protagonisten.
Kane hat keinerlei Skrupel und opfert bedenkenlos Kameraden, Lynchs Kontakt mit der Wirklichkeit ist mitunter nur noch fingernagelbreit. Der Langhaarige rastet in unregelmäßigen Abständen aus und ballert Zivilisten über den Haufen. Davon gehen sowieso allerhand hops, denn das Spiel bevölkert seine öffentlichen Schauplätze mit Hundertschaften von Passanten. Die technisch eindrucksvolle Simulation führt auf Straßen und in weitläufigen Gebäuden zu einem Atmosphäresprung, weil die panisch fliehenden Menschenströme für ein realistisches Hintergrundrauschen sorgen. In vollgepackten Räumen wie dem Tokio-Club Mizuki fällt allerdings störend auf, dass die Massen nur aus Klonen bestehen – als sähen Asiaten sowieso alle gleich aus.
Mitunter bekommen die Personenmengen auch spielerische Bedeutung, nämlich dann, wenn sie ihnen im Gewühl vor die Flinte rennen. Dann fällt es schwerer, die Gegner im Visier zu behalten. Wer trotzdem drauflosballert, hat allenfalls ein leeres Magazin zu befürchten. Konsequenzen für getötete Zivilisten gibt es nicht. So werden Ihnen zivile Opfer bald so gleichgültig wie den Gegnern, die ebenfalls ohne Rücksicht auf Verluste feuern – selbst wenn sie auf der Seite des Gesetzes stehen. Wohl im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit machen die beiden Sträflinge beim Erschießen von Streifenpolizisten auch keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Dicke Blutlachen und Wandspritzer hinterlässt sowieso beiderlei Geschlecht. Die deutsche Fassung ist komplett ungeschnitten und lässt sich im Optionsmenü mit einem Mausklick auf Englisch umstellen, wahlweise auch in drei andere Sprachen.
Tod & Verderben
Wer die Hitman-Spiele vom Kane & Lynch-Entwickler IO Interactive kennt und ein ähnlich taktisches Spielerlebnis erwartet, liegt falsch. Zwar ist die Schulterperspektive vergleichbar und die Levels sind ebenfalls eher kompakt angelegt, allerdings fehlt in den streng gradlinigen Karten fast jede Möglichkeit zu alternativem Vorgehen. Stattdessen läuft die Mechanik in Richtung Stranglehold: Dauergeballer auf große Mengen anstürmender Feinde, dann vorrücken zum nächsten Kampfpunkt. Die (durchaus spaßige) Herausforderung liegt eher im geschickten Ausnutzen der Deckung. Kane presst sich automatisch an Wände und feuert um die Ecke; mit der rechten Maustaste zielen Sie über Kimme und Korn und picken so die Feinde einen nach dem anderen heraus.
Bei Gegentreffern läuft das Bild zunehmend blutrot an, färbt sich aber wieder zurück, wenn Sie ein paar Sekunden in Sicherheit verharren. Kippt Kane doch mal um, setzen ihm nahe Kollegen die rettende Adrenalinspritze. Wenn kein Kamerad im Umkreis ist oder Sie zu oft am Stück fallen, dann geht’s zurück zum letzten der automatischen Speicherpunkte. Dort müssen Sie sich häufig auch die einleitenden Zwischensequenzen nochmals ansehen, die teils nicht mal abbrechbar sind. Freies Speichern kennt Kane & Lynch nicht. Ärgerlich: Das Spiel merkt sich nur die bereits bestandenen Kapitel, nicht den Fortschritt darin. Wenn Sie vor dem Missionsende aussteigen, müssen Sie beim nächsten Start von vorn beginnen.
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