Seite 4: Der Free2Play-Boom - Der Gratis-Krieg

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Tag der Abrechnung

Tim Rogers reicht es. Er rechnet ab mit der Branche und beschließt, von nun an nur noch kleine, unfassbar schwere und überraschend komplexe Spiele für Smartphones zu entwickeln. Spiele wie Ziggurat, in dem eine einsame Figur mit Rogers' Haarschnitt auf einem Berg steht und Alien-Roboter umschießt. Es kommt ohne freischaltbare Inhalte aus, ohne Kostüme, es ist einfach nur ein Spiel. Über Free2Play sowie Casual und Social Games verliert Rogers kaum mehr gute Worte.

Tim Rogers, Indie-Designer, Mathematiker und Autor hat 2011 mit »Who Killed Videogames: A Ghost Story« einen der wichtigsten Texte über Gratisspiele geschrieben. Tim Rogers, Indie-Designer, Mathematiker und Autor hat 2011 mit »Who Killed Videogames: A Ghost Story« einen der wichtigsten Texte über Gratisspiele geschrieben.

»Ich will keine Arbeit in meinem Spielen!« Bei seiner mathematischen Analyse von Free2Play-Spielen hat Rogers erkannt, dass die Möglichkeit, ein Spiel umsonst zu spielen, eine Illusion ist. Es dauert in der Regel derart lange, in Free2Play-Spielen neue Waffen, Rüstungen und Fähigkeiten freizuschalten, dass es kaum Sinn hat, die Items nicht zu kaufen. Die genaue Dauer, das bestätigen Spielemacher wie Nina Müller von Bigpoint, wird bereits im frühen Designprozess des Spiels festgelegt. Überspitzt gesagt: Zunächst werden die Bezahlinhalte festgelegt und dann die Spielelemente drumherum gestrickt, um dem Spieler das Geld aus der Tasche zu ziehen. Gut, das ist unfair formuliert. Von der Hand weisen lässt sich Rogers' Vorwurf trotzdem nicht.

Man muss sich nur anschauen, wie lange es tatsächlich dauert, Premium-Inhalte umsonst freizuschalten. Das kostenlose »Sidegrade«-Präzisionsgewehr in Tribes: Ascend kostet stolze 88.000 Erfahrungspunkte. Ein einzelnes Spiel bringt zwischen 300 und 1.500 davon. In World of Tanks wiederum schlägt ein deutscher Maus-Superpanzer mit 6,1 Millionen Silbermünzen zu Buche, pro Partie verdient man aber höchstens 30.000 bis 40.000 - von denen man auch noch Reparaturen und Upgrades bezahlen muss.

Kurz gesagt: Ein Free2Play-Spiel komplett kostenlos zu spielen, bedeutet oftmals monatelangen »Grind«, die roboterhafte Wiederholung immer derselben Aktionen, um genug Punkte für eine neue Belohnung zusammenzusparen. Wer weniger Mühe will, muss zahlen. Das ist ja auch nachvollziehbar, schließlich müssen die Macher Geld verdienen. Der stupide Grind zeigt aber auch Verachtung, wenn nicht für die Gratisspieler, dann zumindest für ihre Zeit.

Perfekte Mathematik

»Aber was ist denn die Alternative?«, wirft Nina Müller ein. »Dass ich den Leuten alles einfach so gebe? Das hat ja dann keine Lernkurve, keine Herausforderung mehr, nichts, wo ich sagen kann: Jetzt habe ich was geschafft!« Die Alternative hat Tim Rogers entdeckt. In Dragon Quest, einem fast 30 Jahre alten japanischen Rollenspiel.

1986 veröffentlicht der japanische Entwickler Enix das erste bedeutsame Rollenspiel der Konsolengeschichte: Dragon Quest für das NES. 1986 veröffentlicht der japanische Entwickler Enix das erste bedeutsame Rollenspiel der Konsolengeschichte: Dragon Quest für das NES.

»Die Mathematik dieses Spiel ist perfekt ausbalanciert«, so Rogers. »In Dragon Quest zu grinden, macht Spaß, weil die Belohnungen so perfekt aufeinander abgestimmt sind, die Levelaufstiege genau weit genug voneinander entfernt sind. Dragon Quest meint es gut mit dem Spieler. Es lehrt den Wert harter Arbeit, den Wert deiner eigenen Zeit.«

Es fällt schwer, Tim Rogers vom Sprechen abzuhalten wenn er erst einmal anfängt, über die Mathematik von Spielen zu philosophieren. »Yujii Hori, das Genie hinter der Dragon Quest Reihe hat sich das alles ausgedacht. Er ist einfach ein netter Typ. Ich glaube, wenn du in Nakano bist und ihn um einen guten Restauranttipp bittest, würde er dir helfen. Das lese ich aus seiner Mathematik raus. Die Mathematik der Free2Play-Spiele bricht mir das Herz. Sie ist so unbedacht, einfach grausam.«

Denn Free2Play-Spiele bauen auf Frust, darauf, dass Spieler so viel Spaß am Spiel haben und zugleich so frustriert sind mit dem langsamen Fortschritt, dass sie zahlen müssen. Tim Rogers macht eine kurze Pause und holt Luft: »Und das ist der Grund, warum ich keine Krankenversicherung habe, warum ich nicht reich bin.« Mit seinen kleinen Spieleprojekten kann sich Tim Rogers nur gerade so über Wasser halten. Das große Geld machen die Free2Play-Publisher.

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