Seite 3: Unbequeme Entscheidungen in Spielen - Kein dritter Weg

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Handlung ohne Konsequenz

Generell scheinen inzwischen eher Rollenspiele in der Lage zu sein, Spieler in moralisch verzwickte Situationen zu manövrieren oder die Nachwehen ihrer Handlungen zu hinterfragen: Immerhin bieten auch die Spiele aus der Witcher- oder Fallout-Reihe diese Erfahrungen, Fable 3 hat es ebenfalls versucht und Alpha Protocol zwingt den Spieler im Schnitt einmal pro Mission in eine Situation, in der er sich nur für das weniger große Übel entscheiden kann.

In The Witcher kann es Geralt nie allen Recht machen. In The Witcher kann es Geralt nie allen Recht machen.

Vielleicht braucht so etwas narrative Zügel und enge Führung, um zu funktionieren: Politische Strategiespiele leiden hingegen meist darunter, dass Lernerfahrungen vom Spieler ausgehebelt werden, sobald der die Mechanik durchblickt. Shadow President (1993) kommt als hochkomplexer Simulator des US-Präsidentenamtes daher, der verschiedenste Aspekte der Weltpolitik als hochkomplexes Abhängigkeitsgefüge darstellt.

Bis man merkt, dass man seine Beliebtheit mit regelmäßigen diplomatischen Gesandtschaften in irrelevante Kleinststaaten leicht auf einem so hohen Niveau halten kann, dass es einem Bevölkerung und Kongress nicht einmal übel nehmen, wenn man aus purer Langeweile das gesamte amerikanische Nukleararsenal auf Kanada abfeuert und den Staat als bessere Kolonie besetzt hält, während die eigene Bevölkerung am Fallout krepiert. Aus dem gleichen Grund ist der Lehrwert von Civilization fraglich.

Oder man nehme Stalin's Dilemma (2000), das wie Hidden Agenda als Lehrwerkzeug gedacht war. Die Lektion: Es gibt Situationen, in denen man dafür sorgen kann, dass es der Bevölkerung gut geht. Und dann kommen die Nazis und übernehmen den Staat, weil man nicht mit gnadenloser Härte und auf Kosten des Lebensstandards die Armee ausgebaut hat. Fable 3 mit Gulags, quasi.

Shadow President
Shadow President von 1993 versetzt Sie als frisch gewählten US-Präsidenten ins Oval Office (beziehungsweise dessen menülastiges DOS-Ebenbild), von wo aus Sie in den frühen 1990er Jahren hauptsächlich die amerikanische Außenpolitik lenken. Entwicklungshilfe für Zaire, Attentat auf den jemenitischen König, Atomschlag auf Moskau? Alles möglich, wenn auch nicht immer ratsam. Während Ihnen der US-Kongress fast jede Gräueltat durchgehen lässt, reagieren andere Nationen jedoch oft überaus dünnhäutig: Kaum tötet man bei der Invasion des Irak versehentlich einen sowjetischen Militärberater, lässt Genosse Gorbatschow schon die Atomraketen fliegen. Wer nicht beliebt genug ist, wird abgewählt. Falls er nicht vorher die Wahlen abschaltet.

An der Entscheidung vorbeigemogelt

Die tatsächliche Lektion hingegen: Solange ich jeden Bug und jede Designschwäche nutze, kann ich alle Ziele erreichen, ohne dafür Opfer erbringen zu müssen. Vielleicht sind es solche Lektionen, die dazu führen, dass die EZB den Konami-Cheat in der echten Welt ausprobiert und einfach die Gelddruckmaschine anwirft, um die Eurokrise in die Knie zu zwingen.

Als König trifft man in Fable 3 (2010) lediglich simple Gut-Böse-Entscheidungen. Als König trifft man in Fable 3 (2010) lediglich simple Gut-Böse-Entscheidungen.

Ein Spiel sollte - das gehört zu den wesentlichen Kriterien eines Spiels - vom Spieler gewonnen werden können. Darauf haben Spieler ein Anrecht. Ob sie allerdings auch ein Anrecht darauf haben, jedes Spiel perfekt gewinnen zu können, ohne Opfer zu bringen, ohne sich zu kompromittieren, ohne harte Entscheidungen treffen zu müssen, steht auf einem anderen Blatt.

Natürlich muss nicht jedes Spiel so etwas bieten, aber würden weniger Spiele dem Spieler den moralisch klaren, einfachen und in dieser Form oft verlogenen dritten Weg anbieten, dann würde das vielleicht zunehmend zu einem Transfer in die richtige Welt führen. Zu der Erkenntnis, dass der einzige Weg, das Spiel »Politik« perfekt zu gewinnen, ist, es nicht zu spielen und stattdessen einfach JEDE Entscheidung unreflektiert im Spiegel-Forum zu kritisieren.

Alternativ kann man natürlich auch diese Lernerfahrung und die sie vermittelnden Entscheidungen vermeiden. Die schwierigen Entscheidungen der tatsächlichen Spieler lassen sich auch wunderbar in der Kommentarsektion des zugehörigen Let's-Play-Videos auf YouTube zerreden.

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