Splinter Cell: Dreiauge, sei wachsam!
Garretts Gaunerkarriere gibt also den Startschuss für viele weitere Schleichspiele und fällt gleichzeitig in eines von drei mittlerweile arg strapazierten Szenarien. Aufgrund chronischer Knastallergie gehören Diebe naturgemäß zu jenen Charakteren, die am wahrscheinlichsten einen leisen Weg ans Ziel wählen. Agenten und Auftragsmörder haben den Langfingern aber längst den Rang abgelaufen.
Die beiden bekanntesten Herren aus Geheimdienstkreisen sind leicht dank ausgefallener Gadgets leicht zu erkennen: Dreistufiges Sichtgerät und Lichtmelder auf dem Rücken? Muss Sam Fisher sein. Mehr exotische Bauteile als eine chinesische Trägerrakete? JC Denton oder seine Nachfolger im Geiste. Sam, der Held der Splinter-Cell-Reihe (ab 2002), verlässt sich auf seinen Einsätzen ganz ähnlich wie Kollege Garrett auf Schatten und einen gut gefüllten Werkzeugkasten. Betäubungs- und Elektromunition, Störsender und Minikameras sorgen für unangenehme Überraschungen bei Amerikas Feinden, die Rückenanzeige am Kampfanzug verrät zu jeder Zeit, ob und gut wie Fisher zu erkennen ist.
Die wirkungsvollste Waffe von Splinter Cell sind jedoch nicht die Gadgets oder Pistolen, sondern Sam selbst. Er versteckt sich akrobatisch an Decken, rollt ungesehen - wie macht er das eigentlich? - an Türen vorbei und prügelt Gegner mit einer Mischung aus Raffinesse und Brutalität in die Bewusstlosigkeit. Wenn das alles nicht hilft, lassen sich die Feinde selbst als lebendiges Werkzeug einsetzen, als Geiseln (und Schutzschild) nehmen und mit vorgehaltener Waffe zur Preisgabe von Codes zwingen.
Bis zum aktuellen Serienteil, Splinter Cell: Blacklist (2013), rückte das Schleichen allerdings zunehmend in den Hintergrund. Nicht etwa weil die Mechaniken dazu nicht vorhanden oder zu umständlich einzusetzen waren, nein. Es war schlicht wesentlich leichter, ganze Gruppen von Gegnern zu markieren und in einer flüssigen Animation per Kopfschuss auszuknipsen - gleiche Gewichtung von Action- und Stealth-Anteilen sieht anders aus. Außerdem muss uns immer noch jemand nachvollziehbar erklären, wieso kein Mensch das grell leuchtende Dreiauge in der Dunkelheit entdeckt, wenn er sich 50 Zentimeter entfernt nach seinem verschwundenen Kameraden umschaut.
Deus Ex: posthumanes Cyber-Schleichen
Ein paar Jährchen in der Zukunft operiert JC Denton in Deus Ex (2000) mit technisch noch eindrucksvolleren Mitteln als Sam Fisher. Im schwelenden Machtkampf zwischen Templern, Majestic-12 und Illuminaten kann er nicht nur auf moderne Waffen, sondern auch auf Nanotechnologie zurückgreifen. Nachtsicht, Immunität gegen Krankheiten und Gifte, verbesserte Stärke und sogar Unsichtbarkeit - Denton kann sich im Verlauf des Spiels zu einer Ein-Mann-Spionageeinheit upgraden, wenn er die Chance nicht gleich beim Schopf packt und zum menschlichen Panzer wird.
Das rollenspielähnliche Grundgerüst um den Körperbausatz bleibt in allen Serienteilen erhalten, auch wenn das Prequel Deus Ex: Human Revolution (2011) seine Augmentationen zeitbedingt nicht durch Naniten, sondern primitivere mechanische Verbesserungen erklärt. Der motivierende Charakterausbau ist ein Markenzeichen der Reihe, die allzu offensichtliche Schleichmechanik ein anderes. Wer sich in den Deus Ex-Spielen leise durch die Levels bewegen will, lernt schnell, in jedem Raum zuerst nach Lüftungsschächten zu suchen.
Die gibt es überall, manchmal etwas verschämt hinter Kistenstapeln, Kopierern oder Getränkeautomaten, und sie führen mehr oder weniger direkt in den Rücken von Wachen, gesicherte Serverräume oder zum Fluchtpunkt. Wir dürfen das Büro eines Polizisten nicht betreten? Kein Problem, denn im Nachbarraum wartet schon der Lüftungsschacht, der uns dann doch Zutritt verschafft. Das ist hilfreich, aber stellenweise eben auch absolut hirnrissig.
Dafür schafft es Human Revolution, einen der logischen Schwachpunkte anderer Schleichspiele auszubügeln. Die Gegner in Human Revolution erkennen Halbroboter Adam Jensen sogar, wenn er zum Erkunden der Lage nur seinen Kopf zu lange aus der Deckung hebt - den Trick mit den unsichtbaren Türrollen beherrscht nur Sam Fisher perfekt. Das macht den stillen, nicht-tödlichen Ansatz schwieriger, sorgt aber auch für ein größeres Erfolgserlebnis, wenn keine einzige Wache unsere Anwesenheit mitbekommen hat. Es ist theoretisch sogar möglich, die Spiele der Reihe mit minimalem Verlust an Menschenleben zu beenden - selbst Bosse sind davon in Deus Ex und Deus Ex: Invisible War (2003) nicht ausgenommen. Im dritten Teil gilt das nur für den DLC-Abschnitt The Missing Link.
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