Seite 2: Wie schlimm ist Electronic Arts wirklich? - Im Reich des Bösen

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»... , aber aufgehängt haben wir uns selbst.«

Um all die neuen Projekte umsetzen zu können, die ihnen vorschweben, braucht das Team von Origin vor allem eines: mehr Manpower. Binnen eines Jahres verdoppelt man daher die Mitarbeiterzahl im Unternehmen auf über 400 Personen. Ein Wachstum, dass selbst heute nicht ganz einfach wäre.

Crusader: No Remorse erschien 1995 und wurde von Electronic Arts vertrieben. Crusader: No Remorse erschien 1995 und wurde von Electronic Arts vertrieben.

In der Spielebranche der 90er Jahre jedoch ist es praktisch unmöglich, innerhalb dieser Zeitspanne so viele qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Um seine großen Pläne trotzdem in die Tat umzusetzen, verwässerte Origin seine Mitarbeiterschaft durch unerfahrene Neuzugänge und überhastete Beförderungen. Entwickler, die im Jahr zuvor noch die Bezeichnung Junior im Titel trugen, leiten plötzlich millionenschwere Projekte.

Zugleich lässt EA seinem neuen Studio bei der Auswahl der Projekte fast völlig freie Hand. Abgesichert durch das Geld des Publishers, wird Origin wagemutig. Ungewöhnliche Ideen, die dem Studio vorher noch zu riskant erschienen, bekommen nun grünes Licht. »Vor der Übernahme hätten wir in erster Linie unsere Fortsetzungen entwickelt und vielleicht nebenbei ein oder zwei Experimente gewagt. Plötzlich bestand aber die Hälfte unserer Projekte aus Experimenten«, erinnert sich Garriott.

Ausgerechnet diese Experimente, die dringend der Aufsicht eines erfahrenen Designers bedürfen, besetzt Origin jedoch mit seinen unerfahrenen Neuzugängen. Die wenigen alten Hasen wie Garriott selbst und Chris Roberts sind damit beschäftigt die goldenen Kühe des Unternehmens zu hüten: Sie arbeiten an Fortsetzungen von Ultima und Wing Commander, um den Erfolg der etablierten Marken sicherzustellen. Die Konsequenzen der riskanten Strategie lassen nicht lange auf sich warten.

»Es dauerte kaum ein Jahr und es ging all unseren neuen Projekten nicht mehr besonders gut«, erinnert sich Richard Garriott, »Noch ein paar Monate später, mussten wir die Hälfte aller Projekte abschießen die sich in Entwicklung befanden. Das wiederum bedeutete, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte von Origin herbe Verluste einfuhren. Und natürlich konnte EA nicht einfach weiter Geld in dieses schwarze Loch kippen. Daher kamen die Einsparungen. Deswegen musste ich all diese Leute entlassen.«

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Geld schafft Probleme

Als wir Louis Castle am Ende unseres Interviews von unserem vorigen Gespräch mit Richard Garriott erzählen, schweigt der ehemalige Mitgründer der Westwood Studios kurz. »Nach all den Jahren zu hören, dass Richard beinahe die gleichen Erfahrungen machen musste, wie wir… Geld schafft wirklich manchmal mehr Probleme, als es löst«, sagt er schließlich.

Louis Castle: »EA wollte C&C, aber insbesondere auch den nächsten großen Hit von Westwood. Nichts sollte uns davon ablenken. Wir sollten uns um nichts anderes Gedanken machen.« Louis Castle: »EA wollte C&C, aber insbesondere auch den nächsten großen Hit von Westwood. Nichts sollte uns davon ablenken. Wir sollten uns um nichts anderes Gedanken machen.«

Auch Castle und sein Team werden 1998 von EA mit offenen Armen empfangen. Ihr Command & Conquer hatte wenige Jahre zuvor ein ganzes Genre definiert. Sie gelten als Pioniere und brillante Entwickler und genau so will EA das Team einsetzen. »Sie haben uns von Anfang an gesagt: Wir wollen nicht, dass ihr einfach nur das C&C-Studio seid«, betont Castle, »Wir wissen, ihr arbeitete an diesen MMO-Konzepten. Das ist ein extrem vielversprechender Markt. In diese Richtung könnt ihr euch gern weiterentwickeln. Lasst uns wissen, welche Ideen ihr sonst noch habt!«

EA hat zudem erste Lehren aus den Problemen bei Origin gezogen. Anstatt sofort viele neue Projekte anzuschieben, die dann von unerfahrenen Designern betreut werden, lautet der Plan diesmal: Zuerst die Entwicklung der wichtigen C&C-Titel in Gang zu bringen, um danach Westwoods beste Leute auf vielversprechende, neue Projekte anzusetzen. Doch nach wie vor unterschätzt der Publisher, wie wenig das Team von Westwood darauf vorbereitet ist, mit viel größeren Budgets zu arbeiten.

