Seite 2: Von Fans und Fanatikern - Die Macht der Community

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Geben und Nehmen

Diese Beispiele demonstrieren also eine Bedeutung der Community, die den Entwicklern und Publishern wohlbewusst sein dürfte. Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt zwei prominente deutsche Beispiele: Gothicund Drakensang. Das erste Gothic (2001) des damals neu gegründeten Studios Piranha Bytes geriet trotz einiger Bugs und einer unzulänglichen Mausbedienung (die Piranha Bytes erst kurz vor Release ins Spiel implementierte) zu einem Überraschungshit, dem bereits 2002 Gothic 2und 2003 das Addon Die Nacht des Rabenfolgten.

Zum Release von Gothic 2: Nacht des Raben war die Community noch glücklich mit der Rollenspiel-Serie. Zum Release von Gothic 2: Nacht des Raben war die Community noch glücklich mit der Rollenspiel-Serie.

In kurzer Zeit entstand vor allem im deutschsprachigen Raum eine große und breite Fanbasis, was auch daran lag, dass die Piranha Bytes den Dialog suchte. »Wir fühlten uns geehrt und waren von Anfang an sehr aktiv in der Community«, erinnert sich Piranha-Bytes-Gründungsmitglied Mike Hoge. »Wir haben damals wirklich alles gelesen, was irgendwer über unser Spiel geschrieben hat.«

Die größte und wortmächtigste dieser neuen Communitys war das Forum »World of Gothic«, eine Sektion der Forums-Plattform »World of Players«. Dort sammelten sich die meisten Spieler, und seit jeher betreibt Piranha Bytes dort reichlich Community-Pflege. Zur Games Convention 2006 in Leipzig veranstaltete man mit Mitgliedern der Community sogar ein Gothic-Zeltlager.

Wie massiv sich diese Art von Markenbindung kommerziell niederschlagen kann, bewies schließlich Gothic 3: Trotz zahlloser Bugs und durchwachsenen Kritiken wurde es zu einem hervorragenden Verkaufserfolg. Die treue Fangemeinde wählte das Spiel bei der GameStar-Leserwahl 2006 zum Spiel des Jahres und ließ sich später für einen umfangreichen Community-Patch einspannen. »Gothic 3 war das mit Abstand bestverkaufte Spiel von Piranha Bytes, und das Spiel, mit dem ich selbst am unzufriedensten war«, gibt Mike Hoge heute zu und fügt als sarkastischen Witz an: »Fazit: Mach ein Spiel, das dir nicht gefällt, und werde reich!«

Die Schmerzgrenze

Das Vertrauen der Kunden ist ein brüchiges Ding. Die Ernüchterung um Gothic 3 blieb nicht folgenlos. Nach der Trennung von Piranha Bytes blieb die Gothic-Serie in den Händen des österreichischen Publishers Jowood, der zunächst das schwer verbugte Addon Götterdämmerung(2008) nachschob. Damit war die bedingungslose Community-Unterstützung vorerst dahin.

Arcania: Gothic 4, das nun vom deutschen Studio Spellbound entwickelt wurde, erwartete die Community skeptisch, aber nicht ohne leise Hoffnung. Als das Spiel 2010 schließlich erschien, kannte die Enttäuschung über die geänderte Ausrichtung in der angestammten Community keine Grenzen. »Der klassische Gothic-Fan mag enttäuscht sein, da das neue Spiel nicht mehr den klassischen Gothic-Ansatz hat«, rechtfertigt Jowood-Chef Franz Rossler die Entscheidung, »das haben wir aber ganz bewusst so gemacht. Wir wollen in die breitere Masse gehen, um das Spiel international besser vermarktbar zu machen. Das ist einfach das alte Problem: Ich kann’s nicht allen recht machen. Klar ist nur, Gothic 4 geht zu Lasten der Urgemeinde.«

Die Stammcommunity der Gothic-Serie lehnt Arcania: Gothic 4 rundweg ab,war allerdings auch nicht die anvisierte Zielgruppe. Die Stammcommunity der Gothic-Serie lehnt Arcania: Gothic 4 rundweg ab,war allerdings auch nicht die anvisierte Zielgruppe.

Der Plan schlug fehl. Das Community-Mitglied Don-Esteban bringt es auf den Punkt: »Eine Spieleserie wie Gothic zu haben, die eine riesige Fanbasis besitzt, ist ein Glücksfall für jeden Publisher. Diese Fanbasis auch noch auf einer einzigen Seite wie World of Gothic versammelt zu haben, ist schon unfassbarer Dusel. Das alles konsequent zu ignorieren und komplett an jeder Erwartung, jeder Erfahrung aus den Vorgängern, jedem durch diese gesetzten Standard vorbei entwickeln zu lassen, ist nicht begreifbare Dämlichkeit. Man hat Hunderttausende von sicheren Käufern und stößt die alle vor den Kopf, um sich eine neue, ominöse Käuferschicht zu suchen, die so anscheinend gar nicht existiert«.

In Deutschland scheiterte Arcania plattformübergreifend an der Marke von 100.000 verkauften Stück, Gothic 3 hatte im gleichen Zeitraum allein auf dem PC das Dreifache abgesetzt. Am 6. Januar 2011 muss Jowood Insolvenz anmelden.

Schwarze Argusaugen

Das Schicksal der Gothic-Serie zeigt eine enge Verknüpfung von Erfolg und Community. Aber es kann auch gegenteilig laufen, wenn nämlich eine zu enge Bindung an eine zu eng gefasste Community einem größeren Erfolg im Wege steht.

Das Schwarze Auge basiert auf einem strengen Regelbuch. Das Schwarze Auge basiert auf einem strengen Regelbuch.

Dieses Schicksal erlitt der Spieleentwickler Radon Labs mit seinen Das Schwarze Auge-Titeln. Denn im Gegensatz zur Gothic-Serie erschufen die Drakensang-Spiele keine eigene Community, sie bedienten sich an einer bereits seit Jahrzehnten existierenden. Das in den 80er-Jahren entstandene Pen&Paper-Rollenspielsystem Das schwarze Auge war damals die deutsche Antwort auf das international beliebte Dungeons & Dragons-Regelwerk, das Klassikern wie Baldur’s Gate, Icewind Dale oder Neverwinter Nights zugrunde liegt.

Ähnlich wie bei J.R.R. Tolkien und seinem Herr der Ringe-Universum wachen auch beim Schwarzen Auge ein Rechteinhaber und vor allem die eingefleischte Community mit Argusaugen über »ihre« Spielwelt. Zudem lebte noch die Erinnerung an die legendäre Nordland-Trilogie der frühen 90er-Jahre. Das schränkte die Freiheiten in der Entwicklung von Drakensang ein. So können drachenähnliche Tatzelwürmer weder feuerspeien noch fliegen, die offizielle Geschichte Aventuriens darf nicht umgeschrieben werden, und der Stadtplan von Handlungsorten wie Ferdok ist in existierenden Stadtplänen festgehalten. Dazu musste das komplexe Regelwerk auf Basis eines zwanzigseitigen Würfels transparent und regelgetreu umgesetzt werden. Um dies zu gewährleisten, wirkten Original-Autoren und bei Testsitzungen zahlreiche Community-Mitglieder an der Entwicklung mit.

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