Making Games Report - Nichtlineare Geschichten schreiben

Wenn Game Designer und Autoren an Geschichten mit sich verzweigenden Handlungssträngen schreiben, ist Übersicht im Projektverlauf unerlässlich. Julius Kuschke von Nevigo erklärt, mit welchen Methoden komplexe Dialogsysteme visualisiert werden können.

Gerade bei Computerspielen eignet sich die Umgebung hervorragend zur Vermittlung bzw. Vertiefung der Geschichte. Ein Schauplatz-Editor hilft, die Umgebung in das Story-Design einfließen zu lassen. Gerade bei Computerspielen eignet sich die Umgebung hervorragend zur Vermittlung bzw. Vertiefung der Geschichte. Ein Schauplatz-Editor hilft, die Umgebung in das Story-Design einfließen zu lassen.

Julius Kuschke, Software Designer bei Nevigo: »Was soll mit der gefangenen Spionin geschehen, die ihm gerade noch das Leben rettete? Seine Begleiter reden energisch auf ihn ein. Doch die Entscheidung liegt allein bei ihm. Ein Mausklick genügt und gibt ihm die Macht, den Lauf der Dinge zu entscheiden. Nichtlineare Geschichten haben das große Potenzial, den Spieler vollkommen in den Mittelpunkt zu stellen und ihm ein Gefühl von Bedeutung und Einfluss zu geben. Dass dieses Konzept nicht nur in der Theorie funktioniert, zeigen eindrucksvoll die Erfolge von Heavy Rain, Mass Effect oder The Witcher 2.

Was der Spieler nicht sieht, ist all die Arbeit, die diesen einen Mausklick erst zu dem macht, was er ist. Er sieht nur einen Ausschnitt des Dialogs, erfährt nur die Konsequenzen einer Entscheidung. Der Schreiber einer nichtlinearen Geschichte muss hingegen sämtliche Entscheidungen im Blick haben und sicherstellen, dass jeder Pfad »funktioniert«. Eine gute lineare Geschichte zu schreiben, ist schon eine Herausforderung für sich. Sobald jedoch die Variable »Spieler« hinzukommt, beginnt der Kampf gegen das Verzweigungschaos.
Dieser Artikel beleuchtet das Thema Interactive Storytelling von einem praktischen Standpunkt aus und soll Anregungen für Arbeitsweisen und Strukturen geben, die dabei helfen können, sich im Entscheidungsdschungel nicht zu verirren.

Das Ziel kennen

Um sich nicht zu verirren, sollte man zunächst wissen, wo man überhaupt ankommen möchte: Soll der übergeordnete Plot mehrere Enden haben? Wenn ja, welche? Wie sieht es mit den Enden der einzelnen Kapitel aus? Die möglichen Ausgänge für jeden größeren Abschnitt des Spiels zuerst zu entwerfen, hilft dabei, die notwendigen Spielerentscheidungen exakt zu ermitteln. Wenn man stattdessen vom Kleinen ins Große schreibt, vergrößert das die Gefahr, dass zu viele und oftmals unnötige Verzweigungen entstehen.

Das simple Prinzip, zunächst über das Ende nachzudenken, funktioniert nicht nur auf der Ebene des Plots, sondern auch hervorragend bei jedem einzelnen Dialog. Die meisten Dialoge in Spielen dienen in erster Linie der Vermittlung ganz bestimmter Informationen. Es lohnt sich daher, für jeden Dialog eine Liste aller Informationen zu erstellen, über die der Spieler nach dem Gespräch verfügen soll – unterteilt in obligatorische und optionale Informationen. Diese Liste kann nicht nur beim Schreiben des Dialogs helfen, sondern auch beim anschließenden Testen. Mit entsprechenden Checklisten kann ganz gezielt jeder mögliche Pfad durch einen interaktiven Dialog auf die Vermittlung der gewünschten Informationen geprüft werden.

Ein anderes Ziel, das nicht aus den Augen verloren werden sollte, ist der konkrete Output, der vom Schreiber gefordert wird. Scripter, Voice-Over-Sprecher, Tester, Producer, eventuelle Co-Autoren – sie alle müssen unterschiedliche Aspekte aus dem Geschriebenen herauslesen, analysieren und nutzen. Welche Auswirkungen die zahlreichen Zielgruppen auf die Struktur und Aufbereitung der Story haben, wird im Verlauf des Artikels immer wieder eine Rolle spielen.

Besonders Rollenspiele wie Risen 2 setzen auf komplexe Dialogsysteme und unterschiedliche Handlungsstränge. Game Designer und Autoren müssen alle möglichen Entscheidungen stets im Blick behalten. Je enger die Zusammenarbeit, desto besser die Chancen auf ein gutes Ergebnis. Besonders Rollenspiele wie Risen 2 setzen auf komplexe Dialogsysteme und unterschiedliche Handlungsstränge. Game Designer und Autoren müssen alle möglichen Entscheidungen stets im Blick behalten. Je enger die Zusammenarbeit, desto besser die Chancen auf ein gutes Ergebnis.

Mehr als nur Schreiben

Wenn die groben Ziele feststehen, kann die eigentliche Arbeit beginnen: die Wege dorthin zu entwerfen. Anhand von Beispielen wird dabei schnell klar, wie eng die Arbeit des Story-Autors mit der des Game Designers verknüpft ist oder zumindest sein sollte. Bei Mass Effect oder Knights of the Old Republic diktiert beispielsweise schon das integrierte Moral-System, welche Lösungswege und Antwortmöglichkeiten existieren müssen. Spiele wie Deus Ex oder Vampires: The Masquerade bieten dem Spieler unterschiedliche Gameplay-Wege und Skill-Trees, auf die die narrativen Elemente entsprechend abgestimmt werden sollten. Das Extrembeispiel ist aber sicherlich Heavy Rain, bei dem die Art und Weise, eine Szene zu spielen, besonders stark den Verlauf der Geschichte beeinflusst. Hier lassen sich nicht nur Game- und Storydesign, sondern auch Level- und Storydesign kaum noch auseinanderhalten. Um eine sinnvolle Symbiose von Geschichte, Gameplay, Level- und Welt-Design zu erreichen, sollten Schreiber und Designer also entweder außerordentlich eng zusammenarbeiten oder gleich in einer Person verschmelzen.

Der bekannte Medienwissenschaftler Henry Jenkins hätte für diese Position auch schon einen treffenden Namensvorschlag: »[…] it makes sense to think of game designers less as storytellers than as narrative architects.«


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Dieser Artikel erschien in Ausgabe 06/2011 des Making Games Magazins.

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