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Quelle: Umfrage auf GameStar.de, Anfang 2014 Quelle: Umfrage auf GameStar.de, Anfang 2014

Zu groß gedacht

»Wir waren völlig blind, als es um das Geld ging«, erklärt Louis Castle resigniert. Zwar macht sein Studio nicht den Fehler, zu viele neue Projekte anzustoßen, dafür plant man aber die bestehenden Projekte plötzlich viel, viel größer. Auch bei Westwood beginnt daraufhin eine beispiellose Phase des Wachstums - mit beinahe identischen Folgen wie zuvor bei Origin.

Aus und vorbei: Das alte Gebäude der Westwood Studios im Jahr 2000. Aus und vorbei: Das alte Gebäude der Westwood Studios im Jahr 2000.

Um schneller neues Personal einstellen zu können, verkürzt das Studio seinen extrem strengen und langwierigen Auswahlprozess für neue Mitarbeiter und läd sich dadurch ebenfalls eine große Anzahl von Neuzugängen auf, die dem hohen Niveau des Teams nicht gerecht werden.

Viel schlimmer als die Fehlbesetzungen sind jedoch die Auswirkungen der Übernahme auf die Firmenkultur bei Westwood. Castle und seine Kollegen an der Spitze des Studios gehören zu den erfahrensten Designern ihrer Zeit, müssen jetzt aber große Teile ihrer Zeit damit zubringen, das rasche Wachstum zu verwalten. Derart abgelenkt entgeht ihnen viel zu lange, dass die neu gewonnene finanzielle Freiheit tatsächlich die Kreativität des Studios erodiert, anstatt sie zu fördern.

»Die Leute haben immer gesagt, EA habe uns dieses oder jenes aufgezwungen. Dabei hatten wir völlig freie Hand. Wir konnten nur nicht mit dem Überfluss umgehen«, erklärt Castle.

»Ich gebe Ihnen mal ein sehr bezeichnendes Beispiel: Wir waren bei Westwood immer ein sehr offenes Team. Jeder durfte Ideen einbringen, egal ob er eine Expertise in diesem Bereich hatte oder nicht. Während unserer Zeit als unabhängiges Studio hatten nicht selten fünf Leute eine Idee. Wir konnten es uns aber bestenfalls leisten, eine Einzige davon umzusetzen. Also haben wir uns im Studio die Köpfe heißgeredet, uns letztlich auf eine Idee geeinigt und die dann ins Spiel eingebaut.

»Von den ursprünglichen fünf Ideen kam so in der Regel immer nur die beste ins Spiel. Doch dank EA hatten wir das Geld zu sagen: Wir bauen alle fünf ein! - und plusterten unsere Features dadurch nur unnötig auf. Wenn da draußen also jemand sagt: EA hat diese Firma kaputt gemacht, weil plötzlich nur noch aufs Geld geschaut wurde und weil sie ihnen Vorschriften gemacht haben, ist das völlig verkehrt.

»Tatsächlich war es genau umgekehrt: Als kleine Firma haben wir immer nur auf's Geld geschaut. Jedes einzelne Produkt musste Gewinn abwerfen. Unter EA hingegen hieß es: »Macht einfach nur das beste Spiel, das ihr machen könnt!« Wie sich herausstellte, war das jedoch zumindest für uns geradezu fatal«.

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Misshandlung durch Liebe

»Love abuse«, nennt das Peter Molyneux - Misshandlung durch Liebe. Gleich zwei Mal verkaufte er bisher eines seiner Studios an große Publisher: Bullfrog an EA und Lionhead an Microsoft. Wirklich glücklich, wurde er bei keinem der beiden Deals. »Was man verstehen muss ist folgendes«, sagt er, »Selbst wenn dich die Firma bei einer Übernahme komplett in Ruhe lässt, wenn sie sich überhaupt nicht einmischen, verändert sich alles. Denn als unabhängiger Entwickler hast du vor allem anderen eines, dass dich Antreibt: Angst. Die Angst davor, dass dein nächstes Spiel nicht gut wird. Die Angst vor dem Bankrott.«.

Genau wie Louis Castle ist Peter Molyneux überzeugt davon, dass nicht EA der größte Feind der Kreativität ist, sondern finanzielle Sicherheit. Doch die Verlockung endlich einmal Nachts ruhig schlafen zu können ist groß. Molyneux weiß das aus eigener Erfahrung.

Peter Molyneux: »Es ist völlig egal, wer dich kauft: Microsoft, Activision, Electronic Arts oder das Kinderhilfswerk – es macht keinen Unterschied.« Peter Molyneux: »Es ist völlig egal, wer dich kauft: Microsoft, Activision, Electronic Arts oder das Kinderhilfswerk – es macht keinen Unterschied.«

»Damals, nachdem wir entschieden hatten Bullfrog zu verkaufen, kam jemand zu mir und sagte: »Hey, Peter! Willst du Corporate Vice President von Electronic Arts werden?«. Was sollte ich da sagen? Natürlich wollte ich! Toller Job, schöne Visitenkarte - wer würde das nicht wollen? Besonders in meiner damaligen Situation. Zumal ich in gewisser Weise ein Angeber bin. Ich wollte diese Visitenkarte. Also sagte ich ja und wurde Vizepräsident und begann zu reisen. Das viele Reisen kommt mit dem Job. Nur: Wenn du ständig unterwegs bist, bist du ständig nicht im Studio.

»Plötzlich fehlte also dieser Wahnsinnige, der überall herumläuft und sagt: ›Das sieht klasse aus, lasst uns das weiter verfolgen! Ich hatte da noch diese andere Idee, lasst uns die ausprobieren! Hey, warum bleiben wir nicht heute Abend alle hier und spielen unser Spiel?«. Dieser Mensch ist nicht im Studio, weil er plötzlich um die halbe Welt fliegt und seine Zeit in irgendwelchen Konferenzräumen verbringt. Mein Studio war über die Jahre aber um genau diese Person aufgebaut worden. Wir funktionierten nicht mehr richtig.«

Der Teamgeist war weg

Dieses innere Gleichgewicht eines erfolgreichen Studios, die über Jahre gewachsene Firmenkultur, ist empfindlicher als es viele Firmen wahrhaben wollen, glaubt Trent Oster. Als Bioware-Mitarbeiter der ersten Stunde findet sich sein Name in den Credits von Shattered Steel über Baldur's Gate bis Dragon Age. Doch 2009 verlässt er das Studio, frustriert vom Erfolgsdruck und den Firmenstrukturen bei EA, die er als erstickend empfindet. Aber Bioware, sagt Oster, war schon vor der Übernahme nicht mehr die Firma, in die er sich einst verliebt hatte.

Trent Oster: »Meines Erachtens wird es immer kritisch, wenn ein Team über 60 bis 70 Leute hinauswächst – egal bei welchem Publisher.« Trent Oster: »Meines Erachtens wird es immer kritisch, wenn ein Team über 60 bis 70 Leute hinauswächst – egal bei welchem Publisher.«

Schon durch das eigenständige Wachstum sei nach und nach immer mehr vom Teamgeist des Studios verloren gegangen: »In den frühen Tagen von Bioware, so von Baldur's Gate bis Neverwinter Nights, hatten wir diese »Einer für Alle und Alle für Einen«-Mentalität. Du hast gewusst, dass jeder im Studio alles gibt, um das Spiel erfolgreich zu machen. Je größer die Firma wurde, desto mehr von diesem Vertrauen ging verloren.

Man stand plötzlich nicht mehr in so engem Kontakt mit den anderen Teams und dadurch konnte man nicht mehr sehen, wie viel die anderen leisteten. Es passierte mehr und mehr, dass einige von uns dachten: Was machen die nur? Warum dauert ihr Projekt so lange. Die versauen alles! Sie riskieren unser aller Zukunft!«

2005 erlebt Oster seinen ersten Firmenzusammenschluss. Mithilfe des Finanzinvestors Elevation Partners werden Bioware und das amerikanische Studio Pandemic unter einem gemeinsamen Firmendach vereint. Die Geldgeber des neuen Studio-Verbunds verfolgen dabei nur ein Ziel: Den Wert der Studios zu steigern und sie anschließend gewinnbringend zu verkaufen.

Doch ausgerechnet zu dieser Zeit, so erzählt es Oster, erlaubt sich die Bioware-Führung eine herbe Fehlkalkulation. Die Budgetplanungen des Studios baut noch auf den Erfahrungswerten der auslaufenden PS2-Ära auf. Schockiert muss Bioware jedoch feststellen, dass die Entwicklung für Xbox 360 und PS3 rund doppelt so viel Geld verschlingt, wie zuvor. Hochauflösende Texturen, detailliertere Polygonmodelle, komplexere Programmierung und vieles mehr blähen Mitarbeiterstab und Kosten auf.

Trent Oster arbeitete vor seiner Kündigung an einem unveröffentlichten Spiel, dessen Engine die Basis für Dragon Age wurde. Trent Oster arbeitete vor seiner Kündigung an einem unveröffentlichten Spiel, dessen Engine die Basis für Dragon Age wurde.

Bioware und sein Investor verfallen zunächst in eine Art Schreckstarre. Das Studio beschließt einen Einstellungsstopp und versucht durch rigide Einsparungsmaßnahmen und erheblichen Druck auf die bestehende Mitarbeiterschaft seine Profite zu sichern. Noch vor wenigen Jahren wurde fast nie ein Projekt bei Bioware eingestellt, jetzt kreist plötzlich die Axt über allen neuen Entwicklungen. »Auch die Firmenleitung hatte scheinbar ihr Vertrauen in das Team verloren. Dieses Gefühl dass wir gemeinsam alles irgendwie hinkriegen, war verschwunden«, erzählt Oster.

Als EA zwei Jahre später die beiden Studios für rund 860 Millionen Dollar aufkauft, geschieht dies daher zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Oster glaubt, dass sich Bioware-Chef Ray Muzyka dazu entscheidet die Strukturen des Studios an EA anzupassen, da Biowares eigene Firmenkultur ohnehin zerrüttet ist. Feste Hierarchien halten Einzug. Es ist nun endgültig nicht mehr möglich, sich überall mit eigenen Ideen einzubringen. Der Erfolgsdruck nimmt weiter zu.

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